Entscheidung aus dem Bauch heraus
Die Ungerechtigkeit des Frühstücks
Was wir essen, beeinflusst maßgeblich, welche Entscheidungen wir treffen: In einer Studie beobachteten Forscher, wie sich das Gerechtigkeitsempfinden mit den aufgenommenen Nährstoffen ändert.
Veröffentlicht:LÜBECK. Durch Essen und Nahrungsaufnahme werden nicht nur durch Emotionen und Gefühle beeinflusst, vielmehr beeinflusst auch die Nahrung offenbar unser emotionales Entscheidungsverhalten. Wer viele zum Beispiel Kohlenhydrate zum Frühstück zu sich nimmt, lehnt unfaire Angebote schneller ab: Eine Studie im Fachmagazin "PNAS" hat diesen Zusammenhang zwischen der aufgenommenen Makronährstoffzusammensetzung und den getroffenen Entscheidungen gefunden (doi: 10.1073/pnas.1620245114).
Die Studie bestand aus zwei Teilen: Im ersten Versuchsdesign hatten die Forscher einen Zusammenhang zwischen den Nährstoffen im gewohnten Frühstück der Probanden und der Häufigkeit einer sozialen Zurückweisung im Blick. Die 87 Teilnehmer nahmen zunächst ihr normales Frühstück ein und spielten im Anschluss das Ultimatumspiel.
Bei dem mathematischen Spiel aus der Spieltheorie erhielt ein fiktiver Akteur eine Geldsumme von den Spielleitern. Dieser bot dem Probanden einen Anteil aus diesem Geldbetrag: Nimmt der Teilnehmer den Betrag an, erhalten beide Seiten den ausgehandelten Betrag – tut er das nicht, erhält keiner von beiden das Geld. Der Versuchsteilnehmer sieht dabei, wie hoch der Gesamtbetrag ist und wie viel der Anbieter bereit ist, von diesem Betrag an ihn abzugeben.
Mit dem Ultimatum-Spiel messen Forscher, inwiefern von Probanden als ungerecht empfundene Entscheidungen sozial sanktioniert werden – durch Zurückweisung und damit den Totalverlust für beide Seiten.
Kohlenhydrate ändern Entscheidungen signifikant
Teilnehmer, die angaben, viele Kohlenhydrate zum Frühstück gegessen zu haben, lehnten unfair empfundene Angebote signifikant öfter ab: Mit 53 Prozent taten dies mehr als die Hälfte, während in der Low-Carb-Gruppe nicht einmal ein Viertel solche Offerten ablehnte.
In einer zweiten randomisierten Cross-Over-Studie mit Doppelverblindung untersuchten die Lübecker Forscher die ersten Studienergebnisse durch eine Intervention. 22 männliche Teilnehmer erhielten abwechselnd ein Frühstück mit einem hohen Kohlenhydratanteil (80 Prozent Kohlenhydrate, 10 Prozent Eiweiß, 10 Prozent Fette) und eines mit einem niedrigeren Anteil – entsprechend den Empfehlungen der Deutschen Gesellshaft für Ernährung (50-25-25). Frauen wurden nicht einbezogen, um geschlechtsspezifische Unterschiede auszuschließen. Die Auswaschphase zwischen den beiden Frühstücksphasen betrug mindestens sieben Tage.
Das Ergebnis bestätigte die Resultate aus der ersten Studie: "Nach einem Frühstück mit hohem Kohlenhydratanteil waren die Probanden sehr viel empfindlicher gegenüber unfairen Angeboten als in der Versuchsbedingung mit einer ausgeglichenen Makronährstoffkomposition", sagt Prof. Sebastian Schmid von der Universität Lübeck in einer zusätzlichen Pressemitteilung. Ein unfaires Angebot war demnach ein angebotener Anteil zwischen 18 und 22 Prozent des Gesamtbetrags; ein faires Angebot definierten die Forscher zwischen 40 und 50 Prozent.
Tyrosin als möglicher Trigger
Zusätzlich zu neurokognitiven Tests analysierten die Forscher die Blutproben der Probanden. Ergebnis: Je höher der Kohlenhydratanteil und entsprechend niedriger der Proteinanteil war, umso niedriger waren die Tyrosinspiegel. Einzig die Veränderung der postprandialen Tyrosinkonzentrationen im Blut, welche direkt auf die zentralnervösen Konzentrationen des Neurotransmitters Dopamin schließen lassen, konnten als kausaler Mechanismus für den Zusammenhang von kohlenhydratreicher Nahrung und erhöhter Sensibilität gegenüber unfairen Angeboten identifiziert werden. Keine weiteren Blutparameter änderten sich signifikant.
Die Resultate könnten weitreichenden Folgen für Ernährungsempfehlungen haben, prognostizieren die Studienleiter, da diese nicht nur Auswirkungen auf die körperliche Gesundheit hätten, sondern auch auf das soziale Verhalten: "Populäre Diäten – beispielsweise Low-Carb-Diäten – müssen mit Vorsicht genossen werden". Umgekehrt könnten Lebensmittel auch stärker eingesetzt werden, um Verhaltensänderungstherapien zu unterstützen.
Auch in einer Pressemitteilung der Deutschen Diabetes Gesellschaft wird auf die Studie hingewiesen. Das Ergebnis sei insofern überaus interessant, "als es erstmals beim Menschen zeigt, wie sehr unsere Ernährung Einfluss auf unseren Neurotransmitter-Haushalt hat und dieser wiederum unser Verhalten bestimmt".