Zucker-Verzicht
Dick trotz Süßstoff
Studien zufolge lässt sich mit Süßstoffen nur wenig bis gar nicht abnehmen. Beobachtungsstudien deuten sogar auf eine gegenteiligen Effekt hin.
Veröffentlicht:Seit Süßstoffe als Zuckerersatz populär geworden sind, wird über Nutzen und Schaden der künstlichen Kohlenhydrate diskutiert. Standen anfangs Bedenken zur Kanzerogenität im Vordergrund, geht es heute vor allem um vermeintlich appetitanregende, Übergewicht fördernde sowie diabetogene Wirkungen.
In epidemiologischen Studien zeigt sich zwar ein klarer Zusammenhang zwischen Süßstoffkonsum und Gewichtszunahme, dieser dürfte aber vor allem auf der Fehlannahme beruhen, der Verzicht auf einen Löffel Zucker im Kaffee könnte die übrigen Ernährungssünden wettmachen.
Es sind eben eher die Adipösen, die zu Süßstoffen greifen, was den Zusammenhang zwischen Übergewicht und Süßstoffkonsum weitgehend erklären kann.
Einfluss auf Darmflora
Allerdings gibt es auch ernst zu nehmende Bedenken, dass Süßstoffe selbst einen ungünstigen Effekt auf die Gewichts- und vor allem Blutzuckerkontrolle haben. In einer vor drei Jahren veröffentlichten Studie konnten Forscher bei Mäusen eine Glukoseintoleranz induzieren, wenn sie ihnen hohe Mengen Saccharin ins Futter mischten (Nature 514,181–186).
Als Ursache erwies sich eine Veränderung der Darmflora. Wurde die durch Süßstoffe veränderte Darmflora auf andere Mäuse übertragen, führte dies ebenfalls zu Problemen beim Glukosestoffwechsel.
Ähnliches beobachteten die Forscher bei gesunden Testpersonen: Bei hohem Saccharinkonsum litt die Glukosetoleranz und es kam zu Darmfloraveränderungen wie bei Mäusen. Ob solche Effekte auch beim üblichen Süßstoffkonsum von Bedeutung sind, ist jedoch eine andere Frage.
Diese können zwar auch Forscher um Dr. Meghan Azad von der Universität in Winnipeg nicht beantworten, immerhin haben sie aber die vorhandene Literatur nach kontrollierten Untersuchungen und Kohortenstudien zu dem Thema durchforstet (CMAJ 2017;189:E929-39).
Das Ergebnis ist wenig überraschend: In 30 Kohortenstudien stellte sich erneut heraus, dass adipöse Menschen häufiger Süßstoffe konsumieren, in sieben randomisiert-kontrollierten Untersuchungen – zumeist mit Adipösen und Hypertonikern – gab es keinen klaren Zusammenhang zwischen Süßstoffkonsum, Gewicht oder kardiometabolischen Veränderungen.
30 Kohortenstudien mehr als 400.000 Teilnehmern
Insgesamt hatten an den 30 Kohortenstudien mehr als 400.000 Personen teilgenommen, immerhin rund 1000 waren es zusammengenommen in den randomisiert-kontrollierten Studien.
In diesen hatten die Teilnehmer im Süßstoffarm gesüßte Lebensmittel oder einfach nur Süßstoff zur Verfügung gestellt bekommen, in den Kohortenstudien war der Süßstoffkonsum über Ernährungsfragebögen ermittelt worden.
Die kontrollierten Studien ergaben in den Süßstoffgruppen eine geringe, aber statistisch nicht belastbare Gewichts-, BMI- und Bauchumfangabnahme. Eine signifikante Gewichtsreduktion wurde immerhin in Untersuchungen mit einer Dauer von 1,5–2 Jahren erzielt, nicht aber in kürzer dauernden Studien.
Die Kohortenstudien deuteten – auch unter Berücksichtigung von Anfangsgewicht und BMI – auf eine leichte Gewichtszunahme bei hohem Süßstoffkonsum, was sich prima mit einer reversen Kausalität erklären lässt: Wer viel zunimmt, will dem vielleicht mit Süßstoffen entgegensteuern.
30 Prozent häufiger metabolisches Syndrom
Nicht wirklich erhellend sind auch die metabolischen Resultate. In den kontrollierten Studien wurden sie erst gar nicht erhoben – diese waren zu klein und dauerten nicht lange genug, um etwa Auswirkungen auf die Diabetesinzidenz zu erfassen.
In den Kohortenstudien trat ein metabolisches Syndrom in den Gruppen mit dem höchsten Süßstoffkonsum etwa 30 Prozent häufiger auf, die Diabetesrate war rund drei Prozent höher als bei Teilnehmern mit geringem Süßstoffgebrauch.
Auch diese Differenzen lassen sich gut über eine reverse Kausalität erklären: Wer dick wird, nimmt eher Süßstoffe, bekommt aufgrund seiner Gewichtszunahme aber auch eher metabolische Probleme.
Signifikante Unterschiede bei der Insulinresistenz und Glukosetoleranz wurden in den Untersuchungen nicht gefunden.
Weiter untergraben werden die Resultate durch eine häufig schlechte Qualität und eine hohe Heterogenität der Studien. Was bleibt, ist wieder einmal die Erkenntnis, dass sich der Einfluss einzelner Ernährungskomponenten kaum in Studien nachweisen lässt – vor allem nicht in fragebogenbasierten Kohortenstudien.