Enormes Präventions-Potenzial
So viele Krebserkrankungen wären vermeidbar
Was wäre, wenn niemand rauchen, trinken oder ungesund essen würde – wenn die Luft sauber wäre und jeder genug Sport triebe? Forscher haben hochgerechnet, wie viele Krebsfälle sich dadurch wahrscheinlich verhindern ließen – und das sind einige.
Veröffentlicht:Rauchen, Alkohol, fettes Essen oder dreckige Luft– darauf sind Zehntausende Krebserkrankungen jährlich zurückzuführen. Wissenschaftler des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg sagen: Ohne solche Risikofaktoren würden allein in diesem Jahr bundesweit rund 165.000 Menschen weniger an Krebs erkranken.
Die DKFZ-Experten um Professor Hermann Brenner hatten sich mit ausgewählten Risikofaktoren befasst. Eine Studie widmet sich Rauchen und Alkohol (Dtsch Arztebl Int 2018; 115: 571), die zweite Übergewicht, Bewegungsmangel und ungesunder Ernährung (2018; 115: 578). In einer dritten Studie geht es um den Einfluss von Infektionen und Umweltfaktoren wie Feinstaub (2018; 115: 586).
Gesunder Lebensstil schützt nicht absolut!
Von 440.000 erwarteten Krebsneuerkrankungen 2018 bei 35- bis 84-Jährigen sind den DKFZ-Studien zufolge geschätzt rund 165.000 (37,4 Prozent) diesen Risikofaktoren zuzuschreiben. Weil weitere Faktoren wie UV-Strahlung nicht berücksichtigt wurden, dürfte der tatsächliche Anteil vermeidbarer Krebserkrankungen noch höher liegen, merken die Forscher an.
Klar muss aber auch sein, dass selbst der vorbildlichste Lebensstil keinen absoluten Schutz vor Krebs bietet. Die Ergebnisse im Einzelnen:
- Rauchen macht der Hochrechnung zufolge den Großteil der vermeidbaren Fälle aus. Fast jede fünfte neu diagnostizierte Krebserkrankung 2018 wird demnach darauf zurückzuführen sein. Von 440.000 zu erwartenden Neuerkrankungen hängen geschätzt 85.000 mit Rauchen zusammen (ca. 20 Prozent).
- Hoher Alkoholkonsum wird dieses Jahr rund 9600 Krebsfälle (ca. 2 Prozent) verursachen. "Für Frauen gibt es zwar mehr alkoholassoziierte Krebsarten, doch bei Männern ist die Gesamtzahl wegen des höheren Konsums mehr als fünfmal so hoch wie bei Frauen", so die Forscher.
- Übergewicht, Bewegungsmangel steigern vor allem bei Menschen von 35 bis 84 Jahren das Krebsrisiko. Von den im Jahr 2018 zu erwartenden Neuerkrankungen werden demnach etwa 30.600 (7 Prozent) auf Übergewicht und etwa 27.100 (ca. 6 Prozent) auf geringe körperliche Aktivität zurückzuführen sein.
- Ernährung: Rund 14.500 (ca. 3 Prozent) der erwarteten Erkrankungen werden den Forschern zufolge mit einer geringen Ballaststoffzufuhr zusammenhängen, rund 9500 (ca. 2 Prozent) mit geringer Obst- und Gemüsezufuhr, weitere etwa 9500 mit Wurstverzehr und rund 1700 (ca. 0,4 Prozent) mit hohem Verzehr von rotem Fleisch sowie rund 1200 (0,3 Prozent) mit hohem Salzkonsum.
- Auf Infektionen werden 2018 nach Schätzungen der Forscher mehr als 17.600 Krebsfälle zurückzuführen sein (ca. 4 Prozent). Das Bakterium Helicobacter pylori und die impfpräventablen humanen Papillomaviren (HPV) tragen am meisten dazu bei.
- Auf Umweltfaktoren werden mehr als 5400 Krebsfälle (1,2 Prozent) aller Neuerkrankungen zurückgehen. Der umweltbedingte Risikofaktor mit dem größten Anteil ist demnach das radioaktive Gas Radon in Innenräumen, gefolgt von Feinstaub, Solariennutzung und Passivrauchen.
Daten erleichtern politische Entscheidungen
Es sei aber fraglich, ob sich ein Risikofaktor komplett eliminieren lasse, erklärt Professor Alexander Katalinic von der Universität zu Lübeck im Editorial (Dtsch Arztebl Int 2018; 115: 569). "Wie wirklichkeitsnah sind eine Raucherquote von 0 Prozent, der komplette Verzicht auf Wurstwaren oder ein normaler Body-Mass-Index für die gesamte Bevölkerung?"
Wertvoll seien die vorgestellten Werte aber sehr wohl: "Die Quantifizierung von vermeidbaren Krebserkrankungen kann der Gesundheitspolitik und der Bevölkerung das Setzen von Prioritäten erleichtern." Dringend notwendig sei ein komplettes Werbeverbot für Tabakprodukte, so Katalinic. "Dies gilt umso mehr, als Rauchen weitere Erkrankungen verursacht, die nicht weniger bedeutsam sind als Krebs."
Die DKFZ-Forscher hatten für ihre Hochrechnungen das Konzept der sogenannten populationsattributablen Fraktion (PAF) für Risikofaktoren genutzt. Die PAF ergibt sich demnach aus dem Verhältnis von Erkrankungsfällen, die einem Risikofaktor zugeschrieben werden können, zu allen Fällen in der Bevölkerung. Die Zahlen und Anteile der dadurch bedingten Neuerkrankungen in Deutschland wurden für das Jahr 2018 geschätzt.
Die Krebssterblichkeit in der EU ist in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen. Etwa bei Darmkrebs schneidet Deutschland im EU-Vergleich besonders günstig ab, wie ein internationales Forscherteam jüngst schrieb (Ann Oncol 2018; 29: 1016).
Die höchste Mortalität in der EU hat den Prognosen der Forscher zufolge Lungenkrebs mit 32 von 100.000 Männern und 15 von 100.000 Frauen. (dpa)