Hygiene

Keimschleuder Stethoskop

Erst horchen und dann Keime verteilen: Genfer Ärzte haben Stethoskope nach der ärztlichen Untersuchung unter die Lupe genommen - und Bazillenhorte gefunden. Geht der Trend nun zum Zweit-, Dritt- und Viertstethoskop?

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Infektiologischer Dreiklang: Hände, Haut, Horchapparat.

Infektiologischer Dreiklang: Hände, Haut, Horchapparat.

© dpa

GENF. Stethoskope sind womöglich größere Keimschleudern als bislang vermutet. Was naheliegend und durchaus plausibel klingt, hat nun jedoch Ärzte aus der Schweiz genötigt, der Hypothese in einer kleinen Studie nachzugehen. Darin kommen sie zu dem Schluss, dass den ärztlichen Horchapparaten bei der Desinfektion künftig dieselbe Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte, wie den eigenen Händen.

Allerdings: Die Studie ist sehr klein, streng limitiert, und ihre Ergebnisse sind kaum generalisierbar. Zumindest liefert die Untersuchung aber ein Indiz, an dem sich der Arzt im eigenen klinischen Alltag orientieren könnte.

Für ihren Versuch hatten Ärzte aus Genf um Dr. Didier Pittet vom dortigen Universitätsspital 83 Klinikpatienten zur Visite gebeten. Der Versuch war randomisiert: Von drei Ärzten wurde je Patient einer zufällig ausgewählt. Samt sterilem Stethoskop musste er den Patienten nach einem standardisierten Protokoll untersuchen. Überwacht wurde das Vorgehen von einem weiteren Forscher (Mayo Clin Proc 2014; 89(3): 291-299).

Zum Standardprozedere gehörten zunächst die gründliche Handdesinfektion und der Handschlag zur Begrüßung des Patienten. Anschließend wurden die A. radialis sowie die zervikalen und supraklavikulären Lymphknoten palpiert.

Nach der Auskultation von Lunge und Herz wurde das Abdomen inspiziert - Auskultation, Perkussion und tiefe Palpation. Zuletzt wurden der Femoralispulses und die unteren Extremitäten begutachtet und der Patient wieder mit Handschlag verabschiedet.

Das Ganze machten die Genfer Ärzte in zwei Gruppen: einmal mit sterilen Handschuhen zur Messung der gesamten Aerobierzahl und in der zweiten Gruppe mit blanken Händen zur Messung der MRSA-Besiedelung. Im letzteren Fall hatten sich die Untersucher vorher gründlich die Hände desinfiziert. Für den Nachweis des MRSA-Negativbefunds wurden vor der Untersuchung Proben von den Arzthänden genommen.

Nach dem Ende des Rituals zwischen Patient und Doktor musste Letzterer den Studienärzten insgesamt sechs Abklatschproben geben: von den Fingerspitzen, dem Handrücken, Daumenballen und Kleinfingerballen sowie von der Stethoskopmembran und dem Schlauch des Brustüberwachungsapparillos. Die Genfer Ärzte sammelten so insgesamt 489 Kulturen ein, aus denen sie die Zahl der koloniebildenden Einheiten (engl. CFU) ermitteln konnten.

Das Ergebnis war eindeutig - und kaum überraschend: Nach einer einzigen Untersuchung waren die zuvor desinfizierten Arztfingerspitzen übersät mit Keimen, 467 CFU von Anaerobiern fanden die Forscher im Mittel in der Handschuhgruppe.

Deutlich geringer war es an den Muskelballen der Hände (37 und 34 CFU) und am geringsten am Handrücken mit acht CFU. Das alleine untermauert schon die ubiquitäre Forderung von Hygienikern nach einer kontinuierlichen Händedesinfektion.

Auffällig, wenngleich ebenfalls nicht verwunderlich, war nun aber auch die hohe Keimbelastung vor allem an der Stethoskopmembran: Dort fanden die Forscher immerhin noch 89 CFU im Mittel. Zur Erinnerung: Für jeden Patienten wurde ein zuvor steriles Stethoskop verwendet.

