Gesundheitsrisiko Krippen-Ausbau

Eigentlich soll der Krippenausbau etwas Gutes werden: frühe Bildung für die Kleinen, Vereinbarkeit von Job und Familie für die Eltern. Doch der Ausbau könnte auch negative Folgen haben - auf die Gesundheit der Kinder.

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Kleine Menschen in der Krippe: Bei manchen fehlt der optimale Impfschutz.

Kleine Menschen in der Krippe: Bei manchen fehlt der optimale Impfschutz.

© Michael Reichel / dpa

NEU-ISENBURG (eis). Wenn in Deutschland künftig 40 Prozent der Kinder unter drei Jahren in Krippen betreut werden, sind sie großen Infektionsrisiken ausgesetzt. Denn zu viele von ihnen haben Impflücken.

Flächendeckende Daten über die Impfraten von Kleinkindern gibt es in Deutschland nicht. Dennoch haben Stichproben ergeben, dass viele Kinder nicht altersgerecht geschützt sind.

So waren 2011 in einer Studie in Schleswig-Holstein zum Beispiel ein Viertel aller Kinder bis zum Alter von 24 Monaten nur einmal gegen Masern geimpft und acht Prozent überhaupt nicht, berichtet der "Impfbrief online".

Werden die Kinder künftig in größerem Maße als bisher gemeinsam betreut, dann haben sie und ihre Familien ein erhöhtes Risiko für Infektionen wie etwa Masern oder Keuchhusten.

Leidel: Impfbücher kontrollieren

Das ist bedenklich: Das Risiko etwa für die zwar sehr seltene aber stets tödliche subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE) sei besonders hoch, wenn Kinder in den ersten beiden Lebensjahren an Masern erkranken, sagte Dr. Jan Leidel von der Ständigen Impfkommission (STIKO) auf Anfrage.

Er wieß auf die STIKO-Empfehlung hin, wonach Kinder, die in eine Gemeinschaftseinrichtung aufgenommen werden sollen, bereits mit neun Monaten gegen Masern geimpft werden sollen.

Die zweite MMR-Impfung muss dann kurz nach dem ersten Geburtstag erfolgen. Zudem müssen Kinder, die in ihren Familien mit Säuglingen Kontakt haben, zum Schutz der Kleinen ausreichend geimpft sein, betonte Leidel.

Er sprach sich dafür aus, dass analog zu den Schuleingangsuntersuchungen auch bei Aufnahme in eine Kinderkrippe die Impfbücher kontrolliert werden, um Impflücken schließen zu können.

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Kommentare
Heike Thiesemann-Reith 04.07.201209:01 Uhr

Die Lösung ist keineswegs einfach

Um Missverständnissen vorzubeugen zunächst der Hinweis, dass Kleinkinder in Schleswig-Holstein zu rund 92% mindestens einmal geimpft sind und zu rund 75% zweifach.

Zu Herrn Kloßmann: Auch in den USA wird das Prinzip "No vaccination - no school" keineswegs radikal umgesetzt. Zwischen den einzelnen Bundesstaaten gibt es erhebliche Unterschiede und zahlreiche Ausnahmen. Zudem haben Länder mit Impfpflicht nicht per se die besseren Impfraten. In Deutschland sind außerdem die rechtlichen Hürden hoch: In §20 Abs. 6 des IfSG heißt es, dass das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) ermächtigt wird, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates (!) anzuordnen, dass bedrohte Teile der Bevölkerung an Schutzimpfungen [...] teilzunehmen haben, wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist. In §20 Abs. 7 heißt es weiter, dass die Landesregierungen zum Erlass einer Rechtsverordnung nach Abs. 6 ermächtigt sind, solange das BMG von der Ermächtigung keinen Gebrauch macht.
Wie realistisch ist wohl die Zustimmung des Bundesrates? So realistisch wie ein Nationaler Impfplan mit konkreten Durchimpfungsraten?
Außerdem würden wir wohl einen erheblichen Teil der jetzt impfskeptischen Eltern allein durch die Pflicht in die Ecke der Impfgegnerschaft drängen. Wir müssen inzwischen das Vertrauen der Bevölkerung mühsam neu gewinnen, restriktiven Maßnahmen sind da nur kontraproduktiv.

