Immunsystem
Bietet Propionsäure einen neuen Ansatz bei Multipler Sklerose?
In Stuhlproben und im Serum von Patienten mit Multipler Sklerose fällt ein Mangel von Propionsäure auf. Die Patienten könnten davon profitieren, wenn sie die kurzkettige Fettsäure als Supplement bekommen.
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Mikrobiom – die Besiedlung des Darms ist wohl auch bei Multipler Sklerose von Bedeutung.
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Bochum. Könnte die kurzkettige Fettsäure Propionsäure als Adjuvanz in der Behandlung bei Multipler Sklerose (MS) von Bedeutung werden? Ein internationales Team von Wissenschaftlern unter Leitung von Professor Aiden Haghikia, Ruhr-Universität Bochum (RUB), will das aufgrund eigener Forschungsergebnisse nicht ausschließen.
Nach ihren Arbeiten beeinflusst Propionsäure die Darm-vermittelte Immunregulation bei MS-Patienten (Cell 2020; DOI: 10.1016/j.cell.2020.02.035). Erste Kernspin-Untersuchungen im Verlauf wiesen darauf hin, dass Propionsäure als Supplement möglicherweise den Gehirnschwund als Zeichen eines Nervenzell-Untergangs mindern, die Schubrate senken und das Risiko einer Behinderungszunahme reduzieren kann, teilt die RUB zur Veröffentlichung der Studie mit.
Darmkeime nehmen Einfluss auf das Gehirn
Im Darm findet bekannterweise die Interaktion zwischen der Nahrung, den dortigen Bakterien, deren Stoffwechselprodukten und dem Immunsystem in der Darmwand statt, erinnert die RUB in ihrer Mitteilung. „So können die Darmbakterien direkt und indirekt Einfluss auf anatomisch entfernte Strukturen wie das Gehirn nehmen“, wird Haghikia zitiert.
In der jetzt veröffentlichten Studie konnten die Wissenschaftler die vormals in der Zellkulturschale und im experimentellen Modell gezeigten Ergebnisse auf MS-Patienten übertragen: Kurzkettige Fettsäuren wie die Propionsäure oder deren Salz Propionat führten zur vermehrten Entstehung und gesteigerten Funktion von regulatorischen Zellen des Immunsystems.
„Diese Zellen beenden überschießende Entzündungsreaktionen und reduzieren im Kontext von Autoimmun-Erkrankungen wie der MS auto-immune Zellen“, erläutert Professor Ralf Gold, Direktor der Neurologie im St. Josef Hospital Bochum, in der Mitteilung der RUB.
Veränderte Mikrobiom-Zusammensetzung
In ihrer Arbeit konnten die Forscher nachweisen, dass die Mikrobiom-Zusammensetzung bei MS-Betroffenen verändert ist, wie die RUB berichtet. Darüber hinaus konnten sie erstmals einen Mangel von Propionsäure im Stuhl und Serum von MS-Patienten zeigen, die in der frühesten Phase der Erkrankung am stärksten ausgeprägt war. Dieser Nachweis gelang in Kooperation mit dem Max-Delbrück-Centrum Berlin und den Ernährungswissenschaften der Universität Halle-Wittenberg.
In einer Kooperation mit Wissenschaftlern der Bar-Ilan University in Israel, die ein Darm-Modell zur funktionellen Analyse des Mikrobioms entwickelt hatten, zeigte sich, dass die Veränderung der Funktion der Bakterien im Darm als Folge der Propionat-Gabe die entscheidende Rolle bei der Entstehung von neuen regulatorischen Zellen spielt, resümiert die RUB in ihrer Mitteilung.
Zur gesteigerten Funktion dieser Zellen trage deren verbesserte Energieverwertung durch eine veränderte Funktion der Mitochondrien bei, was das Forschungsteam in Kooperation mit der Arbeitsgruppe Molekulare Zellbiologie an der Medizinischen Fakultät der RUB nachweisen konnte.
Weitere innovative diätetische Maßnahmen?
Die kurzkettigen Fettsäuren stellen nur einen Bruchteil der Stoffwechselprodukte von Darmbakterien dar, die durch die bakterielle Einwirkung aus der Nahrung entstehen.
„Die weitere Erforschung dieses weitestgehend unbekannten Organs und die daraus gewonnenen Erkenntnisse werden es erlauben, in Zukunft weitere innovative diätetische Maßnahmen zu den bekannten Therapeutika zu entwickeln“, so Haghikia in der Mitteilung der RUB. (eb)