Das Verhältnis war weitgehend identisch in der MRSA-Gruppe, also bei jenen Ärzten, die für die Untersuchung ihre nackten aber desinfizierten Hände einsetzten: Auch hier waren die Fingerspitzen am meisten belastet, gefolgt von der Stethoskopmembran (im Mittel 12 versus sieben CFU). Der Unterschied war nicht signifikant, will heißen: Das Stethoskop wird an der Membran gleichstark belastet wie die Arztfinger.

Die Genfer Ärzte fanden schließlich in beiden Gruppen sogar signifikante Korrelationen zwischen den Keimbelastungen an den Fingerspitzen und den Stethoskopmembranen - eine "direkte Beziehung", wie sie es in ihrem Paper nennen.

Sollten Ärzte nun nach jedem Patienten ihr Stethoskop in den Müll werfen? Wohl kaum, denn die Studienergebnisse können kaum für den generellen Arztalltag herhalten. Untersucht wurden nur wenige Patienten und auch nur im Krankenhaus. Immerhin 14 Prozent waren gar nicht mehr in der Lage, sich selbst zu waschen, was sich günstig auf die Besiedelung mit Keimen auswirken könnte.

Auch war in der kleinen Analyse mehr als jeder zweite Patient ein MRSA-Träger. Zudem können die Genfer Ärzte keinerlei Aussage für die Qualität der Erreger machen. Wie hoch der Anteil der Pathogene darunter war, ist völlig unklar. Und ebenso die Quelle der Belastung: Sie spielte in dem Studiendesign keine Rolle.

Dennoch zeigen die Ergebnisse erneut, was eigentlich bekannt ist: Keime, auch pathogene, lauern überall, erst recht im Arztalltag. In Zeiten von MRSA, ESBL, NDM-1, VRE, MDR-Tb, KPC und Co. muss die gute Hygienepraxis Usus sein - natürlich auch bei Medizinprodukten. Entsprechende Richtlinien der KRINKO beim Robert Koch-Instiut und die Empfehlungen der KVen für die Hygienepläne in den Praxen sind hierzulande einschlägig bekannt.

Die Genfer Ärzte gehen sogar noch ein Stückchen weiter: Sie argumentieren, dass aus Sicht der Infektprävention und Patientensicherheit, "das Stethoskop als Verlängerung der ärztlichen Hand betrachtet und nach jedem Patientenkontakt desinfiziert werden sollte". (nös)

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Kommentare
Dr. Jürgen Sobtzick 03.03.201422:32 Uhr

Keimschleuder Stethoskop

Seit der sogenannten Schweinegrippe steht auf jedem Schreibtisch, an der Reception und im Wartezimmer eine gut lesbare Tafel mit folgendem Text:
"Wir begrüßen Sie herzlich auch ohne Händedruck zu Ihrem und unserem Schutz". Die Patienten haben es verstanden und für gut befunden. Mittlerweile erfolgt jeder Praxiskontakt ohne Händedruck.
Dr.Jürgen Sobtzick, Euerdorf

Dr. Thomas Georg Schätzler 01.03.201417:38 Uhr

Beliebig erweiterbares Ärzte-"Bashing"!

Der kluge Kommentar von Prof. Dr. Volker von Loewenich zeigt, wie schon früher mit einfachen Mitteln, intelligenter Logistik und empirisch begründeter Datenlage gehandelt werden konnte, lange bevor der hier brandaktuell referierte "Mayo Clinic Proceedings"-Artikel erschienen ist.

Die Schweizer Studie von Didier Pittet, Yves Longtin et al. "Contamination of Stethoscopes and Physicians'' Hands After a Physical Examination" belegt in ihrer Schlussfolgerung nicht mehr und nicht weniger, dass der Kontaminationsgrad des Stethoskops nach einer physischen Untersuchung eines Patienten substanziell und vergleichbar mit der Kontamination von Teilen der führenden Hand beim Arzt ist ["Conclusion - These results suggest that the contamination level of the stethoscope is substantial after a single physical examination and comparable to the contamination of parts of the physician’s dominant hand."] Unter anderem deshalb, weil Ärzte s e l b s t es sind, die ihr eigenes Stethoskop gelegentlich manuell berühren, um es an den Patienten heranzuführen.

