Chronische Insomnie

Keine Angst vor Schlafmitteln!

Eigentlich sollten moderne Hypnotika nicht länger als vier Wochen verordnet werden. Manche Schlafmediziner halten diese Empfehlung jedoch für verfehlt – denn die Risiken einer unbehandelten Insomnie wiegen schwer.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Schlaflos: Statt Leistungsfähigkeit spürt der Betroffene am nächsten Tag oft nur Mattheit.

Schlaflos: Statt Leistungsfähigkeit spürt der Betroffene am nächsten Tag oft nur Mattheit.

© Dan Race / Fotolia.com

NEU-ISENBURG. Kaum ist der das "Jahrbuch Sucht 2017" vorgestellt worden, wiederholt sich ein Ritual: "Millionen in Deutschland sind abhängig von Schlafmitteln", hieß esbereits vor zwei Jahren nach Äußerungen des Gesundheitswissenschaftler Professor Gerd Glaeske. Nun singen viele Medien wieder das gleiche Lied – eines, das der Schlafforscher Dr. Dieter Kunz längst nicht mehr hören kann.

So geht Glaeske in seinem Jahrbuch erneut von bis zu 1,5 Millionen Schlafmittelsüchtigen in Deutschland aus, wobei einfach angenommen wird, dass jeder, der ein Hypnotikum länger als drei Monate nimmt, davon abhängig ist. Auf diese Weise lässt sich dann eine "massenhafte Abhängigkeit" konstruieren, so der Experte von der Klinik für Schlaf- und Chronomedizin der Charité Berlin. In Deutschland gebe es jedoch nicht 1,5 Millionen Hypnotika-Abhängige, sondern "1,5 Millionen Patienten mit schlecht behandelten psychischen Störungen", sagte der Experte beim "Psychiatrie Update" in Mainz.

Schlaflabor: Daten von Insomnie-Patienten werden ausgewertet.

Schlaflabor: Daten von Insomnie-Patienten werden ausgewertet.

© Mathias Ernert, Universitäts-HNO-Klinik Mannheim

Besonders ärgert ihn, dass Benzodiazepine und Z-Substanzen stets in einen Topf geworfen werden. "Diese Medikamente wirken sehr unterschiedlich", auch sei das Toleranz- und Suchtpotenzial sehr verschieden.

Kein Tiefschlaf unter Benzos

Kunz machte dies etwa am Schlaf-EEG bei einem Patienten nach jahrelangem chronischem Benzodiazepingebrauch deutlich. Dabei zeigte sich eine sehr ausgeprägte, andauernde Spindelaktivität. "Diese Patienten haben praktisch keinen Tiefschlaf." Etwas Ähnliches sei unter Z-Substanzen nicht zu beobachten, hier offenbare das EEG in der Regel keine Auffälligkeiten.

"Benzodiazepine haben ohne Zweifel schlimme Nebenwirkungen und verursachen eine starke Abhängigkeit, vor allem, wenn sie über 20 bis 30 Jahre genommen werden. Mir ist es bislang nicht gelungen, auch nur einen Menschen von einer solchen Abhängigkeit zu befreien, und ich habe mir viel Mühe gegeben", sagte Kunz. "Der Rückgang der Benzodiazepin-Verordnungen in den vergangenen 20 Jahren ist daher sehr positiv."

Im gleichen Maße nahm jedoch die Verbreitung der Z-Substanzen zu. Oft würden diese auf Privatrezept verordnet, weil die Krankenkassen nach vier Wochen nicht mehr dafür aufkommen. Kunz nannte Zahlen, nach denen nur die Hälfte der Packungen mit Z-Substanzen in den Apotheken auf Kassenrezept abgegeben wird. Grund für die Zurückhaltung der Kassen sind Empfehlungen, etwa in Leitlinien, die Behandlung nach spätestens vier Wochen zu beenden, weil ähnliche Nebenwirkungen und Probleme wie mit Benzodiazepinen befürchtet werden.

