Von Mandelöl über Kamillen- bis Himbeertee
Lieber keine Kräutermedizin für Schwangere!
Schwangeren werden mitunter seltsame Gelüste nachgesagt. Zu diesen gehört es offenbar auch, zu allerlei Kräutermedizin zu greifen. Das ist keineswegs immer so harmlos, wie es sich anhören mag: So könnte Mandelöl das Risiko für Frühgeburten verdoppeln.
Veröffentlicht:ABERDEEN. Mit den Vorlieben schwangerer Frauen für kräutermedizinische Anwendungen und deren Folgen hat sich ein Forscherteam um Yolanda Muñoz Balbontín vom Institut für Angewandte Wissenschaft der Universität Aberdeen befasst (Obstet Gynecol 2019; 133:920–932).
Ihre Erkenntnisse lassen aufhorchen. Denn offenbar könnte es sogar gefährlich sein, wenn sich werdende Mütter den Bauch mit Mandelöl einreiben, um Dehnungsstreifen vorzubeugen: Diese gängige Praxis soll mit einem mehr als verdoppelten Frühgeburtsrisiko einhergehen. Und auch Kamillentee birgt womöglich Gefahren.
115 Artikel gesichtet
Angesichts dieser und weiterer steiler Thesen liegt die Frage nahe, wie sie zustande kommen. Dabei wird man feststellen müssen, dass es Muñoz Balbontín und Kollegen nicht an Fleiß und Akribie gemangelt hat. 115 Artikel zum Thema haben sie gesichtet, wobei Studien minderer Qualität und solche, die sich mit homöopathischen Anwendungen befassten, nicht in die Analyse einflossen.
Brauchbare, wenn auch nicht unbedingt robuste Daten lieferten 74 Arbeiten zu 47 Produkten der Kräutermedizin. In 31 Studien wurde explizit auf unerwünschte Wirkungen geachtet und über ihre Inzidenz berichtet. Es gab aber auch 14 Studien, in denen keine Nebeneffekte der Kräuterpräparationen festgestellt wurden.
Laut Ergebnissen der Auswertung soll die orale Einnahme von Zubereitungen aus Himbeerblättern (im Vergleich zum Verzicht darauf) mit einer auf mehr als das Dreifache erhöhten Rate an Kaiserschnittgeburten vergesellschaftet sein (adjustierte Odds Ratio [aOR] 3,47). Himbeerblättertee wird unter anderem nachgesagt, Muttermund und Beckenbodenmuskulatur zu lockern und dadurch eine schnellere und leichtere Geburt zu ermöglichen.
Weniger überraschend ist der Befund, dass ausgiebiger Lakritzverzehr zu vermehrten Frühgeburten beiträgt (aOR 3,07). Ohnehin wird Schwangeren geraten, auf Lakritze möglichst zu verzichten. Erstaunlicher ist dagegen, dass Kamillentee mit einer Konstriktion des fetalen Ductus arteriosus, erhöhter Frühgeburtsrate, Größen- und Gewichtsreduktion bei den Neugeborenen sowie mit einer Kongestion der mütterlichen Brust und einer um 50 Prozent erhöhten Milchproduktion assoziiert sein soll.
Lange Liste an Nebenwirkungen
Die Liste möglicher unerwünschter Wirkungen von (Selbst-)Behandlungen mit kräutermedizinischen Produkten ist lang und reicht von eher harmlosen Störungen wie Jucken und Rötung (Aloe), Reflux und Sodbrennen (Ingwer) zu ernsten Ereignissen wie Hypospadien, Lippenspalten und hypoplastischem Linksherzsyndrom (Echinacea).
Muñoz Balbontín und Mitarbeiter äußern sich nicht zu den aktiven Komponenten der Kräuterpräparationen, noch beschäftigen sie sich näher mit den Wirk- und Nebenwirkungsmechanismen. Es soll auch nicht verschwiegen werden, dass die vorgelegten Resultate keine kausalen Schlüsse erlauben, sondern nur Assoziationen wiedergeben.
Beispielsweise ist nicht auszuschließen, dass Schwangere Präparate aus Himbeerblättern zu sich nehmen, weil ihre Beckenbodenmuskulatur nicht locker genug ist. Der Konsum der Kräutermedizin wäre dann womöglich neben der erhöhten Sectiorate nur eine weitere Folge erschwerter Bedingungen für eine vaginale Geburt, nicht aber deren Ursache.
Das Team um Muñoz Balbontín rät schwangeren Frauen dennoch zur Vorsicht beim Griff in die Kräuterapotheke: „Bis belastbare Belege zur Sicherheit vorliegen, sollte man vom Gebrauch kräutermedizinischer Produkte während der Schwangerschaft und der Zeit danach abraten.“