Von Mandelöl über Kamillen- bis Himbeertee

Lieber keine Kräutermedizin für Schwangere!

Schwangeren werden mitunter seltsame Gelüste nachgesagt. Zu diesen gehört es offenbar auch, zu allerlei Kräutermedizin zu greifen. Das ist keineswegs immer so harmlos, wie es sich anhören mag: So könnte Mandelöl das Risiko für Frühgeburten verdoppeln.

Dr. Robert BublakVon Dr. Robert Bublak Veröffentlicht:
Auch Kamillentee birgt für Schwangere Gefahren.

Auch Kamillentee birgt für Schwangere Gefahren.

© Syda Productions / stock.adobe.com

ABERDEEN. Mit den Vorlieben schwangerer Frauen für kräutermedizinische Anwendungen und deren Folgen hat sich ein Forscherteam um Yolanda Muñoz Balbontín vom Institut für Angewandte Wissenschaft der Universität Aberdeen befasst (Obstet Gynecol 2019; 133:920–932).

Ihre Erkenntnisse lassen aufhorchen. Denn offenbar könnte es sogar gefährlich sein, wenn sich werdende Mütter den Bauch mit Mandelöl einreiben, um Dehnungsstreifen vorzubeugen: Diese gängige Praxis soll mit einem mehr als verdoppelten Frühgeburtsrisiko einhergehen. Und auch Kamillentee birgt womöglich Gefahren.

115 Artikel gesichtet

Angesichts dieser und weiterer steiler Thesen liegt die Frage nahe, wie sie zustande kommen. Dabei wird man feststellen müssen, dass es Muñoz Balbontín und Kollegen nicht an Fleiß und Akribie gemangelt hat. 115 Artikel zum Thema haben sie gesichtet, wobei Studien minderer Qualität und solche, die sich mit homöopathischen Anwendungen befassten, nicht in die Analyse einflossen.

Brauchbare, wenn auch nicht unbedingt robuste Daten lieferten 74 Arbeiten zu 47 Produkten der Kräutermedizin. In 31 Studien wurde explizit auf unerwünschte Wirkungen geachtet und über ihre Inzidenz berichtet. Es gab aber auch 14 Studien, in denen keine Nebeneffekte der Kräuterpräparationen festgestellt wurden.

Laut Ergebnissen der Auswertung soll die orale Einnahme von Zubereitungen aus Himbeerblättern (im Vergleich zum Verzicht darauf) mit einer auf mehr als das Dreifache erhöhten Rate an Kaiserschnittgeburten vergesellschaftet sein (adjustierte Odds Ratio [aOR] 3,47). Himbeerblättertee wird unter anderem nachgesagt, Muttermund und Beckenbodenmuskulatur zu lockern und dadurch eine schnellere und leichtere Geburt zu ermöglichen.

Weniger überraschend ist der Befund, dass ausgiebiger Lakritzverzehr zu vermehrten Frühgeburten beiträgt (aOR 3,07). Ohnehin wird Schwangeren geraten, auf Lakritze möglichst zu verzichten. Erstaunlicher ist dagegen, dass Kamillentee mit einer Konstriktion des fetalen Ductus arteriosus, erhöhter Frühgeburtsrate, Größen- und Gewichtsreduktion bei den Neugeborenen sowie mit einer Kongestion der mütterlichen Brust und einer um 50 Prozent erhöhten Milchproduktion assoziiert sein soll.

Lange Liste an Nebenwirkungen

Die Liste möglicher unerwünschter Wirkungen von (Selbst-)Behandlungen mit kräutermedizinischen Produkten ist lang und reicht von eher harmlosen Störungen wie Jucken und Rötung (Aloe), Reflux und Sodbrennen (Ingwer) zu ernsten Ereignissen wie Hypospadien, Lippenspalten und hypoplastischem Linksherzsyndrom (Echinacea).

Muñoz Balbontín und Mitarbeiter äußern sich nicht zu den aktiven Komponenten der Kräuterpräparationen, noch beschäftigen sie sich näher mit den Wirk- und Nebenwirkungsmechanismen. Es soll auch nicht verschwiegen werden, dass die vorgelegten Resultate keine kausalen Schlüsse erlauben, sondern nur Assoziationen wiedergeben.

Beispielsweise ist nicht auszuschließen, dass Schwangere Präparate aus Himbeerblättern zu sich nehmen, weil ihre Beckenbodenmuskulatur nicht locker genug ist. Der Konsum der Kräutermedizin wäre dann womöglich neben der erhöhten Sectiorate nur eine weitere Folge erschwerter Bedingungen für eine vaginale Geburt, nicht aber deren Ursache.

Das Team um Muñoz Balbontín rät schwangeren Frauen dennoch zur Vorsicht beim Griff in die Kräuterapotheke: „Bis belastbare Belege zur Sicherheit vorliegen, sollte man vom Gebrauch kräutermedizinischer Produkte während der Schwangerschaft und der Zeit danach abraten.“

Jetzt abonnieren
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Diagnose im Alter unter 25

Frühe Endometriose geht mit Begleitkrankheiten einher

Neues vom Zyklus

Dauer der Lutealphase ist weniger konstant als angenommen

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

S2k-Leitlinie

Husten – was tun, wenn er bleibt?

Lesetipps
Viele gesunde Lebnesmittel, darunter Gemüse, Lachs und Sesam, liegen auf einem Tisch.

© aamulya / stock.adobe.com

Leckere und gesunde Ernährung

Remission bei Morbus Crohn: Das glückt auch mit einer rein oralen Diät

Moderne Grafik eines Gehirns und eines Darms nebeneinander. Der Hintergrund ist mehrfarbig.

© KI-generiert watz / stock.adobe.com

Morbus Crohn und Colitis ulcerosa

Psychische Erkrankungen begünstigen CED-Schübe

Ein Modell eines Herzens steht auf einem Tisch.

© Jonima / stock.adobe.com (Generi

DGK-Jahrestagung

Präzisionsmedizin: Die Kardiologie ist auf dem Weg