Tückisches Virus

Experten rechnen mit mehr Grippe-Toten

In diesem Jahr hat die Grippewelle Deutschland schwer erwischt. Hinzu kommt, dass die Impfung nicht optimal wirkt. Das kann zu mehr Todesfällen führen, sagen Experten.

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BERLIN. Die laufende Grippesaison ist in Deutschland auf dem Höhepunkt angekommen - und hat es in sich. Fast 40.000 Menschen sind bisher nachweislich an Influenza erkrankt, im ganzen Land wird gefiebert, geschnupft und gehustet.

Dazu kommt noch ein Negativ-Effekt: Ein wandlungsfreudiges Grippevirus hat eine Komponente der Impfung außer Kraft gesetzt. Geimpfte haben damit keinen so guten Schutz wie in anderen Jahren. Grippeforscher rechnen deshalb damit, dass es zum Ende der Saison mehr Tote geben könnte als sonst in einem Winterhalbjahr üblich. Für Belege ist es aber zu früh.

Noch läuft die Grippewelle auf Hochtouren und mehr als doppelt so viele Patienten wie sonst im Winter gehen wegen Atemwegserkrankungen zum Arzt. Darunter sind besonders viele Erwachsene zwischen 39 und 59 Jahren. "Zu rund 60 Prozent ist es dann auch die Grippe", sagt Silke Buda, Leiterin der Arbeitsgemeinschaft Influenza am Berliner Robert Koch-Institut (RKI).

"Die aktuelle Influenza-Saison gehört sicher zu einer der schwereren Wellen der vergangenen Jahre." Allein in der neunten Kalenderwoche kamen 12.000 bestätigte neue Fälle hinzu. Dass die Zahl der Arztbesuche Ende Februar nicht noch weiter gestiegen ist, könnte ein erster Hinweis darauf sein, dass sich die Lage in den kommenden Wochen bessert.

Dass Grippe-Zahlen von Jahr zu Jahr schwanken, ist normal. Von den hohen Erkrankungszahlen her ist die aktuelle Welle mit der Saison 2012/13 vergleichbar. Von der Dominanz einer der drei Grippeviren - Typ A H3N2 - ähnelt sie aber eher dem Winter 2008/2009. Das sind beides keine guten Nachrichten: Vor sieben Jahren gab es geschätzte 18.000 Grippetote in Deutschland, vor zwei Jahren waren es geschätzte 20.000.

Schätzungen erst mit Abstand von einem Jahr möglich

Es sei noch zu früh zu sagen, ob es nun erneut zu einer deutlich höheren Sterblichkeit durch die Grippe kam, betont Buda. Die Schätzungen auf Basis der Zahlen des Statistischen Bundesamts seien erst mit mehr als einem Jahr Abstand möglich.

Durchschnittlich gibt es geschätzte 8000 bis 11.000 Grippetote pro Jahr. Allein das sind mehr als doppelt so viele Menschen wie jedes Jahr in Deutschland bei Verkehrsunfällen sterben. "Es gibt aber keine Durchschnittsgrippewelle, sodass auch die Zahl der Grippetoten von Jahr zu Jahr schwankt", betont Buda. Jede Saison habe ihre eigenen Charakteristika.

In der aktuellen Welle zirkuliert bisher zu 80 Prozent der Subtyp A H3N2. Mit diesem Typ haben Experten unangenehme Erfahrung: Er scheint regelmäßig schwerere Grippewellen auszulösen. A-Viren haben darüber hinaus eine größere Neigung, sich zu verändern, berichtet Buda.

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) geschah das in den vergangenen 25 Jahren viermal. Ganz anders das gefürchtete Schweinegrippe-Virus vom Subtyp A H1N1: Es blieb seit 2009 stabil, obwohl gerade hier Mutationen befürchtet wurden.

Seit der WHO-Impfempfehlung für die Nordhalbkugel von Ende Februar 2014 hat sich das H3N2-Virus auch in Deutschland verändert, berichtet Buda. "Das bleibt hoffentlich ein Ausreißer", ergänzt die Expertin. Denn jede Veränderung bedeutet, dass das im Vakzin enthaltene Eiweiß nicht mehr mit dem Oberflächeneiweiß des Erregers übereinstimmt.

Impfung mit beschränkter Wirkung

Das hat zwei gravierende Folgen: "Bei Menschen, die in früheren Jahren mal eine Grippe mit H3N2 hatten, gibt es für das Immunsystem dann keinen Wiedererkennungseffekt", erläutert Buda. Dadurch werden mehr Menschen nach einer Infektion krank. Auch die Grippeimpfung kann bei einem veränderten Virus nicht den erwarteten Schutz erzielen. Denn die Komponente gegen A H3N2 wirkt schlechter oder gar nicht.

Gefährlich ist ein nur schwach wirkendes Vakzin vor allem für geimpfte alte Menschen mit Vorerkrankungen. "Je schwächer das Immunsystem ist, desto schwerer kann es auf ein neues Influenza-Virus angemessen reagieren", erläutert Buda. Damit wachse die Gefahr von Komplikationen.

