Placentophagie

Der Trend, den Mutterkuchen zu essen

Dem Plazentaverzehr werden viele positive Effekte zugeschrieben. Was da dran ist, nehmen Forscher aus Jena unter die Lupe.

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Im Placenta-Labor wird die hormonelle Zusammensetzung von Plazenten untersucht.

Im Placenta-Labor wird die hormonelle Zusammensetzung von Plazenten untersucht.

© Anna Schroll/UKJ

JENA. Wenn Frauen nach einer Geburt von der Plazenta essen, soll das die Milchproduktion ankurbeln, gegen Wochenbett-Depressionen helfen und dafür sorgen, dass Mütter schneller wieder fit werden. Das jedenfalls vermitteln Lifestyle-Magazine und einschlägige Internetforen. Plazenta roh, getrocknet, als Smoothie oder in Globuli – nicht nur in esoterischen Kreisen findet das Anhängerinnen. Was an der Placentophagie dran ist, dem gehen Forscher vom Placenta-Labor der Klinik für Geburtsmedizin am Uniklinikum Jena nach.

Sophia Johnson und ihre Kollegen haben die hormonelle Zusammensetzung der Plazenta untersucht. Für die Analyse wurden Plazenten von komplikationslosen Geburten, die dem Labor von den Frauen zu Forschungszwecken überlassen wurden, ausgewählt (Placenta 2019; 67: 8-14). Um mögliche Risiken des Plazentaverzehrs aufzuspüren, wurden die Organe auch mikrobiologisch auf mögliche bakterielle Verunreinigungen untersucht, heißt es in einer Mitteilung des Uniklinikums Jena.

Parallel dazu ging es darum, wie sich die Verarbeitung der Plazenta nach traditionellen Methoden – zum Beispiel durch Trocknen oder Pulverisieren – auf die Hormonkonzentration auswirkt. „Wir haben das ausschließlich im Labor untersucht“, wird Johnson zitiert. Die Frauen selbst verzehrten ihre Plazenta nicht – weder in rohem noch verarbeitetem Zustand.

Bestimmte Hormone im Fokus

„Man weiß, dass die Plazenta eine enorme Menge an unterschiedlichen Hormonen produzieren kann“, so Johnson. Das Interesse der Forscher konzentrierte sich auf einen kleineren Teil, neben Sexualhormonen wie Östrogen und Progesteron auch Hormone, die die Milchbildung fördern und Stressreaktionen des Organismus regulieren wie Oxytocin.

Aufschlussreich waren die Messergebnisse beim Vergleich der verschiedenen Verarbeitungsmethoden der Plazenten: Der Hormongehalt sank dabei deutlich. „Beim Verarbeiten gemäß der traditionellen chinesischen Medizin zum Beispiel beträgt der Hormonverlust im Vergleich zum Rohzustand bis zu 99 Prozent“, so Jana Pastuschek, eine der Autorinnen. „Sie sind also faktisch nicht mehr nachweisbar.“

Damit stellt sich die Frage, was von dem in Erfahrungsberichten von Frauen geschilderten positiven Effekt durch die Einnahme von Plazentapulver wirklich zu halten ist. „Möglicherweise handelt es sich dabei um einen sehr guten Placeboeffekt“, vermutet Pastuschek. Wie der Organismus der Frauen die Wirkstoffe aus dem Mutterkuchen aufnimmt, könne in einer reinen Laborstudie nicht geklärt werden.

Was die mikrobiologischen Untersuchungen betrifft, so fanden die Forscher auf den Proben hauptsächlich Mikroorganismen der Vaginalflora, heißt es im Abstract zur Studie. Auch sie verschwanden nach dem Trocknen. Die Menge an potenziell toxischen Elementen wie Blei, Arsen, Cadmium oder Quecksilber waren unter dem für Lebensmittel gültigen EU-Schwellenwert.

Angesichts einer geringen Zahl von untersuchten Plazenten könne die Forschungsarbeit nur ein erster Schritt sein, betonen die Forscher in der Mitteilung des Uniklinikums. Eine weitere Arbeit soll folgen. „Es ist uns wichtig, Frauen gut und wissenschaftlich fundiert zu dem Thema beraten zu können“, begründet Privatdozentin Dr. Tanja Groten, die die Arbeit betreut. „Deshalb kümmern wir uns um dieses Thema.“ (eb/grz)

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Dr. Thomas Georg Schätzler 22.08.201909:49 Uhr

Noch ein Stück vom guten Mutterkuchen?

Ist es sinnvoll, die Plazenta zu verspeisen?

