Hirndoping - viele haben kein Problem damit

Viele Menschen sind einer Steigerung ihrer kognitiven Leistung durch Medikamente nicht abgeneigt. Allerdings wird der Effekt des Neuroenhancements mit den bisher verfügbaren Arzneien meist überschätzt.

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:
Können Pillen die Hirnleistung verbessern?

Können Pillen die Hirnleistung verbessern?

© Julien Tromeur / fotolia.com

Berlin. Spätestens seit dem Jahr 2008 ist der Begriff "Neuroenhancement" auch vielen Ärzten ein Begriff. Damals veröffentlichte die Zeitschrift "Nature" die Ergebnisse einer Online-Umfrage unter Forschern, die bei "Nature" Fachbeiträge eingereicht hatten. Top-Wissenschaftler also. Ergebnis: Je nach Altersgruppe gaben bis zu 30 Prozent der Forscher an, schon einmal Medikamente mit dem Ziel eingenommen zu haben, die geistige Leistung zu verbessern.

Im Fokus stehen Mittel zur Verbesserung der Vigilanz

"Das größte Einsatzgebiet für Neuroenhancer ist derzeit die Vigilanzverbesserung", sagte Privatdozent Claus Normann von der psychiatrischen Klinik der Universität Freiburg. Die "Renner" sind hier Präparate, die Modafinil oder Methylphenidat enthalten. Aus dem illegalen Bereich kommen noch die klassischen Amphetamine hinzu. "Speziell beim Modafinil übersteigen die Produktions- und Verkaufszahlen bei weitem die Pillenmenge, die für Narkolepsiepatienten nötig ist", betonte Professor Isabella Heuser beim DGPPN-Kongress in Berlin. Hier gebe es auch in Deutschland einen hohen Off-Label-Konsum, der zumindest teilweise durch leistungssteigernde Absichten bei Gesunden erklärbar sein dürfte.

Dass Vigilanz steigernde Präparate und speziell Modafinil auch bei Gesunden einen nachweisbaren Effekt haben, gilt als belegt. Für ein BMBF-Förderprojekt hat Heuser dazu gerade einen systematischen Review fertiggestellt und einige Placebo-kontrollierte Studien bei Gesunden ausgewertet: "Bei Methylphenidat ist der Effekt nicht konsistent. Aber Modafinil verbessert vor allem nach Schlafentzug signifikant die Wachheit, das Gedächtnis und die Exekutivfunktionen des Gehirns. Insgesamt sind die Effektgrößen aber nicht besonders ausgeprägt."

Auch aus dem Bereich jener Präparate, die das Gedächtnis verbessern sollen, gibt es zumindest kleine Studien, die einen Effekt als Neuroenhancer bei Gesunden nahelegen. "Gesunde Piloten schnitten nach 30 Tagen mit dem Antidementivum Donepezil bei komplexen Übungen am Flugsimulator signifikant besser ab als mit Placebo", betonte Normann. Und zwei einzelne Tabletten des in den USA als Tuberkulostatikum zugelassenen D-Cycloserin hatten noch Monate später einen nachweisbaren Effekt auf den Erfolg einer Verhaltenstherapie bei Höhenangst. "Diese Menschen haben schneller gelernt, ihre Höhenangst zu verlieren als Menschen, die mit Verhaltenstherapie und Placebo behandelt wurden."

Jeder Zwanzigste versuchte es schon mal mit Hirndoping

Wie weit verbreitet ist die Einnahme von zugelassenen Medikamenten zum Zwecke des Neuroenhancements in Deutschland? Daten dazu lieferte etwa der DAK Gesundheitsreport 2009, der auf einer Befragung von 3000 erwerbstätigen GKV-Versicherten beruht. Hier gaben 5 Prozent an, schon einmal einen Neuroenhancer eingenommen zu haben, ohne krank gewesen zu sein. Und 20 Prozent sagten, dass sie jemanden kennen, der das getan habe. Männer setzten dabei eher auf Psychostimulanzien, Frauen auf Antidepressiva, die hier zu den Neuroenhancern dazu gezählt wurden. "Diese Befragung zeigt, dass wir von einem breiten Phänomen reden. Es geht nicht nur um Manager, Künstler und andere übliche Verdächtige", so Heuser.

Ganz neue Daten kommen von der Universität Mainz, wo Professor Klaus Lieb eine Umfrage unter 1547 Schülern und Studenten über 18 Jahren gemacht hat. "Dabei zeigte sich, dass das Wissen um Neuroenhancer relativ gut ist", so Lieb. Die Nutzerquote war trotzdem vergleichsweise gering. Etwa 1,2 Prozent der Befragten hatten schon einmal Methylphenidat eingenommen, ohne ADHS zu haben. Etwa doppelt so viele hatten Erfahrungen mit illegal erworbenem Amphetamin. Und etwa jeder Zehnte hatte schon einmal Koffeintabletten geschluckt. Modafinil spielte in dieser Gruppe keine Rolle.

Grundsätzlich stünden Schüler und Studenten einem Neuroenhancement durchaus aufgeschlossen gegenüber, so Lieb. Nur jeder Zehnte sagte, das komme für ihn nicht infrage. Vier von fünf sagten allerdings auch, dass sie nur dann einen Neuroenhancer einsetzen würden, wenn er nicht abhängig mache und keine Nebenwirkungen habe.

Zu der Frage, ob Neuroenhancement ethisch vertretbar sei oder nicht, waren die Meinungen in Berlin sehr geteilt. Lieb äußerte sich eher ablehnend und wies darauf hin, dass es Alternativen gebe. Dazu gehörten eine gute Ausbildung, effektive Zeitplanung, ausreichender Schlaf und das Wissen um Strategien zur Stressbewältigung. Wenn es unbedingt Substanzen sein sollen, dann reicht vielleicht auch Koffein. Lieb berichtete über zwei Studien, in denen Kaffee und Modafinil verglichen wurden. Die Botschaft: Bei Gesunden hat eine große Tasse Kaffee ungefähr denselben Vigilanz steigernden Effekt wie eine halbe bis ganze Tablette mit 100 mg Modafinil.

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