Kunz führte dagegen Zahlen aus einer 2012 veröffentlichten Studie ins Feld, wonach sich Schlafparameter wie Gesamtschlafdauer, Schlafeffizienz, nächtliche Wachliegezeiten und Einschlaflatenzen auch nach acht Monaten Behandlung mit der gleichen Zolpidem-Dosis nicht verändert hatten. Dagegen waren die Werte unter Placebo nicht nur von Beginn an deutlich ungünstiger, sie verschlechterten sich sogar mit der Zeit. "Wir sehen hier also eine Placebotoleranz. Geben Sie Placebo, solange es noch wirkt!", so der ironische Kommentar des Experten.

Kein Überhang bei rechtzeitiger Einnahme

Auch um Überhangeffekte müssen sich Ärzte seiner Ansicht nach bei Z-Substanzen keine großen Sorgen machen ,zumindest nicht mit Zolpidem und bei einer rechtzeitigen Einnahme am Abend. Kunz verwies auf Untersuchungen am Fahrsimulator nach einer Nacht unter diversen Hypnotika und Placebo. Dabei waren die Reaktionszeiten von Insomniepatienten unter Zolpidem am besten, gefolgt von Placebo sowie Zopiclon. Am schlechtesten schnitten die Betroffenen nach einer Nacht unter Benzodiazepinen ab. Zopiclon scheint aufgrund seiner längeren Halbwertszeit von fünf Stunden etwas eher als Zolpidem (zwei bis drei Stunden) Residualeffekte zu verursachen.

In einer weiteren Untersuchung fanden sich jedoch auch für Zolpidem Beeinträchtigungen bei der Fahrleistung, wenn die Substanz erst in der Mitte der Nacht eingenommen wurde. Müssen die Patienten am nächsten Tag besonders leistungsfähig sein, sollten sie es vermeiden, zunächst lange wach zu liegen und mit dem Schlaf zu kämpfen, um dann nachts um drei doch noch ein Hypnotikum zu nehmen. "Dann lieber gleich um elf Uhr abends." Stattdessen sollten sie eher an Tagen mit weniger Leistungsdruck versuchen, auf Schlafmittel zu verzichten.

Keine Therapie ist für den Experten jedenfalls auch keine Lösung. So schnitten Schlafgestörte am Fahrsimulator deutlich schlechter ab als gute Schläfer; bekannt ist auch eine "Nature"-Publikation aus dem Jahr 1997: Die Fahrtüchtigkeit nach einer durchwachten Nacht entspricht etwa der unter 0,8 Promille Alkohol. Die Risiken einer Nichtbehandlung seien also erheblich. Dies werde bei der Diskussion um Hypnotika häufig außer Acht gelassen, ebenso, dass alternativ eingesetzte Psychopharmaka oft viel stärker Schläfrigkeit, Müdigkeit und verlängerte Reaktionszeiten induzierten als Z-Substanzen.

Dennoch trauen viele Psychiater den Z-Substanzen nicht und setzen stattdessen auf sedierende trizyklische Antidepressiva wie Amitryptilin. Da diese den REM-Schlaf unterdrücken, stören sie jedoch die Gedächtniskonsolidierung. So können sich Probanden weniger gut an das erinnern, was sie am Vortag gelernt haben, wenn sie die Nacht über Trizyklika nehmen. "Im REM-Schlaf wird gearbeitet", so Kunz. Werde dieses Stadium unterdrückt, riskiere man kognitive Probleme.

Kunz hält daher die Z-Substanzen nach wie vor für die erste Wahl bei Ein- und Durchschlafstörungen, sofern diese nicht auf einer anderen Erkrankung beruhen. "Es ist bedauerlich, dass Hinweise auf eine mögliche Abhängigkeit zu einer nachhaltigen Verunsicherung von Patienten und Therapeuten geführt haben." Entsprechend hält er die Therapiebegrenzung bei Z-Substanzen auf vier Wochen bei chronischen Schlafstörungen für absurd. Dies führe lediglich zu einem Doktorhopping und einer Verordnung auf Privatrezept. "Es ist nicht unsere Aufgabe, Insomniepatienten zu diffamieren, sondern zu identifizieren, ernst zu nehmen und adäquat zu behandeln", so der Schlafmediziner.

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