COPD

"Fünf Tage systemische Steroide genügen"

Bei jeder COPD-Exazerbation, die mit Bronchodilatatoren nicht ausreichend behandelt ist, sind systemische Kortikosteroide indiziert. Nach neueren Studiendaten reichen fünf Tage aus, sagt Professor Claus Vogelmeier vom Uniklinikum Gießen und Marburg.

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:

Prof. Claus Vogelmeier

'Fünf Tage systemische Steroide genügen'

© Prof. Vogelmeier

Aktuelle Position: Direktor der Klinik für Innere Medizin mit Schwerpunkt Pneumologie am Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Standort Marburg.

Werdegang: 1982 Approbation; 1984 Promotion; Weiterbildung zum Internisten an der LMU München; 1998-2001: Leiter des Schwerpunkts Pneumologie an der LMU München .

Engagement: 2009-2011 Präsident der DGP, im Vorstand der Atemwegsliga, im wissenschaftlichen Komitee von GOLD (Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease)

Ärzte Zeitung: Herr Professor Vogelmeier, die Zahl der Exazerbationen pro Jahr ist neben der Lungenfunktion und der klinischen Symptomatik ein wichtiges Kriterium bei der Beurteilung der Schwere einer COPD. Wie unterscheidet sich denn eine Schwankung des Allgemeinbefindens von einer Exazerbation?

Professor Claus Vogelmeier: Solche Schwankungen können während des Tages auftreten, oft mit einem Symptommaximum am Morgen, und die Symptome können von Tag zu Tag in ihrer Intensität wechseln. Bei einer Exazerbation verändert sich die Symptomatik über das dem Patienten bekannte Maß hinaus.

Oder die Beschwerden halten länger an als sonst üblich. Den Patienten würde ich also fragen, ob ihm solche Schwankungen bekannt sind und ob das, was er jetzt an Intensität der Symptome erlebt, darüber hinaus geht.

Inwieweit hilft die Auskultation bei der klinischen Beurteilung?

Vogelmeier: Es kann sein, dass man wenig oder gar nichts hört. Diese "stumme Lunge" zeigt an, dass der Patient sehr schlecht dran ist: die kleinen Atemwege sind so eng, dass kaum noch Luft fortgeleitet wird.

Es kann aber auch sein, dass ein klassisches Giemen oder Brummen vorliegt oder dass das Atemgeräusch leise ist aber ohne Nebengeräusche. Die Breite der möglichen Auskultationsbefunde ist groß.

Im Wochenenddienst wird der Hausarzt zu einem COPD-Patienten gerufen, den er nicht kennt. Es scheint eine Exazerbation vorzuliegen. Wann muss der Patient ins Krankenhaus, wann kann er ambulant weiter betreut werden?

Vogelmeier: Klinisch würde ich das davon abhängig machen, ob der Patient zum Beispiel sehr tachypnoisch ist und ob die Atemhilfsmuskulatur eingesetzt wird. Des Weiteren ist die Beurteilung des Herz-Kreislauf-Systems von Bedeutung: Ist der Patient tachykard? Ist er deutlich hyperton oder gar hypoton?

Und drittens beurteile ich das Zentralnervensystem: Ist der Patient orientiert, verwirrt, in seiner Urteilsfähigkeit eingeschränkt? All dies wären Hinweise darauf, dass es dem Patienten richtig schlecht geht...

... und man über eine Einweisung ins Krankenhaus nachdenken sollte.

Vogelmeier: Ja. Wichtig ist es allerdings, Differentialdiagnosen zur Exazerbation zu bedenken und zum Beispiel auf klinische Zeichen einer Pneumonie wie hohes Fieber zu achten. Wenn man bei der Auskultation auf einer Seite Atemgeräusche hört, auf der anderen Seite nicht, könnte ein Pneumothorax vorliegen.

Und: Hat der Patient geschwollene Beine sowie weitere klinische Zeichen einer Herzinsuffizienz mit entsprechender Medikation und entsprechenden Vorbefunden? Auch ein Patient mit COPD muss nicht immer eine COPD-Exazerbation haben!

Nun berichtet der Patient, er leide sowohl an Asthma als auch an COPD...

