Psychisch Kranke
Home Treatment mit zu wenig Schwung?
Kliniken dürfen psychisch Kranke nach einer Gesetzesreform auch zu Hause betreuen. Niedergelassene Ärzte vermissen dabei allerdings verbindliche Vorgaben für Kooperation und Vernetzung.
Veröffentlicht:KÖLN. Bei der Verankerung des sogenannten Home Treatment im Gesetz zur Weiterentwicklung der Versorgung und Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen (PsychVVG) hätte der Gesetzgeber ruhig etwas mutiger sein können, findet Dr. Frank Bergmann, Vorsitzender der KV Nordrhein.
Es sei zwar positiv, dass die Politik Krankenhäusern die Möglichkeit eröffnet hat, psychisch schwer kranke Patienten auch zu Hause zu versorgen. "Der Gesetzgeber hätte aber gleichzeitig die Notwendigkeit zur Vernetzung und zur Kooperation auf den Weg bringen müssen", sagte Bergmann bei einer gemeinsamen Veranstaltung des Dachverbands Gemeindepsychiatrie und des Spitzenverbands ZNS (SPIZ) in Köln.
Zusammenarbeit soll ausgebaut werden
Die Vertreter beider Verbände zeigen sich überzeugt, dass es bei der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen keine Alternative zum Miteinander von niedergelassenen Fachärzten und gemeindepsychiatrischen Diensten gibt. Deshalb wollen sie in Zukunft ihre Zusammenarbeit ausbauen.
"Letztendlich ist die Versorgung nur gut, wenn sie nah am Patienten ist, und wenn sie alle Beteiligten in der Kommune mit einbezieht und alle Hilfesysteme berücksichtigt", betonte der Neurologe und Psychiater Bergmann, der bis zu seiner Wahl zum KV-Chef in Nordrhein Vorsitzender des SPIZ war. Wichtig sind für ihn der Austausch auf Augenhöhe und die Einbeziehung von Patienten und Angehörigen.
"Drei Subkontinente der Psychatrie"
Im Versorgungsalltag vor Ort funktioniere die Zusammenarbeit zwischen niedergelassenen Ärzten auf der einen Seite sowie Psychotherapeuten, psychiatrischen ambulanten Pflegediensten, Ergo- und Soziotherapeuten sowie Rehabilitationseinrichtungen auf der anderen häufig gut, betonte Nils Greve, Vorstand des Dachverbands Gemeindepsychiatrie.
Auf der Ebene der Verbände und Organisationen hake es dagegen. Der Psychiater sprach von "drei Subkontinenten der Psychiatrie": Kliniken, niedergelassene Ärzte und gemeindepsychiatrische Leistungserbringer. Der Dachverband Gemeindepsychiatrie sucht nicht nur den Schulterschluss mit ambulant tätigen Ärzten, sondern auch mit Krankenhäusern.
Als Stolpersteine bei der Zusammenarbeit nannte der Psychiater Unterschiede bei den Finanzierungssystemen, den Behandlungskonzepten und den Unternehmenskulturen. "Dadurch kann es zu einer gefühlten Rivalität kommen." Sie müsse überwunden werden, um die politisch gewollte sektorübergreifende Versorgung zu erreichen.
Zusammenarbeit auf Augenhöhe
"Aus Sicht der psychisch kranken Menschen gibt es ohnehin keine Grenzen zwischen Behandlung, Rehabilitation und Leistungen zur Teilhabe", sagte Greve. Wichtig sei es, in den multiprofessionellen Teams die richtige Balance zu finden zwischen der herausgehobenen Stellung der Ärzte und der Zusammenarbeit auf Augenhöhe.
Wenn man aus Sicht der Institutionen auf die Versorgung blickt, sei die Gefahr der Abgrenzung und der Stigmatisierung der jeweils anderen Akteure groß, bestätigte Dr. Gundolf Berg, Vorsitzender des Berufsverbands für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Deutschland sowie 2. Vorsitzender des SPIZ. "Wir müssen die Versorgung aus Sicht des Patienten planen, dann bekommen wir auch Ergebnisse."
Die Kinder- und Jugendpsychiatrie zeigt nach Angaben Bergs, dass die Kooperation über die institutionellen Grenzen hinweg gut funktionieren kann. Die Kinder- und Jugendpsychiater arbeiten traditionell eng mit der Jugendhilfe und der Eingliederungshilfe zusammen. Das sozialpsychiatrische Versorgungsmodell war aus seiner Sicht ein wesentlicher Motor für den in den vergangenen Jahren erfolgten Ausbau der Angebote in der ambulanten Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie -psychotherapie.
"Mit der sozialpsychiatrischen Versorgung gibt es qualitativ sehr gute Möglichkeiten einer wohnortnahen, niedrigschwelligen, vernetzten, multiprofessionellen ambulanten Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Erkrankungen", sagte Berg. Ziel müsse es sein, das Modell weiterzuentwickeln und die Vernetzung auszubauen.