Dass sich in der gleichen Ausgabe dazu in einem "Editorial" Dennis G. Maki, MD, Infektiologe an der "University of Wisconsin in Madison"(WI/USA) mit dem Titel "Stethoscopes and Health Care–Associated Infection" zu Wort meldet, ist zu weit gegriffen. Denn kein professionell agierender Mediziner würde sein frisch gereinigtes Stethoskop in infizierte Wunden hineinhängen, um es dann bei weiteren Patienten über deren Körperöffnungen infektiös auspendeln zu lassen. Ein intaktes Integument des Brustkorbes vorausgesetzt, wäre dort eine stabile Abwehrbarriere gegenüber aggressiven Keimattacken etabliert, die nur höchst theoretisch von kontaminierten Stethoskopen überwunden werden könnte.

Natürlich sollten potentiell kontaminierte Stethoskope nicht unnötig angefasst und insbesondere nach Hautekzem- und Wundkontakt gereinigt und mit alkoholfreiem Octenisept® desinfiziert werden. Bitte keinen Alkohol verwenden! Das greift die Membranen und Kunststoff- bzw. Gummiringe an.

Aber ein Trend zeichnet sich mit den beiden o. g. Publikationen weiter ab: Es wird keine Gelegenheit ausgelassen, das allseits besonders in Laienkreisen beliebte Ärzte-„Bashing“ zu vertiefen. Ärztinnen und Ärzte, insbesondere diejenigen, die infektiöse Patienten diagnostizieren und behandeln wollen, sollen s e l b s t als übelste Keimträger entlarvt werden.

Es sind der verschmutzte, zu selten gewechselte, ungewaschene oder nicht desinfizierbare weiße Arztkittel bzw. die nicht abwaschbare Krawatte, die zu größten infektiologischen Bedenken Anlass geben:
http://www.sueddeutsche.de/leben/arztkittel-vor-dem-aus-dreckschleudern-in-weiss-1.890152
www.stern.de/gesundheit/gesundheitsnews/hygiene-gefaehrliche-schlipse-556433.html
www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/krankenhaus-hygiene-schlips-am-aerztehals-kann-toedlich-sein-a-402255.html

Auch wenn sich kürzlich eine schottische Infektiologin wieder f ü r das Krawattentragen ausgesprochen hat: „Put your ties back on: scruffy doctors damage our reputation and indicate a decline in hygiene“
http://www.bmj.com/content/346/bmj.f3211
und
http://www.aerztezeitung.de/panorama/?sid=852788
würde dies die angelsächsische Hygienekrise bis zu einem fundamentalen Krawattenkrieg ausweiten.

Aber auch PC-Tastaturen, Tablets, Smartphones und Touchscreens sind für Praxis- und Klinik- Hygiene-Beauftragte bzw. Infektiologen ein „gefundenes Fressen“:
http://www.springermedizin.de/so-wird-die-tastatur-nicht-zur-keimschleuder/4938140.html
„Der Tod lauert nicht in der Tastatur, sagt eine Infektionsexpertin. Trotzdem sollte das PC-Zubehör einen festen Platz im Hygieneplan der Praxis haben. Computer-Tastaturen haftet in Sachen Hygiene nicht der beste Ruf an. Sie haben ständigen Kontakt mit Händen…“

Aber wo bleiben dann eigentlich obligatorische tägliche Rachenabstriche, Blutkulturen, Abklatschproben der Hände und Fragebögen zum Detektieren evtl. riskanter

Prof. Dr. Volker von Loewenich 28.02.201416:10 Uhr

Keime am Stethoskop

Reichlich Keime am Stethoskop hat eine meiner Mitarbeiterinnen vor vielen Jahren eigen-initiativ nachgewiesen. Daraufhin haben wir an jeden Inkubator unserer Neugeborenen-Intensivstation ein individuelles Stethoskop gehängt, das jeweils zusammen mit dem Inkubator desinfiziert wurde. Damit war wenigstens eine der vielen Keimquellen auf diejenigen Keime reduziert, die der Patient ohnehin auf seiner Haut hatte. Das ist sicher wirksamer gegen stations-weite Keim-Verschleppungen, als das Stethoskop beim Desinfizieren der eigenen Hände auch mal schnell mit unter den Flüssigkeitsstrahl zu halten.

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