Hintergrund

Schein-Op: der Placebo-Effekt täuscht auch Chirurgen

Eine Operation ohne therapeutischen Eingriff - in Studien kann eine Placebo-Chirurgie sinnvoll sein, um den Nutzen eines neuen Verfahrens zu prüfen. Allerdings nur dann, wenn für die Patienten nur minimale Risiken bestehen.

Von Nicola Siegmund-Schultze Veröffentlicht:
Ob der Griff zum Skalpell auch für eine Placebo-Behandlung erlaubt sein sollte, ist unter Chirurgen umstritten. Franz Pfluegl©www.fotolia.de

Ob der Griff zum Skalpell auch für eine Placebo-Behandlung erlaubt sein sollte, ist unter Chirurgen umstritten. Franz Pfluegl©www.fotolia.de

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Prospektive, kontrollierte, verblindete klinische Studien gelten als der Goldstandard für evidenzbasierte Medizin und sind Grundlage der von wissenschaftlichen Fachgesellschaften erarbeiteten Leitlinien, welche die Versorgung von Patienten verbessern oder eine optimale Therapie sicherstellen sollen. "Auch in der Chirurgie muss durch klinische Studien belegt werden, ob ein neues Verfahren sicher und wirksam ist."

Darauf hat Professor Hartwig Bauer, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, beim Deutschen Kongress für Versorgungsforschung in Köln hingewiesen. Kontrollierte klinische Studien gebe es jedoch in der Chirurgie noch viel zu selten. Der Grund: Die Definition der Vergleichsgruppen und die technische Ausführung seien extrem aufwendig und in der Praxis oft nicht umsetzbar.

Placebo-Chirurgie ist stark umstritten

Ob es sinnvoll und ethisch vertretbar ist, Patienten in Vergleichsgruppen bei kontrollierten Studien nur zum Schein zu operieren, gehört zu den umstrittenen Fragen des Fachs. Dass es Placebo-Effekte in der Chirurgie gebe, sei dagegen unstrittig, sagte Bauer: Schon das Umfeld, die Op selbst, aber auch Erwartungshaltungen, die an Art und Intensität des geplanten Eingriffs geknüpft seien, könnten eine Wirkung beim Patienten hervorrufen.

Weltweit gebe es etwa zwanzig klinische Studien in der Chirurgie, bei denen Patienten aus Kontrollgruppen eine Scheinbehandlung erhalten hätten. Seines Wissens sei darunter keine aus Deutschland; sie stammten hauptsächlich aus dem anglo-amerikanischen Raum.

Dafür, dass Placebo-kontrollierte Studien in der Chirurgie aussagekräftig sein können, gebe es in der Vergangenheit allerdings einige Belege. Als klassisches Beispiel gilt eine Untersuchung aus dem Jahr 1959: Bei Patienten mit Angina pectoris nahmen Ärzte entweder linksseitig eine Ligatur der Brustwandarterie vor oder unterbanden den Blutfluss nur zum Schein.

Weltweit gibt es etwa 20 Studien mit einer Scheintherapie.

Die Symptome verbesserten sich bei 80 Prozent der Patienten, und zwar sowohl in der Verum-, wie in der Placebo-Gruppe. Auch die Effekte der transmyokardialen Laserrevaskularisation bei Patienten mit therapierefraktärer koronarer Ischämie gehen offenbar auf einen Placebo-Effekt zurück, wie eine Studie aus dem Jahr 2000 ergeben hat.

Ein weiteres Beispiel betrifft Patienten mit Arthrose in den Kniegelenken: Im Jahr 2002 wiesen US-amerikanische Forscher nach, dass die arthroskopische Gelenkspülung oder das arthroskopische Débridement bei Patienten mit Kniegelenks-Arthrosen über einen Beobachtungszeitraum von 24 Monaten keinen größeren Effekt auf Schmerzen und Kniegelenksfunktion hatten als eine Placebo-Inzision (NEJM 347, 2002, 81).

Ethikkommissionen sehen Scheineingriffe kritisch

"Es ist natürlich ein großer Unterschied, ob der Arzt einen kleinen Hautschnitt macht wie in der Arthroskopie-Studie bei Patienten mit Kniegelenks-Arthrose, oder ob Bauch, Brustkorb oder Schädel geöffnet werden", sagte Bauer. Scheinchirurgie sei nur dann vertretbar, wenn die Risiken des Placebo-Eingriffs vernachlässigbar klein sind, der Patient über Risiken sorgfältig aufgeklärt ist und keine Alternative besteht, die Frage, welchen Nutzen das Verfahren hat, zu klären.

Von Ethikkommissionen würden Kontrollen mit Scheinoperationen außerordentlich kritisch bewertet. Aber selbst wenn diese im Einzelfall sinnvoll sein könnten und genehmigt würden: "In den Versorgungsalltag lassen sich Ergebnisse, die unter Idealbedingungen einer klinischen Studie gewonnen worden sind, oft nur schwer übertragen", sagt Bauer. Hier habe die Versorgungsforschung anzusetzen.

Viele Chirurgen befürchteten allerdings, dass neue, vielversprechende Techniken eher als nutzlos für den Patienten eingestuft würden. Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie setze sich daher intensiv für eine sinnvolle Erprobung ein, zum Beispiel, indem sie die Einrichtung von Studienzentren für spezielle Fragestellungen fördere.

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