Schweinegrippe tödlicher als vermutet?

Am Anfang herrschte Panik, am Ende hatte die Schweinegrippe aber gar nicht so viele Opfer gefordert wie befürchtet - laut offizieller Statistik zumindest. Jetzt haben Forscher nochmal nachgerechnet und kommen zu ganz anderen Zahlen.

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Schnauze als Symbol: Die Schweinegrippe H1N1 könnte einer Simulation zufolge mehr Todesfälle als bekannt gefordert haben.

Schnauze als Symbol: Die Schweinegrippe H1N1 könnte einer Simulation zufolge mehr Todesfälle als bekannt gefordert haben.

© Georgi Licovski / epa / dpa

ATLANTA (eis). Etwa 280.000 Menschen könnten bei der Schweinegrippe-Pandemie vor zwei Jahren weltweit an Folgen der Infektionen gestorben sein, schätzen Forscher um Dr Fatimah S. Dawood von den US-Centers for Disease Control in Atlanta (Lancet Infect Dis 2012; Online 26. Juni).

Die Zahl der Pandemie-Todesfälle lag nach den Berechnungen der Wissenschaftler also um ein Vielfaches über den 18.500 laborbestätigten H1N1-Toten, die von April 2009 bis April 2010 registriert worden waren.

Für die Analyse wurden Daten zu H1N1-Todesfällen von zwölf Ländern herangezogen, und zwar mit niedrigem (etwa Bangladesch), mittlerem (Mexiko) und hohem Einkommen (USA).

Außerdem wurden die Sterberaten bei Patienten mit symptomatischen Erkrankungen der unteren Atemwege aus fünf reichen Industrieländern berechnet.

Und schließlich haben die Forscher die Übersterblichkeit an Herz-Kreislauf-Krankheiten während der Pandemie in den fünf Industrieländern erhoben. Diese Raten wurden dann auf Länder und Regionen mit unzureichender Datenlage übertragen.

Sentinel-System für künftige Epidemien

So leben zum Beispiel in Afrika und Südost-Asien 38 Prozent der Weltbevölkerung, von dort wurden aber nur zwölf Prozent der laborbestätigten Influenza-Todesfälle gemeldet.

Auf dieser Basis ergab sich während der Pandemie weltweit eine Zahl von 201.200 Todesfällen durch Atemwegserkrankungen mit H1N1, bei allerdings einer riesigen Schwankungsbreite von möglichen 105.700 bis 395.000 Opfern.

Hinzu kommen 83.300 Todesfälle durch Übersterblichkeit an kardiovaskulären Erkrankungen in dieser Zeit (Schwankung: 46.000 bis 179.900 Todesfälle). Nach den Berechnungen waren 80 Prozent der Gestorbenen jünger als 64 Jahre.

Ermittelt wurde zudem, dass 51 Prozent der Todesfälle in Südostasien und Afrika auftraten, mit den höchsten Sterberaten in Afrika.

Die Rechnung bestätigt, dass die Zahl der Todesfälle bei der Pandemie 2009 deutlich unter den Szenarien eines 1918-ähnlichen Ausbruchs mit Millionen Toten liegt.

Für künftige Pandemien wird ein Sentinel-System angeregt, für aktuelle Opferzahlen in repräsentativen Ländern.

Kommentare
Dr. Dr. Winfried Miller 28.06.201207:50 Uhr

Statistik-Spielereien der industrienahen Institute

War doch klar, dass man zumindest mit statistischen Verbiegungen versuchen wird, die Blamage der falschen Voraussagungen hinsichtlich der Gefährlichkeit von Influenza A H1N1 "gerade zu rücken". Für aufmerksame und aufgeweckte Menschen ein sehr durchsichtiges Vorgehen. Lobbyismus, bis hoch in die WHO-Schaltzentralen, hat versagt.

Dr. Thomas Georg Schätzler 28.06.201202:19 Uhr

„Panische Pandemie-Päpste“ am Werk!

