Chinesische Studie
Immer mehr Krebsdiagnosen bei Unter-50-Jährigen
Kolleginnen und Kollegen aus China stellen in einer Datenauswertung weltweit eine Zunahme der Krebsdiagnosen fest. Das liegt zum Teil aber auch an einer besseren Frühdiagnostik, ergänzen zwei Kommentatoren.
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Über Krebs sprechen Onkologen inzwischen häufiger mit Unter-50-Jährigen. Ende des letzten Jahrtausends war das noch seltener der Fall.
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Hangzhou/Heidelberg. In den drei Jahrzehnten seit 1990 ist die Zahl der Krebsdiagnosen bei Unter-50-Jährigen weltweit um fast 80 Prozent gestiegen. Die meisten der 2019 erfassten Fälle entfielen auf Brustkrebs, berichtet eine internationale Forschungsgruppe (BMJ Oncology 2023; online 8. September).
Die schnellste Zunahme binnen der drei Jahrzehnte wurde demnach bei den Fallzahlen für Tracheal- und Prostatakarzinome verzeichnet. Gesunken sei in der untersuchten Alterskohorte die Zahl erfasster Leberkarzinome, um knapp drei Prozent. Auf Deutschland ist die Analyse einem deutschen Kollegen zufolge nicht direkt übertragbar.
Drei Millionen Krebsdiagnosen
Für die Analyse griff das Team um Dr. Xue Li von der chinesischen Zhejiang University School of Medicine in Großbritannien auf die 2019er-Ausgabe der Studienserie „Global Burden of Disease“ zurück. Sie enthält zwischen 1990 und 2019 erhobene Daten für 29 Karzinomentitäten in 204 Ländern und konzentriert sich dabei auf die 14- bis 49-Jährigen. Bei ihnen wurden demnach 2019 insgesamt 3,26 Millionen neue Krebsdiagnosen gestellt - ein Anstieg von 79 Prozent im Vergleich zu 1990.
Insgesamt starben 2019 mehr als eine Million Menschen unter 50 Jahren an Krebs, was einem Anstieg um knapp 28 Prozent im Vergleich zu 1990 entspricht. Die meisten Todesfälle waren bei Mamma-, Tracheal-, Bronchial-, Kolorektal- und Magenkarzinom zu beklagen, wobei die Todesfälle bei Nieren- und Ovarialkarzinomen am stärksten zunahmen.
Geografisch gab es die höchsten Raten an Krebserkrankungen in Nordamerika, Australasien und Westeuropa, doch auch in Ländern mit niedrigem bis mittlerem Einkommen stiegen die Fallzahlen und das vor allem bei Frauen.
Schwierige Aussagen über Deutschland
Aufgrund der unterschiedlichen Qualität der Krebsregisterdaten der verschiedenen Länder könne es allerdings zu Untererfassungen oder Unterdiagnosen kommen, geben die Autoren zu bedenken. Dr. Volker Arndt vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) merkt zu der Studie an, dass vergleichende Aussagen zur Situation in Deutschland schwierig seien: Bundesweite Zahlen seien erst ab dem Jahr 1999 verfügbar.
„Bei der Anzahl der Neuerkrankungen ist bei den Unter-50-Jährigen insgesamt über alle Krebsentitäten keine Zunahme während der letzten 20 Jahre in Deutschland feststellbar“, bilanzierte der Leiter des Epidemiologischen Krebsregisters Baden-Württemberg, der nicht an der aktuellen Studie beteiligt war.
Für einzelne Karzinomentitäten - darunter Haut-, Mamma-, Prostata- und Schilddrüsenkarzinome - sei indes ein vermehrtes Fallaufkommen in der Altersgruppe zwischen 15 und 49 Jahren sichtbar, erläutert Arndt. Als Gründe für diesen Anstieg müsse aber in erster Linie die vermehrte Diagnostik diskutiert werden. So seien beispielsweise 2007 die Zahlen für Hautkrebs in Deutschland deutlich gestiegen: Damals wurden neue Screening-Programme eingeführt.
Beim Kolorektalkarzinom habe die verbesserte Früherkennung die Fallzahlen sogar gesenkt. So würden bei einer Koloskopie häufig die erkannten Polypen gleich entfernt. „Damit wird eine Vorstufe des Karzinoms erwischt und Primärprävention geleistet“, erklärte Arndt.
Konsequenz der besseren Früherkennung?
Auch die Studienautoren spekulieren, dass der von ihnen beobachtete Anstieg mit einer verbesserten Früherkennung in Industrieländern zusammenhängen könnte. Vor allem aber spielten neben genetischen Faktoren eine ungesunde Ernährung, Alkohol- und Tabakkonsum, Bewegungsmangel, Übergewicht und hoher Blutzucker eine Rolle.
Auf Basis ihrer Auswertung prognostizieren die Kolleginnen und Kollegen, dass die Zahl der neuen Krebsfälle und der damit verbundenen Todesfälle bei den Unter-50-Jährigen bis 2030 weltweit um weitere 31 Prozent (bei den Diagnosen) beziehungsweise 20 Prozent (bei den Todesfälle) steigen werde, wobei die Über-40-Jährigen am meisten gefährdet seien.
Maßnahmen zur Prävention und Früherkennung dringend erforderlich
Schon der Blick auf die Entwicklung zwischen 1990 und 2019 belegt, dass in der untersuchten Altersgruppe vor allem die 40- bis 49-Jährigen betroffen sind. Daher regen Dr. Ashleigh Hamilton und Dr. Helen Coleman von der Queen‘s University Belfast in einem begleitenden Kommentar an, über gezielte Früherkennungsmaßnahmen für diese Altersgruppe nachzudenken (BMJ Oncology 2023; online 8. September).
Für Hamilton und Coleman stellten die Studienergebnisse die Wahrnehmung der in jüngeren Altersgruppen diagnostizierten Krebsentitäten in Frage: „Es ist wichtig, sowohl die Öffentlichkeit als auch das medizinische Fachpersonal über die Möglichkeit bestimmter Krebsarten bei jüngeren Erwachsenen aufzuklären, um eine frühere Diagnose zu ermöglichen, was wiederum den Ausgang verbessert.“
Maßnahmen zur Prävention und Früherkennung seien dringend erforderlich, ebenso wie die Ermittlung optimaler Behandlungsstrategien: Jüngere Patientinnen und Patienten hätten andere Pflege- und Unterstützungsbedürfnisse. (dpa)