Gesundheitsberichterstattung

Diabetes-Surveillance – der Weg zu evidenzbasierter Gesundheitspolitik

Seit Ende 2015 arbeitet das Robert Koch-Institut (RKI) am Aufbau einer Diabetes-Surveillance für Deutschland mit dem Ziel, eine umfassende und verlässliche Datenbasis für gesundheitspolitische Entscheidungen zu bekommen. Damit sollen die Schwierigkeiten und Lücken überwunden werden, die für die Gesundheitsberichterstattung in einem föderalen und selbstverwalteten Gesundheitssystem wie dem Deutschen typisch sind.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:

BERLIN. Zur Verbesserung der Versorgung von Patienten mit Diabetes, aber auch zur Prävention der Volkskrankheit hat es seit den 2000er Jahren einige bedeutende Anstrengungen gegeben: die Einführung einer "Nationalen Versorgungs-Leitlinie" Diabetes mellitus Typ 2 im Jahr 2002, der Start der Disease-Management-Programme (DMP) im Jahr 2003 und im gleichen Jahr die Definition des Nationalen Gesundheitsziels "Diabetes mellitus Typ – Erkrankungsrisiko senken, Erkrankte früh erkennen und behandeln" mit der Entwicklung konkreter Maßnahmen und Modellprojekte.

Interessengeleitete Daten

Doch die Wirksamkeit lässt sich schwer beurteilen. So formuliert das RKI sehr vorsichtig: "Im Zusammenhang mit der wissenschaftlichen Evidenz aus Versorgungsstudien sprechen auch Trendanalysen auf Basis der Gesundheitsdaten des RKI dafür, dass die strukturellen Veränderungen zur Verbesserung der Versorgung... beigetragen haben."

Das Problem: Im föderalen und pluralistisch geprägten Gesundheitssystem erfolgt die Beschreibung des Diabetesgeschehens bisher auf Grundlage von Daten, die von unterschiedlichen Akteuren mit jeweils eigenem Auswertungsinteresse gehalten werden. Bisherige Analysen, so das RKI, seien in ihrem Blick begrenzt und gründen sich nicht zwangsläufig auf eine nachhaltige Datenbasis. Außerdem seien die Daten selten vergleichbar. Das erschwere eine zeitnahe und evidenzbasierte Politikberaten, die jedoch zur Ableitung von Instrumenten eine verlässliche Einordnung des Krankheits- und Versorgungsgeschehens benötige. Angesichts der hohen – und steigenden – Prävalenz von Diabetes, der Kostenwirksamkeit – ein Diabetiker verursacht im Schnitt 60 Prozent höhe Krankheitsausgaben als ein Durchschnittspatient – und der ernsten Folgekomplikationen ist das eine unbefriedigende Situation.

Vier Handlungsfelder

Dem soll mit dem Aufbau einer Diabetes-Surveillance, der von Bundesregierung im Jahr 2015 beschlossen wurde, abgeholfen werden. Zuständig dafür ist das dem Bundesgesundheitsministerium unterstehende RKI, das in der jüngsten Ausgabe des "Journal of Health Monitoring" über den aktuellen Stand berichtet.

Im ersten Schritt wurden dazu vier Handlungsfelder definiert, die allerdings nicht neu sind:

» Diabetesrisiko reduzieren,

» Früherkennung und Behandlung verbessern, Indikatoren für Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität entwickeln.

» Diabetes-Komplikationen reduzieren.

» Krankheitslast und Krankheitskosten senken, auch unter Berücksichtigung der indirekten Kosten; dabei sollen auch die in Gesundheit verbrachten Lebensjahre betrachtet werden.

Auf Basis einer Sichtung international bereits etablierter Surveillance-Systeme und einer Analyse möglicher Einzelindikatoren , einem Experten-Workshop und Expertenbefragungen soll nun im ersten Halbjahr 2017 der Konsensbildungsprozess zur Auswahl der Kernindikatoren abgeschlossen werden.

Wenig Patientenorientierung

In diesem Zusammenhang sollen wichtige Daten- und Erkenntnislücken geschlossen werden. Insbesondere liegen in Deutschland bisher nur wenige Daten zu Aspekten der selbst wahrgenommenen Beeinträchtigung , zum krankheitsspezifischen Wissen und zu Informationsbedürfnissen der Diabetiker selbst vor, schreibt das RKI. Deshalb ist geplant, mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) eine gesonderte bevölkerungsrepräsentative Befragung bei Erwachsenen ab 18 Jahren zu diesen Aspekten durchzuführen. Die Erkenntnisse daraus sollen in die Informations- und Kommunikationsstrategie der BZgA einfließen.

Mehrere Konferenzrunden und Experten-Workshops hatten zum Ziel, bereits vorhandene Datenquellen auf ihre Eignung für die Diabetes-Surveillance zu prüfen und bestehende Datenlücken zu schließen.

Die dabei entwickelten Methodenprojekte lassen nach Auffassung des RKI wichtige Erkenntnisse und Kennzahlen für bisher nur unzureichend abbildbare Bereiche des Krankheitsgeschehens erwarten.

Beispielsweise können die Gesundheitssurveys des RKI aufgrund der geringen Prävalenz des Typ-1-Diabetes sowie des Typ-2-Diabetes bei Kindern und Jugendlichen keine bevölkerungsrepräsentativen Aussagen zu diesen beiden Krankheiten liefern. Diese Datenlücken könnten durch die Integration der Daten der bestehenden vier Register geschlossen werden.

Nutzung von Routinedaten

Insbesondere das bundesweite Diabetes-Patienten-Verlaufs-Register fokussiere auf die Weiterbeobachtung von jungen Patienten in junge Erwachsenenalter und auf die Analyse von Versorgungsbedarf und Versorgungsqualität.

Ein anderes Projekt werde zukünftig Daten zum seit 2015 gesetzlich festgeschriebenen Screening auf Schwangerschaftsdiabetes liefern und dazu beitragen, die Versorgung von Frauen mit Schwangerschaftsdiabetes zu verbessern.

Ferner werden ambulant sensitive Krankenhausfälle – hier handelt es sich um stationäre Behandlungen, die bei besserer Versorgungskoordination vermeidbar wären – vor allem bei Diabetes als wichtiger Qualitätsindikator der ambulanten Versorgung angesehen.

Generell sollen zusätzlich zu Survey- und Registerdaten verstärkt Sekundärdatenquellen genutzt werden, um auch versorgungsrelevante Aspekte über Indikatoren der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität besser abbilden zu können. Dazu werden Vorschläge erarbeitet, welche Indikatoren über Routinedaten der GKV gewonnen werden können – also keine zusätzliche Bürokratie für Ärzte entsteht.

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