Plazentophagie ist Gegenstand einer aktuellen Studie aus den USA. Das angeblich gut verfügbare Eisen im Mutterkuchen kann die Eisenspeicher der Mütter mit dieser Sonderform des postpartalen Kannibalismus schneller wieder auffüllen, heißt es.

Ob dies nun zutrifft, wurde in der Studie „Effects of Human Maternal Placentophagy on Maternal Postpartum Iron Status: A Randomized, Double-Blind, Placebo-Controlled Pilot Study“ von Laura K. Gryder et al. untersucht.

Positive Effekte?

Angeblich „habe der Mutterkuchen eine ganze Reihe positiver gesundheitlicher Effekte: Nicht nur Depressionen soll er vorbeugen, auch die körperliche Regeneration soll er fördern und vor allem die leeren Eisenspeicher rasch wieder auffüllen. Tatsächlich bewiesen ist davon allerdings nichts“, schreibt die Redakteurin Dagmar Kraus sehr umsichtig in einem Artikel zum Thema.

Studiendesign und Verlauf

23 gesunde Frauen mit normal verlaufenden Schwangerschaften wurden randomisiert, doppelblind und placebokontrolliert untersucht. Vier Mal wurde der Eisenstatus anhand der Hämoglobin-, Transferrin- und Ferritin-Werte bestimmt: In der 36. Schwangerschaftswoche, innerhalb von 96 Stunden nach der Geburt, zwischen dem 5. und 7. Tag postpartal und in der dritten Woche nach der Entbindung. Ausreichend Eisen sollte mit der Nahrung aufgenommen, bzw. im Anschluss an die Entbindung 20 Tage lang geschluckt werden (entweder Plazentakapseln oder Placebokapseln mit Biofleisch von Weiderindern): Am 1. bis 4. Tag 3 x tgl. 2 Kapseln mit 550 mg, am 5. bis 12. Tag 2 x tgl. 2 Kapseln mit 550 mg und weitere 8 Tage 1 x tgl. 2 Kapseln mit 550 mg.

Kein signifikanter Unterschied

Kein statistisch relevant messbarer Unterschied zwischen der Plazenta- und der Placebogruppe, weder für die Parameter Hämoglobin, Ferritin oder Transferrin konnte detektiert werden. Obwohl der durchschnittliche Eisengehalt in den Plazentakapseln bei 0,664 mg/g und in den Placebokapseln nur bei 0,093 mg/g lag.

Das Autorenteam schließt seinen Abstract mit folgender Ergebnisdiskussion: „Die vorliegende Studie legt nahe, dass verkapselte Plazenta-Supplementation weder signifikant den postpartalen mütterlichen Eisenstatus verbessern noch ausgleichen kann. Dies gilt für Frauen, welche die empfohlene tägliche Menge an Nahrungseisen während Schwangerschaft und Stillzeit aufnehmen, im Vergleich zu einem Rindfleisch-Placebo...“ [„The current study suggests that encapsulated placenta supplementation neither significantly improves nor impairs postpartum maternal iron status for women consuming the RDA (recommended daily allowance) of dietary iron during pregnancy and lactation, compared to a beef placebo. This may be an especially important finding for women who are iron deficient postpartum and whose only source of supplemental dietary iron is encapsulated placenta, as this may provide an inadequate source of supplemental iron in cases of deficiency“].

Fantasie und Wirklichkeit?

Doch wer jemals auf einem Bauernhof die Spontangeburt eines Säugetieres mitbekommen hat, wird dabei unschwer festgestellt haben, dass die Plazenta nicht vom entkräfteten Muttertier selbst, sondern von den umherstreunenden, hungrigen Karnivoren in Haus und Hof weggefressen wird. Vegan bzw. vegetarisch lebende Milch-Tiere werden wohl kaum Appetit auf Plazentae haben, und nicht säugende Eier-Leger werden von den aggressiveren Fleischfressern verscheucht. Insofern beantwortet die Studie nichts weiter als irregeleitete Forschungsfantasien.

Postfaktisches?

Damit werden Zurück-zur-Natur-Wünsche von Yuppies erfüllt, die mangels ausreichender körperlicher Fitness oder Willenskraft doch keine Spontan-, Unterwasser-, Sanft- oder Kopfstand-Geburten zu Stande gebracht haben. Soll das durch den damit erforderlichen Kaiserschnitt fehlende authentische Geburtserlebnis dann über den scheinbar gesunden Gourmet-Genuss der eigenen Plazenta nachgeholt

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