Vogelmeier: In der Akutsituation bei einem Hausbesuch macht das natürlich erst Mal keinen Unterschied. Therapeutisch würde die Bronchodilatation im Vordergrund stehen, da kann man sowohl bei Asthma als auch bei COPD mit Betamimetika und mit Anticholinergika agieren. Je nach Schweregrad der Exazerbation würde man dann über den Einsatz systemischer Kortikosteroide nachdenken.

Der einzige wesentliche Unterschied, der sich vor Ort ergibt, ist die Frage, ob man ein Antibiotikum verordnet oder nicht. Wenn es sich um einen Raucher handelt und die typische COPD-Anamnese vorliegt, der Patient also Sputum und Auswurf kennt, und wenn der Auswurf in letzter Zeit deutlich zugenommen und sich grünlich verfärbt hat, wäre das ein klinischer Indikator für eine bakterielle Infektion.

Was für ein Antibiotikum käme in Betracht?

Vogelmeier: Das hängt vom Schweregrad der COPD ab. Kenne ich den Patienten nicht, wird typischerweise ein Breitspektrum-Penicillin gegeben, das vor allem die wichtigsten Keime bei COPD-Exazerbationen, die Pneumokokken, adressiert. Im Krankenhaus würde man das Risiko auf Pseudomonas prüfen und gegebenenfalls das Antibiotikum wechseln.

Ab wann ist die Indikation für systemische Kortikosteroide gegeben?

Vogelmeier: Bei jeder Exazerbation, die mit Bronchodilatatoren nicht ausreichend behandelt ist. Im Wesentlichen kommt es auf die Schwere der Symptomatik an. Üblicherweise beginnt man mit 20 bis 40 mg pro Tag. Nach neueren Studiendaten reichen fünf Tage aus. Danach kann das Kortikosteroid, ohne die Dosis auszuschleichen, abgesetzt werden.

Bei der COPD-Dauertherapie würden zu häufig inhalative Kortikosteroide verordnet, kritisieren Pneumologen. Aber könnte dies nicht auch damit zu erklären sein, dass in der ambulanten Praxis doch relativ häufig Asthma-COPD-Überlappungen vorliegen?

Vogelmeier: Die Differentialdiagnose in der Praxis zu stellen, ist nicht immer leicht. Das Prinzip ist eine Mustererkennung. Und ein zentraler Aspekt dieser Mustererkennung ist die Vorgeschichte: Ist der Patient jung symptomatisch geworden oder erst nach dem 40. Lebensjahr? Ist eine Atopie bekannt? Wie ausgeprägt ist die Raucheranamnese?

Ist die Symptomatik mehr oder weniger kontinuierlich oder besteht eine anfallsweise Atemnot? Gibt es eine Beteiligung der oberen Atemwege oder nicht? Aus den Antworten ergeben sich die Mosaiksteine für ein Asthma- oder ein COPD-Muster.

Ein wichtiger Punkt ist dann die Lungenfunktionsprüfung.

Vogelmeier: Diese wird leider zu häufig nicht durchgeführt. Ohne Lungenfunktionsprüfung kann ich mir aber nicht sicher sein, welche Krankheit vorliegt. Nur auf Basis von Anamnese und Lungenfunktionsprüfung sollte ein Therapieversuch gestartet werden. Sich für die vermeintlich sichere Therapie inklusive eines inhalativen Kortikosteroids (ICS) zu entscheiden, ist falsch.

ICS haben nur bei höhergradiger COPD und bei gehäuften Exazerbationen einen Stellenwert, und zwar in Kombination mit langwirkenden Betamimetika. Ansonsten haben ICS bei COPD keinen Nutzen und erhöhen in der Langzeitanwendung das Nebenwirkungs- und besonders das Pneumonierisiko.

COPD-Patienten weisen im Allgemeinen eine Reihe von Komorbiditäten auf. Wie ist damit umzugehen?

Vogelmeier: Das ist eine ganz zentrale Frage, auf die es leider noch keine ausformulierten Antworten gibt. Was man schon jetzt sagen kann ist, dass Komorbiditäten des Herz-Kreislauf-Systems am wichtigsten sind: Patienten mit COPD versterben genauso häufig an kardiovaskulären Komplikationen wie an Komplikationen ihrer Lungenerkrankung.