Wenn dann zur Grippe-Vireninfektion noch eine Bakterieninfektion wie zum Beispiel eine Lungenentzündung kommt, kann es für betagte Patienten eng werden. Viel seltener rafft die Grippe junge, gesunde Menschen hinweg - ausgeschlossen ist auch das aber nicht.

"Trotz aller Bemühungen bleibt es schwer, die genauen Influenza-Subtypen, gegen die der Impfstoff wirken muss, so weit im Voraus schon zu bestimmen", sagt Carlos Guzman, Experte am Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung. Ein universeller Impfstoff, der auch gegen Varianten der Subtypen wirken könnte, befinde sich erst im Stadium der Grundlagenforschung, ergänzt Buda. "Für die nächsten Jahre ist das nicht absehbar."

Es sei trotzdem auf jeden Fall sinnvoll, sich auch in diesem Herbst wieder impfen zu lassen, betonen beide Experten. Denn es gebe keine Alternative zum Impfschutz - auch wenn die Wirkung leider nicht immer garantiert werden könne. Nur wenn sich die Viren nach der WHO-Empfehlung und der massenhaften Produktion von Impfstoff nicht verändern, kann die Impfung gut schützen.

In Deutschland liegt die Impfquote mit rund 30 Prozent bei Grippe ohnehin sehr niedrig. Für ältere Menschen empfiehlt die WHO zum Beispiel eine Grippe-Impfquote von 75 Prozent. Allein die Impfmüdigkeit der Deutschen gegen das Virus macht es Grippewellen hier also leichter - und zwar jedes Jahr. Und je mehr Menschen krank werden, desto größer sei auch die Gefahr von schweren Verläufen, sagt Buda. Und damit von Todesfällen. (dpa)

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Kommentare
Dr. Wolfgang P. Bayerl 11.03.201511:54 Uhr

pardon, ein Tippfehler, sollte natürlich "Hausarzt" heißen.

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Dr. Wolfgang P. Bayerl 11.03.201511:50 Uhr

Hauarzt Dr. Thomas Georg Schätzler, lassen Sie einfach Ihre ad hominem-Attakken

"Ich habe lediglich die WHO und willfährige Impfstoff-Hersteller wegen der Zusammensetzung des aktuellen Influenza-Impfstoffs o h n e Typ-A-H3N2 kritisiert."
genau!
und dann noch von "unverzeihliche Lücken bzw. systematisches Versagen" und " Gewinnmaximierung der Impfstoff-Industrie "
das ist nicht sehr sachdienlich, insbesondere wenn man ganz energisch bestreitet ein Impfgegner zu sein.

Dr. Thomas Georg Schätzler 09.03.201522:40 Uhr

@ Dr. Wolfgang P. Bayerl

Lieber chirurgischer Kollege Bayerl,
wenn Sie formulieren, "es ist etwas verwirrend, wer was zu wem gesagt hat", liegt das in erster Linie daran, dass Sie oft gar nicht verstehen, worum es eigentlich geht! Das merkt man nicht nur an einer allgemeinen Lese-Schreib-Schwäche bzw. an Ihren gelegentlich abwegigen Kommentaren nicht nur mir gegenüber.

Wie kommen Sie auf den absurden Gedanken, ich könne "ein Impfgegner?" sein. Und was soll Ihre noch absurdere Frage: "Wenn ja warum?"
Ich habe lediglich die WHO und willfährige Impfstoff-Hersteller wegen der Zusammensetzung des aktuellen Influenza-Impfstoffs o h n e Typ-A-H3N2 kritisiert. Ich werfe inkompetenten "Gesundheits"-Politikern, Bürokraten, Ärzte- und Kassenfunktionären, der STIKO, einem Teil der Medien und anderen vor, dass sie aktuelle infektionsepidemiologische Literatur speziell zu Masern/Influenza, die es nun mal nur aus dem englischsprachigen Raum gibt, belegbar nicht zur Kenntnis nehmen wollen oder können.

Und ich fordere mit Nachdruck Reflexion bzw. Selbstkritik, um b e s s e r e Impfstoffe und ein b e s s e r e s, effizienteres Impfmanagement für unsere Patientinnen und Patienten zu entwickeln – egal woher sie kommen und wohin sie gehen werden. Dafür bitte ich Sie um Ihre gedankliche Mitarbeit, auch wenn ich die Hoffnung manchmal schon aufgegeben habe.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund (z. Zt. Mauterndorf/A)

Dr. Wolfgang P. Bayerl 08.03.201519:26 Uhr

Lieber Herr Kollege Schätzer, es ist etwas verwirrend, wer was zu wem gesagt hat,

sind Sie ein Impfgegner? Wenn ja warum? Die Wahl der Virusstämme für die folgende Saison wird übrigens von der WHO getroffen, nicht von der bösen Industrie. Bereits jetzt liegt schon die Empfehlung für das kommende Jahr vor, da ist dann nicht überraschend A H3N2 dabei. Ich würde daher nicht zu streng sein.
Ich lasse mich auch selbst regelmäßig impfen und nehme auch wenn nötig schon mal Antibiotika, nicht gegen Viren natürlich. Von pathogenen Keimen werden wir nie frei sein, gerade durch den internationalen Verkehr, da kommt immer Nachschub, der Wachsamkeit und Sachverstand erfordert.

