Heilpraktikerüberprüfung
Mit der Gefahrenabwehr alleine ist es nicht mehr getan
Die neuen Leitlinien zur Zulassung von Heilpraktikern fordern von Anwärtern den Nachweis medizinischen Wissens und der Fähigkeit, ihre Behandlungsvorschläge am Patienten anwenden zu können. Kritiker sehen darin nur einen Papiertiger.
Veröffentlicht:Für Heilpraktiker soll es künftig höhere Zulassungshürden zur Ausübung ihres Berufes geben. Als Vehikel dienen dem Bundesgesundheitsministerium dazu die Leitlinien zur Überprüfung von Heilpraktikeranwärtern, die am 22. März dieses Jahres in Kraft treten und auf eine bundesweit einheitliche Heilpraktikerüberprüfung abzielen. Die Leitlinien könnten einen Paradigmenwechsel bei der paramedizinischen Berufsausübung einläuten. Denn: "Bislang galt der Grundsatz, dass die Heilpraktikerüberprüfung keine naturheilkundliche Fachprüfung darstellt, sondern ausschließlich auf den Aspekt der Gefahrenabwehr ausgerichtet ist. Sie soll die Bevölkerung vor Gefahren bewahren, die durch die Behandlung eines ungeeigneten Heilpraktikers drohen. Die Überprüfung soll insbesondere gewährleisten, dass der Heilpraktiker über die erforderlichen Kenntnisse verfügt, zu erkennen, wann eine ärztliche Behandlung angezeigt ist", verdeutlicht der auf Heilpraktikerrecht spezialisierte Rechtsanwalt Dr. René Sasse aus Dortmund. Sie belege jedoch keine Fachqualifikation des Heilpraktikers in Bezug auf naturheilkundliche Behandlungsformen. Die Überprüfung sei kein Staatsexamen mit verminderten Anforderungen, wie er verdeutlicht.
Ausführungen teils nicht konkret genug
Die neuen Leitlinien gehen jedoch teilweise über diesen Grundsatz hinaus. "Die antragstellende Person ist in der Lage, eine vollständige und umfassende Anamnese einschließlich eines psychopathologischen Befundes zu erheben und dem Heilpraktikerberuf angemessene Methoden der Patientenuntersuchung anzuwenden", heißt es in Punkt 1.6.2. "Es ist unklar, was hierunter konkret zu verstehen ist", weist Sasse aus juristischer Sicht auf ein Kernproblem der neuen Regelung hin.
Als stumpfes Schwert im Kampf gegen Wildwuchs im Heilpraktikergewerbe empfindet auch der im August vergangenen Jahres gegründete "Münsteraner Kreis" um die Medizinethikerin Professor Bettina Schöne-Seifert. Das 17-köpfige Wissenschaftlergremium hat sich klipp und klar für die Abschaffung des gesamten Heilpraktikerwesens oder alternativ die Einführung obligater akademischer Weiterbildungen für Vertreter bestimmter Gesundheitsfachberufe zum qualifizierten Fach-Heilpraktiker ausgesprochen. Der Kreis stört sich an der "unangemessenen Ausbildung und die meist unhaltbaren Krankheitskonzepte" der Heilpraktiker.
Die Wissenschaftler haben die Entwicklung der neuen Leitlinien mit der verschärften Zulassungsanforderung kritisch beobachtet. "Diese begrenzte Novellierung des Heilpraktikergesetzes ändert allerdings nichts daran, dass sich angehende Heilpraktiker auf die verlangte Prüfung auch autodidaktisch vorbereiten können – ohne je einen Patienten zu sehen", monierten sie in ihrem "Münsteraner Memorandum".
Die Neuregelung werde weder der Komplexität des heute bekannten Krankheitsspektrums gerecht, noch berücksichtige sie die vielfältigen Risiken durch Nebenwirkungen komplementär- und alternativmedizinischer Präparate oder durch deren Wechselwirkungen mit Arzneien der wissenschaftsorientierten Medizin. "Sobald Heilpraktikern die Erlaubnis zur Berufsausübung erteilt worden ist, dürfen sie Diagnosen stellen und Behandlungen durchführen, etwa auch Injektionen verabreichen und Infusionen legen. Sie dürfen damit fast alle im ärztlichen Beruf angesiedelten Tätigkeiten ausüben, bis auf wenige Ausnahmen wie die Verordnung verschreibungspflichtiger Medikamente, Tätigkeiten im Bereich der Geburtshilfe und die Behandlung bestimmter Infektionskrankheiten", warnt die Gruppe um Schöne-Seifert.
Unfreiwillig auf Augenhöhe
Das neue Regelwerk dürfte keineswegs zu einem entspannteren Verhältnis zwischen – rein schulmedizinisch orientierten – Ärzten und Heilpraktikern führen. Denn es wirft auch einen Schatten auf das Licht der naturheilkundlich und alternativmedizinisch tätigen Ärzte.
Vom Antragsteller auf die Zulassung zum Heilpraktikergewerbe werde im Falle eines Behandlungsvorschlages, der Maßnahmen aus dem Bereich der alternativen Therapieformen beinhalte, erwartet, dass er die vorgeschlagenen Maßnahmen erklären und auf Nachfrage in der Lage sei zu zeigen, dass er diese ohne Gefährdung der Patientengesundheit anwenden könne, so Rechtsanwalt Sasse. Diese Anforderungen stünden im Spannungsverhältnis zur gesetzlichen Intention der Heilpraktikerüberprüfung, die gefahrenabwehrrechtlich geprägte Überprüfungsgegenstände, wie das schulmedizinisches Grundlagenwissen oder Hygieneanforderungen rechtfertige. Darüber hinaus sei die Wirksamkeit bei zahlreichen alternativen Behandlungsformen wie zum Beispiel der Homöopathie oder Akupunktur – selbst bei einer Ausführung lege artis – stark umstritten. "Der prüfende Arzt ist kaum in der Lage, angemessen zu bewerten, ob eine alternativheilkundliche Therapie ‚korrekt‘ ausgeübt wird und dies einen Heilerfolg bewirkt. Dies gilt insbesondere für Behandlungsformen aus Randbereichen wie zum Beispiel energetische oder scharmanische Heilverfahren", weist Sasse auf ein Grunddilemma hin.
Der logische Schluss ist – aus der Vogelperspektive betrachtet –, dass sich hier Ärzte und Paramediziner quasi auf Augenhöhe begegnen – unfreiwillig. Für den Versorgungsalltag könnte dies bedeuten, dass viele neue Heilpraktikeranwärter an der alternativmedizinischen Hürde scheitern, sich dann das Angebot komplementär- und alternativmedizinischer Angebote sukzessive ganz auf die Ärzteseite verlagert. Das dürfte auch Anhängern der Denkschule des Münsteraner Kreises gefallen, denn dann findet die gesamte Medizin nur noch in Ärztehand statt.