Hintergrund
Chemotherapie: Kühlkappen bremsen den Haarausfall
Chemotherapie-bedingter Haarausfall lässt sich mithilfe von Systemen zur Kopfhautkühlung zumindest deutlich bremsen: Das hat nun ein Review mit Metaanalyse auf der Grundlage methodisch hochwertiger Studien bestätigt.
Veröffentlicht:Haarausfall gehört für Frauen zu den am meisten belastenden Nebenwirkungen einer Krebstherapie. Der damit verbundene psychische Stress führt nicht nur zu psychosozialen Einschränkungen, sondern auch zu erhöhten Depressionsraten bei den Betroffenen. Daher ist es mehr als wünschenswert, den Patientinnen ein Verfahren anzubieten, dass die chemotherapiebedingte Alopezie verhindert.
Mit der Methode des "Scalp-Cooling", deutsch: Kopfhautkühlung, steht eine offenbar recht effiziente Methode gegen den Haarausfall zur Verfügung. Das legen die Ergebnisse einer aktuellen Metaanalyse nahe, die unter der Leitung von Professor Hope S. Rugo von der University of California in San Francisco durchgeführt wurde (Clinical Breast Cancer 2017; online 9. August). Das Besondere an der Literaturzusammenschau: Ihr liegen ausschließlich qualitativ hochwertige Studien, sogenannte RCT (randomized controlled trials) zugrunde, die entweder das Scalp-Cooling gegen eine Kontrollgruppe ohne Kühlung oder unterschiedliche Techniken der Kopfhautkühlung untereinander verglichen haben.
Insgesamt erfüllten zehn Studien die Einschlusskriterien, sechs aus Europa und vier aus den USA. Bei den beteiligten Patientinnen handelte es sich überwiegend um Frauen mit Brustkrebs, die über mehrere Zyklen hauptsächlich mit Anthrazyklinen (Doxorubicin, Epirubicin) behandelt wurden.
Verschiedene Techniken zur Kühlung
Bei der Kopfhautkühlung kamen verschiedene Techniken zum Einsatz: In acht Studien wurde mit einfachen Kappen gearbeitet, die vor der Anwendung auf Temperaturen von –18 °C bis –25 °C eingefroren werden. Diese Modelle müssen alle 30 Minuten gewechselt werden, da sie zwischenzeitlich auftauen. In zwei Studien wurden neuere Systeme verwendet, bei denen die Kappen von Kanälen durchzogen werden, durch die ein 3 – 4 °C kaltes Kühlmittel strömt. Durch ein angeschlossenes Gerät kann der Durchstrom und die Temperatur auf der Haut – Zielwert sind sehr erträgliche 21 °C – genau geregelt werden.
In der Gesamtauswertung aller Studien, so berichten Rugo und ihr Team, ließ sich mit dem Prinzip der Kopfhautkühlung im Vergleich zu Patientinnen, die auf ein entsprechendes Verfahren verzichteten, ein deutlicher Effekt erzielen: So ging der Anteil der Frauen, die im Zuge der Chemotherapie aufgrund des Haarausfalls eine Perücke benötigten (was mit signifikanter Alopezie gleichgesetzt wurde), um 46 Prozent zurück. Gesenkt werden konnte insgesamt auch das Ausmaß der Alopezie. Dies zeigte eine Auswertung, in der unterschiedliche Alopeziegrade (0 bis 25 Prozent; 26 bis 50 Prozent beziehungsweise > 50 Prozent) berücksichtigt wurden.
Das Wirkprinzip der Kühlkappe erklären die US-Autoren wie folgt: Die Mehrheit der Haarfollikel befinden sich in einem Stadium der schnellen Proliferation. Da die Chemotherapie vorrangig auf Zellen mit hoher Teilungsrate abzielt, gleich welcher Art, werden eben nicht nur Tumorzellen, sondern auch Haarfollikelzellen geschädigt, was zum verstärkten Haarausfall führt. Das Scalp-Cooling steuert dem entgegen, indem es eine Vasokonstriktion in der Kopfhaut bewirkt. Dadurch flutet weniger von dem Chemotherapeutikum in den Follikeln an, weshalb diese weitgehend geschützt bleiben. Zum anderen nimmt man an, dass sich durch die Kälte auch der Stoffwechsel der Follikelzellen verlangsamt, was wiederum in einer geringeren Teilungsrate resultiert.
Kein Anstieg von Kopfhautmetastasen
Die in der Metaanalyse verwendeten Systeme wurden jeweils etwa 15 bis 20 Minuten vor Chemotherapiebeginn aufgesetzt, verblieben während der Infusion auf dem Kopf und danach noch über eine halbe bis eine Stunde. Die Nebenwirkungen, die die Patientinnen dabei verspürten, hielten sich offenbar in Grenzen: Am häufigsten wurden Kopfschmerzen beschrieben; diese betrafen in den entsprechenden Studien 4 von 19, 2 von 6 und 12 von 101 Frauen.
Eine von Experten vielfach befürchtete langfristige Nebenwirkung, das Auftreten von Kopfhautmetastasen aufgrund der geringeren Anflutung der Chemotherapeutika, scheint dagegen keine nennenswerte Rolle zu spielen. Longitudinalstudien mit einer Nachbeobachtungszeit von mehr als fünf Jahren konnten den Forschern zufolge keinen Anstieg der Metastasen am Kopf nach Einsatz von Kühlkappen belegen. Auch im Münchner Krebsregister wich die Inzidenz von Kopfhautmetastasen nach Scalp-Cooling nicht signifikant von der ohne dieses Verfahren ab (0,04–1 Prozent gegenüber 0,03–3 Prozent). In einer retrospektiven Analyse mit mehr als 1300 Brustkrebspatientinnen war außerdem die Gesamtmortalität in den beiden Gruppen über bis zu acht Jahre annähernd gleich.
Selbst ältere Systeme funktionieren
Interessant war für Rugo und ihr Team auch zu sehen, dass nicht nur die mit der neuesten Technik ausgestatteten Kappen wie DigniCap und Paxman zur deutlichen Verringerung des Haarausfalls gegenüber Kontrollgruppen führten, sondern auch mehr als 13 Jahre alte Systeme, bei denen die Kappe deutlich schlechter saß. Dies ist für die Forscher ein Beleg für die Effizienz der Kopfhautkühlung als präventives Prinzip. Sie fordern nun alle Kliniker, die mit Krebspatientinnen zu tun haben, auf, die Kühlsysteme verstärkt einzusetzen. Den Haarverlust zu verhindern bedeute für die Frauen sehr wahrscheinlich einen enormen Gewinn an Lebensqualität.
In Deutschland wird das Scalp-Cooling bereits an mehreren Zentren, zum Beispiel am Brustzentrum der LMU München im Rahmen des Versorgungsforschungsprojekts EvaSCALP, angeboten.