Dipl.-Psych. Antje Kräuter 03.07.201212:54 Uhr

Krippen stressen die Kleinstkinder

Seit 26 Jahren beschäftige ich mich mit der frühen Kindheit und als Psychologin und Psychotherapeutin seit vielen Jahren mit der Beratung von Eltern von Säuglingen und Kleinkindern. Jene zeigen nach Krippeneintritt oft Verhaltensauffälligkeiten und/oder emotionale Probleme oder sind unverhältnismäßig oft krank. Es scheint, dass sie überhaupt nicht immun gegen die immer wieder auftretenden Infektionskrankheiten werden. Die Ursache dafür besteht nach neuen Erkenntnissen (siehe den Übersichtsartikel von Dr. Böhm unter http://www.fruehe-kindheit.net/fachliches/betreuung.htm- die Genehmigung zur Veröffentlichung liegt mir vor)
im veränderten Kortisolprofil, das u.a. als "Hilflosigkeitshormon" das Immunsystem schwächt, Depressionen begünstigt sowie körperliche Erkrankungen.
Mit meinen eigenen drei Kindern habe ich unterschiedliche Betreuungserfahrungen gemacht und rate dringend vom weiteren Krippenausbau ab, zumal sich nur bei 2 % aller Krippen eine ausreichende Betreuungsqualität feststellen ließ (Newsletter der Deutschen Liga für das Kind).
Kleinkinder können ihr Immunsystem am besten trainieren, wenn sie mit anderen Kindern in Krabbelgruppen oder Stillgruppen oder mit Nachbarskindern zusammen sind, denn da ist Mama anwesend! Sie vermissen in einer fremdbetreuten Kindergruppe vor allem ihre Anwesenheit in sozialen Kontexten, wie Essen oder Schlafen gehen.
60 Jahre Bindungsforschung zeigt, dass Lernen nur „im entspannten Feld“, d.h. nur bei Nichtaktivierung des Bindungssystems stattfinden kann. Wenn Babys und Kleinkinder ihre geliebte Bindungsperson vermissen, sind sie mit deren Suche oder Trauer beschäftigt und können sich enttäuscht nur unzureichend auf die Exploration der Umwelt einlassen. Bindung geht vor Bildung.


Dr. Anke Fenn 03.07.201208:55 Uhr

Überschrift ist eher "BILDzeitungsreif"

Nicht die Krippen sind gesundheitsgefährend, sondern Eltern die Ihre Kinder nicht impfen lassen. Und auch über eine Überprüfung der Aufnahme sollte nachgedacht werden, ebenso im Kindergarten. Aber hier sollte der Schwerpunkt bei Krankeheiten liegen, die sehr schwer verlaufen können, wie Masern. Allerdings muss man auch beachten, dass viele Kinder schon mit weniger als 12 Monaten Kinderkrippen besuchen und einige Impfstoffe erst später eingesetzt werden dürfen.
Meiner Erfahrung nach sind Kinderkrippen hervorragend geeignet auch das Immunsystem auszubilden, denn irgendein Kind hat immer eine Schnupfnase. Vielleicht wäre das mal eine Studie wert, die Allergieanfälligkeit von Kindern zu überprüfen, die in einer solchen Einrichtung waren.
Allen Unkenrufen zum Trotz, alle meine Freundinnen und ich (und auch unsere Männer) sind froh, dass es Krippen gibt, wir superausgebildete Frauen dürfen arbeiten und unsere Kinder fühl(t)en sich absolut wohl.

Anke Fenn-Rottler

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