Todesfälle vermeiden
Systematisches Screening macht bei Sepsis den Unterschied
Jeder dritte Sepsis-Todesfall in Deutschland wäre vermeidbar. Bei einer Fachveranstaltung wurden Erfolgsfaktoren für eine erfolgreiche Prophylaxe und Erkennung benannt.
Veröffentlicht:Rund 70.000 Menschen in Deutschland sterben nach Angaben des Aktionsbündnisses Patientensicherheit (APS) pro Jahr an einer Sepsis. Immerhin 15.000 dieser Todesfälle gelten als vermeidbar. Drei völlig verschiedene aber gleichermaßen erfolgversprechende Wege, die Sepsissterblichkeit zu senken, zeigte eine Fachveranstaltung des APS gemeinsam mit der Sepsis Stiftung, der Deutschen Sepsis-Hilfe, Sepsis Dialog und der Unimedizin Greifswald.
"Sepsis ist ein Notfall", sagt Privatdozent Dr. Matthias Gründling von der Universitätsklinik Greifswald. Diffuse Symptome machen die Erkennung von Sepsis aber schwierig. Ein systematisches Screening soll das ändern – Modell eins für eine erfolgreiche Prophylaxe.
Bereits ein papierbasiertes Screening in der Notaufnahme verbessere die Erkennung, erklärte Gründling. Wichtig sei zudem eine schnelle Blutkulturdiagnostik. Das Uniklinikum Greifswald hat die Blutkulturdiagnostik laut Gründling um 28 Stunden beschleunigt. Ländliche Kliniken, die bislang eine weit entfernte Mikrobiologie nutzen, hätten einen noch größeren Zeitvorteil von einer 24/7-Blutkulturdiagnostik vor Ort, sagte er.
Sepsis-Schwester sammelt Qualitätsdaten
"Wenn ich die Antibiotikatherapie später beginne, steigt die Sterblichkeit", warnte der Greifswalder Mediziner. An seiner Klinik ist der Anteil der Sepsispatienten mit neu angesetzter adäquater Antibiotikatherapie innerhalb der ersten Stunde von rund 24 Prozent in den Jahren 2006 und 2007 auf mehr als 70 Prozent in den Jahren 2014 bis 2018 gestiegen.
Auf eine weitere Senkung der Sepsissterblichkeit arbeitet die Uniklinik Greifswald zudem seit zehn Jahren unter anderem mit speziellen Schulungen für Ärzte und Pflegekräfte zur Prophylaxe und Erkennung von Sepsis hin, berichtet Gründling. Besonders gefährdete Patienten, denen die Milz entfernt wurde, erhalten einen Splenektomie-Ausweis. Zudem finanziert die Uniklinik eine Sepsisschwester, die Qualitätsdaten erfasst und Erfolge auch in die Abteilungen zurückmeldet, so dass die Motivation steigt.
Auf eine frühere Erkennung von Sepsis setzt auch die Kampagne des UK Sepsis Trust in England – Methode zwei. Dr. Ron Daniels, Chef der Global Sepsis Alliance fordert dabei jedoch ein stärkeres Augenmerk auf Sepsis außerhalb des Krankenhauses. Der UK Sepsis Trust hat eine umfassende Kampagne zur Laienaufklärung aufgesetzt und Plakate mit der Botschaft: "Just Ask: Could it be Sepsis" im öffentlichen Straßenbild verankert.
Auch der National Health Service hat reagiert. Eingeführt wurden Daniels zufolge eine Telefontriage, Community Services, ein Sepsis Screening-Tool und ein Red Flag-System. Daraufhin sind die Screeningraten bis 2018 auf 87 Prozent gestiegen. 80 Prozent der Sepsispatienten erhalten Daniels zufolge inzwischen Antibiotika. Die prognostizierte Sterblichkeit sei auf 20 Prozent gesunken.
Das New York State Department of Health in den USA hat Sepsis zur Staatsangelegenheit erklärt und regulatorisch in den Umgang mit Sepsis eingegriffen. Bei einer Datensammlung im Jahr 2005 und 2006 zeigte sich zwischen den verschiedenen Kliniken im Bundesstaat eine enorme Varianz von 10 bis 50 Prozent Sepsismortalität.
Welches Krankenhaus erreicht welche Werte?
Das Department of Health stellte fest, dass manche Kliniken Protokolle – ähnlich unseren Leitlinien – anwenden. Es drang darauf, dass diese Protokolle in allen Kliniken installiert und trainiert werden. Gleichzeitig begann es, Sepsisdaten zu veröffentlichen, so dass erkennbar ist, welches Krankenhaus welche Werte erreicht. "Wir hoffen, dass das genug Antrieb ist, diese Dinge zu ändern", sagt Chief Medical Officer Professor Marcus Friedrich.
Der New York State Sepsis Report – als dritte Methode zur schnelleren Erkennung einer Sepsis – enthält für jedes einzelne Krankenhaus unter anderem Daten zum Drei-Stunden-Sepsis-Management, zum Zeitraum der Antibiotikagabe, zum Sechs-Stunden-Management und zur Mortalität. Die 30-Tage-Mortalität ist Friedrich zufolge von 30 auf 22 Prozent gesunken. "Wir retten knapp 5000 Menschen pro Jahr", sagt Friedrich. Mit den Daten des Reports wird der Erfolg der gesundheitspolitischen Maßnahmen überprüft, aber auch medizinische Forschung getrieben. "Wir denken, dass wir aus den Daten weitere Anhaltspunkte für Verbesserungen bekommen", so Friedrich. Er verweist darauf, dass Kinder und Schwangere möglicherweise andere Leitlinien brauchen könnten. Daran wird derzeit geforscht.
Die Daten stehen im Internet zur freien Verfügung. https://healthdata.ny.gov/