Umgekehrt gibt es deutliche Hinweise darauf, dass Patienten mit Herzinsuffizienz oder mit koronarer Herzkrankheit sehr häufig zusätzlich an einer COPD leiden, und diese bestimmt die Prognose der Herzkreislauf-Patienten mit.

Ich empfehle deshalb, sich bei COPD-Patienten einen Überblick darüber zu verschaffen, ob zusätzlich ein kardiovaskuläres Problem vorliegt, idealerweise mit einem Elektrokardiogramm, einer Echokardiographie und einem BNP-Wert.

Welche weiteren Komorbiditäten sind bedeutsam?

Vogelmeier: Als zweites möchte ich zentralnervöse Störungen nennen. Wir haben in den vergangenen Jahren gelernt, dass Depressionen und/oder Angststörungen eine große Rolle dabei spielen, wie oft COPD-Patienten ins Krankenhaus gehen und wie oft sie Exazerbationen haben.

Diesem Problem müssen wir uns verstärkt zuwenden. Drittens die Osteoporose: osteoporotische Sinterungsfrakturen der Brustwirbelkörper sind bezüglich der Atemmechanik für COPD-Patienten eine schwere Hypothek.

Und schließlich sollte man stets das Körpergewicht des Patienten im Auge behalten und routinemäßig nach seinem Appetit fragen. Eine Kachexie, die immer mit einem Muskelschwund einhergeht, beeinträchtigt massiv die Lebensqualität, die körperliche Belastbarkeit und verschlechtert die Prognose.

Bekommt man denn da vom Patienten realistische Antworten?

Vogelmeier: Bei höhergradiger COPD empfehle ich immer die Konsultation eines Pneumologen. Er kann klären, ob eine schwere Gasaustauschstörung vorliegt und demzufolge eine Sauerstoff-Langzeittherapie erforderlich ist. Und die körperliche Verfassung kann mit einem Belastungstest geprüft werden.

In Zukunft werden wir ganz sicher routinemäßig die körperliche Aktivität von COPD-Patienten messen, und zwar mit einfachen, am Körper zu tragenden Geräten, die etwa Hautwiderstand, Körpertemperatur, Kalorienverbrauch und Schrittzahl messen.

Aus mehreren Indikationsgebieten gibt es eindeutige Hinweise darauf, dass die körperliche Aktivität die Prognose maßgeblich bestimmt. Daher müssen wir diese Parameter objektivieren.

Welche therapeutische Konsequenzen hätte dies?

Vogelmeier: Patienten mit Mangelernährung und/oder mit schlechter körperlicher Belastbarkeit benötigen eine Rehabilitation. In entsprechenden Einrichtungen werden diese Probleme adressiert und es wird versucht, die körperliche Aktivität zu verbessern, die Patienten über ihre Erkrankung aufzuklären und die Ernährung zu verändern.

Die Differenzialtherapie bei COPD soll nach aktueller GOLD-Leitlinie ja nicht nur auf der Lungenfunktion basieren. Entscheidungsgrundlage ist jetzt eine dreidimensionale Klassifikation aus Spirometrie, Fragebogenauswertung und Exazerbationsfrequenz. Ist das für die tägliche Praxis nicht etwas kompliziert?

Vogelmeier: In anderen Indikationsfeldern der Medizin gibt es teilweise eine viel ausgeprägtere Komplexität. Ich sage: Man muss es sich nicht unnötig kompliziert machen. Die Lungenfunktion sollte bei jedem Patienten gemessen werden. Entscheidend für die Therapie sind dann die Antworten auf zwei Fragen.

Erstens: Hat der Patient eine Exazerbationsanamnese - ja oder nein? Zweitens: Ist der Patient höhergradig symptomatisch - ja oder nein? Ob man die Graduierung der Symptomatik mit Hilfe eines etablierten Fragebogens vornimmt oder ob man auf seine klinische Erfahrung vertraut, ist zweitrangig.

Ein Patient mit höhergradiger COPD-Symptomatik hat auch einen höheren Aufforderungscharakter in Bezug auf die Therapie. Ist dies nicht der Fall, kann man es vergleichsweise ruhig angehen lassen.

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