"Hilfe, meine Schwester ist chronisch krank!"
Viele Kinder leiden durch den hohen Versorgungsbedarf ihrer chronisch kranken Geschwister. Mit 13 Fragen können Ärzte Probleme frühzeitig aufdecken. In der ersten bundesweiten Datenbank finden sie Hilfsangebote vor Ort.
Veröffentlicht:FRANKFURT/MAIN. Die chronische Erkrankung oder Behinderung ihres Bruders oder ihrer Schwester belastet ein Drittel der gesunden Geschwisterkinder.
Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie mit 141 deutschen Familien des Instituts für Gesundheitsförderung und Versorgungsforschung (IGV) im Auftrag des Arzneimittelherstellers Novartis.
Zwar fühle sich die Mehrheit (70 Prozent) gering belastet, aber immerhin 20 Prozent gaben mittelmäßige und zehn Prozent sogar eine hohe Belastung an.
Rund zwei Millionen Kinder und Jugendliche leben in Deutschland mit einem schwer chronisch kranken oder behinderten Geschwisterkind, geht aus dem Statistischen Jahrbuch 2007 hervor.
Lebensqualität beeinträchtigt
Die Versorgung des kranken Familienmitglieds beansprucht häufig viel Zeit, dadurch können Bedürfnisse des gesunden Kindes vernachlässigt werden.
So machen sich die betroffenen Kinder zum Beispiel Sorgen um ihre Familie, kennen sich nicht mit der Erkrankung ihres Geschwisters aus oder bekommen Schwierigkeiten in der Schule.
All das beeinträchtigt ihre Lebensqualität und unter Umständen auch ihre normale Entwicklung. Auch das betreuende Fachpersonal - unter anderem Hausärzte, Pädiater oder Pflegekräfte - hätten diese Probleme der gesunden Kinder oft nicht im Blick, sagte Andreas Podeswik vom Institut für Sozialmedizin in der Pädiatrie Augsburg (ISPA) beim Novartis-Pressegespräch "LARES Geschwisterkinder: Mehr als die Früherkennung der Belastung und des Leidens von betroffenen Geschwistern" in Frankfurt.
Bisher fehlte es an einem Screeninginstrument, das sich für den eng getakteten Alltag in Praxis oder Klinik eignet.
Erstes Screeninginstrument unabhängig von Erkrankung
"Mit LARES haben wir einen Fragebogen zur Früherkennung der individuellen Belastung von Geschwisterkindern entwickelt, der erstmals indikationsübergreifend angewendet werden kann", sagte Privatdozent Michael Kusch, Leiter des IGV.
Aus einem großen Fragenpool ermittelten Kusch und seine Mitarbeiter insgesamt 13 Fragen für Kinder und 14 Fragen für Eltern. Mit diesen können Ärzte, Schwestern oder Psychologen die Probleme des Geschwisterkindes identifizieren und anschließend Hilfsangebote aufzeigen.
Insgesamt sollen Ausfüllen, Auswerten und Beraten etwa 20 Minuten dauern. "Wichtig ist, dass die Betroffenen mit dem ausgefüllten Fragebogen dem Arzt von sich aus die Chance geben, ihre Schwierigkeiten anzusprechen", betonte Kusch.
Gespräch nach sechs bis acht Wochen suchen
Das setze vor allem viel Vertrauen voraus. Doch nicht jeder Zeitpunkt ist auch geeignet, auf die Geschwisterproblematik aufmerksam zu machen.
"Aus unseren Erfahrungen ist der richtige Zeitpunkt für ein Gespräch mit dem Geschwisterkind ungefähr sechs bis acht Wochen nach Behandlungsbeginn des kranken Kindes", riet Podeswik.
Ebenso böten sich neue Entwicklungsabschnitte dafür an. Kommen durch das Arzt-Patienten-Gespräch Probleme des gesunden Geschwisters, zum Beispiel in der Schule, in der Familie oder im Krankheitsverständnis, ans Licht, können Arzt und Familie gemeinsam über Hilfen entscheiden.
Langfristig sollen 500 Einrichtungen teilnehmen
In einer Datenbank hat die Novartis-Initiative "FamilienBande" auf ihrer Internetseite alle Angebote im Bundesgebiet zusammengefasst.
Momentan erreichen die 120 Einrichtungen, die "FamilienBande" unterstützen, etwa 2.000 Kinder. Mit Online- und Präsenzschulungen möchte er bis in fünf Jahren die Zahl auf 400 bis 500 Institutionen erhöhen.
Bremsen könnten sein Anliegen bislang Unklarheiten bei der Abrechnung ärztlicher Leistungen. "Erste Gespräche mit Krankenkassen haben bereits stattgefunden", sagte Herlinde Schneider, Leiterin der FamilienBande und Kommunikationschefin bei Novartis Deutschland.
Ärzte halten Einbeziehung von Geschwistern für richtig
Nach Angaben von Podeswik könnten Schulungen der Geschwister nach Paragraf 43 SGB V abgerechnet werden. Kassen hatten dem ISPA mitgeteilt, dass Geschwisterkinder wie auch Eltern als Bezugspersonen im Rahmen von Patientenschulungen gelten können, so Podeswik.
An der Zustimmung der Ärzte wird das Projekt jedenfalls nicht scheitern. Nach einer GfK-Umfrage im Auftrag von Novartis halten 91 Prozent der Ärzte eine systematische Prävention für nötig, um Geschwistern und Familien früh zu helfen.
Thore Spilger (thore.spilger@ispa.bunter-kreis.de) vom ISPA bietet Schulungen für LARES an. Die Datenbank finden Sie unter www.initiative-familienbande.de.