Review

Neun Mythen über Kaffee und Koffein

Mal wird Kaffee verteufelt, dann soll das Getränk wieder sehr gesund sein. Was stimmt nun? In einem im „New England Journal of Medicine“ erschienenen Review haben Wissenschaftler die gesundheitlichen Effekte des Genussmittels genauer beleuchtet.

Von Veronika Schlimpert Veröffentlicht:
Kaffee ist ein heißgeliebtes Getränk.

Zugreifen – oder vielleicht doch besser stehen lassen? Vorteile und genauso auch potenzielle gesundheitliche Probleme durch Kaffee und Koffein sind immer wieder Forschungsthema.

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Singapur. Kaffee stand lange im Verruf, ungesund zu sein. Zu Unrecht?

Ernährungswissenschaftler um Professor Rob van Dam von der National University of Singapore haben die neuesten Erkenntnisse zur Wirkung von Kaffee und Koffein auf dem Organismus in einem Review (N Engl J Med 2020; 383:369–78) zusammengetragen. Wichtig ist immer, klar zu differenzieren: Was auf Koffein zutrifft, muss nicht für Kaffee gelten und umgekehrt.

Neun falsche Annahmen haben die Wissenschaftler ins rechte Licht gerückt:

1. Mit Koffein lässt sich Schlafmangel kompensieren

Koffein hält zwar kurzzeitig wach. Wer jedoch meint, sich mit einer täglichen Tasse Kaffee nach Tage langem Schlafmangel fit halten zu können, irrt sich. „Koffein kann den Leistungsabfall nach länger andauerndem Schlafdefizit nicht kompensieren“, machen die Wissenschaftler in ihrem Review deutlich. Kurzfristig wirkt sich Konsum von Koffein durchaus positiv auf die Leistungsfähigkeit aus: Durch Hemmung der Adenosin-Wirkung reduziere die Substanz Müdigkeit und steigere die Aufmerksamkeit, berichten van Dam und Kollegen. Koffein bindet an Adenosin-Rezeptoren, blockiert diese und entfaltet so seine Wirkung.

Wenn Kaffee später am Tag getrunken wird, könne sich das auf die Schlafqualität jedoch negativ auswirken, warnen die Wissenschaftler. Die Wirkung auf den Schlaf ist individuell sehr unterschiedlich, sie hängt u.a. von Genvarianten des Adenosin-Rezeptors und der koffeinmetabolisierenden Enzyme ab.

2. Koffein ist ungefährlich

Wer glaubt, dass Koffein per se ungefährlich ist, irrt sich ebenfalls. Denn wie so oft macht die Dosis das Gift. In einer sehr hohen Dosis könne Koffein Angst, Unruhe, Nervosität, Dysphorie, Schlaflosigkeit, Erregung und psychomotorische Agitation erzeugen, erinnern die Review-Autoren.

Mit derartigen Nebenwirkungen ist ab Dosen von 1,2 g oder höher zu rechnen. Zum Vergleich: Eine Tasse Espresso enthält 63 mg Koffein, ein Energy Drink für gewöhnlich 80 mg (je nach Marke). Tödlich kann Koffein ab einer Dosis von 10 bis 14 g sein. Eine Vergiftung durch klassische Koffeingetränke wie Kaffee oder Tee ist nach Ansicht der Wissenschaftler deshalb sehr unwahrscheinlich. Hierzu müsste man 75 bis 100 Tassen Kaffee in kurzer Zeit trinken.

Gefährlicher sind moderne Koffeingetränke wie Energy Drinks oder Shots, vor allem wenn diese mit Alkohol gemischt werden. In Fallberichten wird über kardiovaskuläre, psychische und neurologische Komplikationen berichtet, bis hin zu Todesfällen. Ausgerechnet Kinder und Jugendliche – bei denen diese Getränke sehr beliebt sind – scheinen besonders anfällig für Koffein-bezogene Nebenwirkungen zu sein.

3. Kaffee ist schlecht bei Bluthochdruck

Eine weit verbreitete Annahme ist, dass Kaffee für Menschen mit Bluthochdruck schlecht ist, weil Koffein den Blutdruck in die Höhe treibt. In Studien hat sich diese Befürchtung jedoch nicht bewahrheitet: Selbst bei Menschen mit einer Hypertonie war Kaffee-Trinken mit keinem Blutdruckanstieg assoziiert.

Eine solche Entwarnung können die Autoren aber nicht für andere koffeinhaltige Getränke geben. Koffein in Reinform scheint nämlich tatsächlich einen moderaten Blutdruckanstieg zu verursachen. Warum bleibt dieser Anstieg bei Kaffee aus? Die Wissenschaftler vermuten, dass andere im Kaffee enthaltene Substanzen wie Chlorogensäure der blutdrucksteigenden Wirkung von Koffein entgegenwirken, sie diese quasi ausgleichen.

4. Kaffee erhöht den Cholesterinspiegel

Aus kardiovaskulärer Sicht gibt es zudem Bedenken, dass Kaffee die LDL-Cholesterin-Spiegel erhöhen könnte. Hier kommt es offenbar auf die Zubereitung an. Das im Kaffee enthaltene Cafestol erhöht zwar die LDL-C-Werte. Die Konzentration des Stoffes ist allerdings nur im ungefilterten Kaffee so hoch, dass es sich auf den Lipidstoffwechsel im relevanten Ausmaße auswirkt.

Das Trinken von Kaffee, zubereitet mit der French Press, Türkischer oder Skandinavischer Art, könnte somit eher problematisch sein, falls in hohem Maße konsumiert. In einer randomisierten Studie stieg das LDL-C der Teilnehmer, die viel ungefiltertem Kaffee (im Mittel sechs Tassen pro Tag) tranken, um 17,8 mg/dl (0,46 mmol/L) mehr als bei Teilnehmern, die Filterkaffee zu sich nahmen.

