Marburg
Partikeltherapie steht vor dem Aus
Keine fertigen Labors, keine Mitarbeiter und auch keine Ionenstrahl-Kanone mehr: Weil er so nicht forschen kann, nimmt Krebsforscher Jochen Dahm-Daphi frustriert in Marburg seinen Hut.
Veröffentlicht:MARBURG. Für den Hamburger Krebsforscher Jochen Dahm-Daphi sah es aus wie ein Traumjob: Vor eineinhalb Jahren wechselte er als Direktor des Instituts für Strahlenbiologie und molekulare Radioonkologie im Partikeltherapiezentrum zur Philipps-Universität Marburg.
Schließlich gibt es die Partikeltherapie bislang nur dreimal auf der Welt - zwei Zentren dieser Art existieren in Japan, eines in Heidelberg.
Doch der 55-jährige Strahlenbiologieprofessor konnte in Marburg nie mit der Ionenstrahl-Kanone arbeiten, die ein Leuchtturmprojekt für die Krebstherapie werden sollte.
Die Ionenstrahl-Kanone wurde 2011 verkauft
Partikeltherapie
Die Partikeltherapie ist ein sehr präzises Verfahren zur Bekämpfung von Krebsleiden, das kaum Schäden in der Umgebung des Tumors hinterlässt.
Protonen und Kohlenstoff-Ionen werden in einer aufwendigen Beschleunigeranlage auf mehr als 70 Prozent der Lichtgeschwindigkeit gebracht und zielgenau auf den Tumor gelenkt, wo sie Krebszellen zerstören.
Geeignet ist die Technik vor allem für klar abgegrenzte Tumore im Kopf, an der Wirbelsäule und an der Prostata. Das Verfahren ist aber sehr teuer und aufwändig.
In Kiel hat Siemens eine ähnliche Partikeltherapieanlage errichtet, die auch aus Kostengründen nicht betrieben wird. Sie ist bereits abgebaut worden. (coo)
Kurz vor Eröffnung des Zentrums im Sommer 2011 beendete die Rhön AG die Forschungsträume und verkaufte die Anlage an den Hersteller Siemens zurück. Dahm-Daphi wird seine Professur in Marburg nun aufgeben.
Der Experte für DNA-Reparatur sitzt nämlich im wahrsten Sinne des Wortes allein auf weiter Flur. Seine Mitarbeiter sind teilweise bereits gegangen oder arbeiten im biomedizinischen Forschungszentrum der Uni.
Die Labors des Partikeltherapiezentrums hat die Universität nicht mehr fertiggestellt. Dort hängen nur Kabel aus der Decke.
Zum Herzstück des Zentrums - dem Ringbeschleuniger - hat er keinen Zugang. Dort arbeiten nur Siemens-Mitarbeiter, denen das Projekt als Forschungs- und Testanlage dient. In den Behandlungsräumen liegen Phantompuppen.
Großer Frust
"Das ist alles enorm frustrierend", sagt Dahm-Daphi. "Wir könnten hier Weltspitze sein." Denn die Marburger Anlage sei technisch sogar besser als die japanischen.
"Aber keiner arbeitet damit", kritisiert der Forscher. Eigentlich hatte er in Zell- und Tierversuchen untersuchen wollen, wie der Ionenstrahl auf verschiedene Tumorarten wirkt.
Um die ihm versprochenen Forschungsmöglichkeiten zu erreichen, kündigte er eine Klage gegen die Hochschule an. Jetzt hat er sich außergerichtlich geeinigt.
Zum 1. November wird er Marburg verlassen und sich eine neue Existenz aufbauen. In seinen früheren, unbefristeten Job an der Uni Hamburg kann er nicht zurückkehren.
Aus seiner Erfahrung warnt er vor Privatisierungen wie in Marburg, wo das Uni-Klinikum 2006 verkauft wurde. Das Partikeltherapiezentrum sei "ein Beispiel dafür, wie so etwas eklatant schief laufen kann", sagt er.
Seine Professur wird zwar zur Hälfte von der Universität bezahlt, die Entscheidungsgewalt habe indes der private Betreiber Rhön. Und der Krankenhausbetreiber entschied sich gegen das Partikeltherapiezentrum, als klar wurde, dass die Anlage langsamer laufen würde als geplant.
Anstelle der ursprünglich vorgesehenen 2500 Patienten pro Jahr können nämlich nur 800 bis 1200 Krebskranke behandelt werden. Und das rechnet sich nicht.
Finanzierungslücke hätte das Land tragen können
"Universität und Land hätten in so einer Situation mit Sicherheit anders entschieden", sagt Dahm-Daphi.
So wird die Finanzierungslücke in Heidelberg, wo nur 450 Patienten pro Jahr behandelt werden, von der öffentlichen Hand getragen. "Das ist das Prinzip innovativer Wissenschaft", sagt der Forscher.
Bis Ende 2012 hat Rhön Zeit, ein Konzept vorzulegen. Sollte das Uni-Klinikum seine bei der Privatisierung festgeschriebene Verpflichtung nicht einhalten, wolle das Land die veranschlagten 107 Millionen Euro für die Partikeltherapie einfordern, kündigte Hessens Wissenschaftsministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) im Februar an.
Zurzeit verhandeln die Beteiligten miteinander. Offenbar gibt es noch Hoffnung. Rhön teilte auf Anfrage schriftlich mit, dass ein "belastbarer Lösungsansatz nicht ausgeschlossen" sei.