Unter Federführung des US-Centers for Disease Control and Prevention, Atlanta, GA, USA (CDC) wollen sich Infektiologen und Epidemiologen in einer äußerst fragwürdigen ‚The Lancet-Infectious Diseases‘ Publikation hiermit hervortun: 18.500 labormäßig bestätigte Todesfälle, verursacht durch die Influenza A H1N1Pandemie, seien weltweit für den Zeitraum von April 2009 bis August 2010 berichtet worden („18 500 laboratory-confirmed deaths caused by the 2009 pandemic influenza A H1N1 were reported worldwide for the period April, 2009, to August, 2010“). Diese Anzahl sei angeblich nur ein Bruchteil der wahren Anzahl der Todesfälle… (“This number is likely to be only a fraction of the true number of the deaths…“), wird dann eilfertig behauptet, o h n e dass die zusammenfassend dargestellte Methodik auch nur einen Hauch von Sensitivität, Spezifität, Validität und Reliabilität erlauben würde. Eine rein spekulative Simulationsrechnung der Studienautorinnen und –autoren soll eine virtuelle Pandemie weltweit, mit einer Zahl tobringender Atemwegserkrankungen bedingt durch H1N1 von 201.200 Todesfällen belegen können (statistischer Bereich 105.700 bis 395.000 Tote). Hinzu kämen hermeneutisch evaluiert bzw. durch naiven Empirismus herausgefunden 83.300 Todesfälle durch Übersterblichkeit an kardiovaskulären Erkrankungen in dieser Zeit (statistischer Bereich 46.000 bis 179.900 Tote).

Im Ergebnis eine waghalsige Hochrechnung der epidemischen H1N1 Influenza-Gefahrenlage, die mit Hilfe einer von der WHO gestalteten Umdefinition von Anfang an zur Pandemie hochstilisiert wurde. Die Mortalitätsziffern bei diesem Blickwinkel auf die H1N1-Influenza, vulgo „Schweinegrippe“, wurden mal eben um den Faktor 15,4 angehoben. Bei der Darstellung der Methodik wurden in The Lancet Infectious Diseases, Early Online Publication, 26 June 2012
doi:10.1016/S1473-3099(12)70121-4
die abenteuerlichsten epidemiologischen Pfade eingeschlagen. Eine bescheidene Kritik ist zunächst, dass ‚normale Epidemiologen‘ immer mit Ein-Jahres- bzw. für den Fall, dass ich missverstanden werde, mit 12 Monats-Bezugsgrößen arbeiten und nicht wie hier mit 17 Monaten von April 2009 bis August 2010. Es wurde mit Rohdaten der respiratorischen Mortalität kalkuliert („We calculated crude respiratory mortality rates“), die kumulative 12 Monat Virus-assoziierte symtomatische Rate von Krankheitsattacken verwendet („using the cumulative [12 months] virus-associated symptomatic attack rates“). Gerade so, als gäbe es weltweit keine weiteren vergleichbaren Influenzavarianten, die täuschend ähnliche Symptome wie H1N1 machen könnten. Man versuchte dann Rohdaten der Mortalität an die Unterschiede zwischen den Ländern anzupassen („To adjust crude mortality rates for differences between countries”), was man besser umgekehrt bewerkstelligen sollte. Die Autoren berichten, dass sie einen Multiplikator für die respiratorische Mortalität entwickelt hätten („we developed a respiratory mortality multiplier”), mit dem sie uns allerdings nicht bespaßen wollen.

Aber selbst eine gutmütige Leserschaft wird vollends destabilisiert durch die exotische epidemiologische Verwirrtechnik des: Wir berechneten die Todesraten kardiovaskulärer Krankheiten, assoziiert mit der Influenza A H1N1 Infektion, mit der Rate der Übersterblichkeit an kardiovaskulären u n d Atemwegserkrankungen in fünf Länder während der Pandemie („We calculated cardiovascular disease mortality rates associated with 2009 pandemic influenza A H1N1 infection with the ratio of excess deaths from cardiovascular and respiratory diseases during the pandemic in five countries“) und multiplizieren diese Werte mit der Virus-assoziierten rohen Mortalitätsrate an respiratorischer Krankheit („and multiplied these values by the crude respiratory disease mortality rate associated with the virus“).

Den letzten Satz der Methodendarstellung sollte man sich an die eigene „Wall of Fame“ nageln. Dort, wo medizinische Diplome, Appro

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