5. Kaffee verursacht Herzrhythmusstörungen

Die Bedenken, dass Kaffee nicht gut fürs Herz ist, sind unbegründet. Das Trinken von sechs Standardtassen Filterkaffee pro Tag hat sich aus kardiovaskulärer Sicht als unbedenklich herausgestellt, selbst für Patienten, die herzkrank sind. Im Gegenteil, ein moderater Konsum von drei bis fünf Tassen scheint sich sogar positiv auf das kardiovaskuläre Risiko auszuwirken. Auch die Annahme, dass Kaffee Vorhofflimmern begünstigt, wurde mittlerweile widerlegt.

6. Kaffee ist schlecht für den Insulinspiegel

Ähnlich wie beim Blutdruck wirken sich Koffein und Kaffee unterschiedlich auf den Insulinspiegel aus. So gibt es Hinweise, dass Koffein die Insulinsensitivität zumindest kurzfristig reduziert. Der Konsum von Kaffee hat dagegen keinen Einfluss auf die Insulinsresistenz. In Studien war regelmäßiges Kaffee-Trinken sogar mit einem geringen Risiko für die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes assoziiert, der Zusammenhang war dosisabhängig.

Die Autoren haben zwei Erklärungen für die auf dem ersten Blick widersprüchlichen Beobachtungen: Es könnte sein, dass der Körper eine Art Toleranz entwickelt, und die Effekte des Koffeins deshalb nachlassen. Oder andere im Kaffee enthaltene Wirkstoffkomponenten gleichen die Wirkung des Koffeins mit ihren positiven Effekten aus.

7. Kaffee dehydriert

Ein hoher Koffein-Konsum könne zwar die Urinausscheidung stimulieren. Es hätten sich aber selbst bei längerer Einnahme moderater Dosen (≤400 mg/Tag) keine negative Auswirkungen auf den Wasserhaushalt feststellen lassen, entkräften die Wissenschaftler die weit verbreitete Befürchtung.

8. Kaffee ist krebserregend

In den 90iger Jahren glaubte man noch, dass Kaffee krebserregend wirkt. Heute sieht die Studienlage ganz anders aus: „Die Ergebnisse vieler prospektiver Kohortenstudien lieferten starke Evidenz, dass der Konsum von Kaffee mit keinem Anstieg der Krebs-Inzidenz oder einer erhöhten Todesrate durch Krebs assoziiert ist“, fassen die Autoren die Erkenntnisse zusammen. Im Gegenteil, gegen manche Krebsarten scheint Kaffee zu schützen, zumindest ist die Zufuhr mit einem etwas geringeren Risiko für Melanome, nicht-melanotische Hauttumore, Brustkrebs und Prostatakarzinom assoziiert. Entsprechende Hinweise gibt es auch für Endometriumkarzinome und hepatozelluläre Tumore.

Kaffee ist offenbar auch gut für die Leber: So geht der Konsum mit einem geringerem Risiko für die Entwicklung einer hepatischen Fibrose und Zirrhose einher.

9. Wer auf Kaffee verzichtet, lebt länger

Menschen, die auf Kaffee verzichten, um länger zu leben, sind der aktuellen Datenlage eher auf dem Holzweg. In Studien ging der Konsum von zwei bis fünf Standardtassen täglich mit einer geringeren Mortalität einherging.

Doch Vorsicht: Die gesundheitsfördernden Effekte des Getränks sind nicht unbedingt auf das Koffein zurückzuführen, treffen also nicht auf andere koffeinhaltige Getränke zu. Zu hohe Koffeindosen können – wie oben beschrieben – schädlich sein.

Fazit: Wie viel Kaffee/Koffein darf man trinken?

Die Autoren des Reviews empfehlen Erwachsenen, ihre Koffeinzufuhr auf maximal 400 mg pro Tag zu begrenzen (entspricht etwa sechs Tassen Espresso oder vier Tassen Filterkaffee).

In diesem Kontext weisen die Wissenschaftler nochmals darauf hin, dass die Reaktionen auf Koffein von Person zu Person stark variieren, und von unterschiedlichen Faktoren abhängen. Rauchen etwa beschleunigt den Koffeinmetabolismus, während orale Kontrazeptiva die Halbwertszeit verdoppeln.

In der Schwangerschaft verlangsamt sich der Koffeinmetabolismus, weshalb die Koffein-Spiegel stark steigen können. Schwangere und stillende Mütter sollten deshalb maximal 200 mg Koffein pro Tag zu sich nehmen.

Bei Menschen, die besonders sensibel auf Koffein reagieren, kann Koffein psychische Auswirkungen haben, Angst erzeugen und die Schlafqualität mindern, gerade bei Menschen, die bereits entsprechende Erkrankungen haben. „Menschen, bei denen diese Effekte auftreten, sollte geraten werden, die Koffeinzufuhr einzuschränken und eine späte Einnahme am Tag zu vermeiden“, raten die Autoren. Bei Energy Drinks sollte auf den Koffeingehalt geachtet werden, von Sorten mit hohem Anteil (>200 mg) und der Kombination mit Alkohol raten die Wissenschaftler ab.

Ärzte sollten zudem auf mögliche Wechselwirkungen mit bestimmten Medikamenten achten. So können einige Chinolon-Antibiotika, manche Herzmedikamente, Bronchodilatatoren und Antidepressiva die Koffein-Clearance verlangsamen und die Halbwertszeit erhöhen. Koffein kann sogar die Wirksamkeit einiger Medikamente verändern.

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