Dr. Thomas Georg Schätzler 08.03.201517:34 Uhr

Infektionsepidemiologische Influenza-Naivitäten auch in der Ärzte Zeitung?

Dieser dpa-Artikel ist m. E. auch und gerade in der Ärzte Zeitung ein "no-go"! Ein "Tückisches Virus", wie im dpa-Titel nicht mal apostrophiert wird, gibt es nicht: "Tücke" oder gar "Heimtücke" setzen eine gedankliche Planung, ein vorsätzlich-bewusstes, schädigen-wollendes Handeln voraus. Darüber verfügen weder irgendwelche Krankheitserreger noch Alligatoren, Flusspferde, Haie, Hunde, Katzen, Schlangen, Zebras usw. auch wenn deren Angriffe "zu mehr Todesfällen führen" könnten.

Selbst der prominente Leitartikel (1) im aktuellen Deutschen Ärzteblatt (DÄ): "SEITE EINS - Bekämpfung der Influenza: Impf- und Wissenslücken schließen" [Dtsch Arztebl 2015; 112(10): A-387 / B-335 / C-327] von Frau Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze, "Ressort Medizinreport", zeugt eher von naivem Empirismus als von angewandter infektionsepidemiologischer Feldforschung!

Die von dpa berichtete Position von Frau Dr. Silke Buda, Abteilung für Infektionsepidemiologie am Robert Koch-Institut (RKI): "In der aktuellen Welle zirkuliert bisher zu 80 Prozent der Subtyp A H3N2. Mit diesem Typ haben Experten unangenehme Erfahrung: Er scheint regelmäßig schwerere Grippewellen auszulösen. A-Viren haben darüber hinaus eine größere Neigung, sich zu verändern, berichtet Buda" wirkt beschönigend. Ebenso wie die Behauptung im DÄ, "die aktuell zirkulierenden A(H3N2)-Viren werden durch die Impfantikörper weniger gut erkannt als in früheren Jahren".

Denn damit werden das entscheidende Versagen der WHO-Influenza-Frühwarnsysteme und die Nachlässigkeiten der Influenza-Impfstoff-Hersteller verharmlost. Der Hinweis im DÄ: "Anders als zum Beispiel Masernviren, die eine geringe Variabilität haben und gegen die es daher konstant gut wirksame Impfstoffe gibt (siehe Thema „Impfpflicht“ in diesem Heft), verändern sich Influenzaviren rasch" entpuppt sich als virologische Binsenweisheit, die im konkreten Fall gar nicht weiter hilft.

Im DÄ-Artikel wird ausgerechnet das Zitat des Influenzaexperten Dr. med. Sebastian Grund vom Institut für Virologie der Universität Düsseldorf angeführt: "Die Virusstämme gut vorhersagen zu können, ist so schwierig wie beim Wetter". Was für ein infektiologisch hinkender Vergleich? Eine meteorologische Treffer-Wahrscheinlichkeit von i. d. R. weit unter 50 Prozent, würde eine jährliche Wirkungsprofil-Anpassung von weltweit eingesetzten Influenza-Impfstoffen ad absurdum führen.

Was hier infektiologisch-bildungsfern nicht mal ansatzweise diskutiert wird, ist die Tatsache, dass Standard-dosierte Influenza-Impfstoffe, egal in welcher aktualisierten Abstimmung, nur zu einem bedenklich geringen Prozentsatz wirksam sind. Nicht nur deshalb muss zur Gewinnmaximierung der Impfstoff-Industrie die Influenza-Schutzimpfung jährlich wiederholt werden.

Nach einer aktuellen Lancet-Metaanalyse aus den Niederlanden, war in 35 Studien aus 15 Ländern und neun Influenza-Saisons zwar das Risiko für eine Influenzainfektion bei sporadischen Ausbrüchen um 31 Prozent, bei regionalen um 58 Prozent und bei großflächigen um 46 Prozent gesenkt worden. Aber dies bedeutet im Umkehrschluss, dass es in 69 bis 42 Prozent n i c h t zu einer Risikominderung gekommen war (Lancet Infect Dis 2014; 14: 1228). (2)

F e h l t die Übereinstimmung zwischen Impfstamm und zirkulierenden Viren, ergibt sich ein höheres Versager-Risiko von 57 bis 72 Prozent. Dass bei lokaler Virusausbreitung gar k e i n Schutz detektiert werden konnte, spricht eine deutliche Sprache.

Der aktuelle Zusammenhang von primären Influenza-Impfversagern bei der Influenza-Standard-Schutzimpfung u n d die aktuell zirkulierenden A(H3N2)-Influenza-Viren e r h ö h e n derzeit entscheidend Morbidität, Mortalität und klinisch/ambulante Versorgungsprobleme. Die derzeitige H3N2-Influenza-Epidemie ist präventivmedizinisch nicht beherrschbar und deutet auf unverzeihliche Lücken bzw. systematisches Versagen hin.

Im Lancet-Kommentar wurde von D

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