Psychisch kranke Straftäter

Spezialambulanz hat sich bewährt

In keinem anderen Bundesland ist die Rückfallquote psychisch kranker Straftäter so niedrig wie in Hessen. Wesentlich dafür ist die forensisch-psychiatrische Nachsorge von Vitos Hessen, die vor 30 Jahren die Arbeit aufnahm. Im Interview mit der "Ärzte Zeitung" berichtet Roland Freese, ärztlicher Direktor der Ambulanz, von den Anfängen des Projekts.

Von Gesa Coordes Veröffentlicht:
Mit der Nachsorge von psychisch kranken Straftätern, die aus dem Maßregelvollzug entlassen werden, beschäftigt sich die Vitos forensisch-psychiatrische Ambulanz. Roland Freese ist ärztlicher Direktor.

Mit der Nachsorge von psychisch kranken Straftätern, die aus dem Maßregelvollzug entlassen werden, beschäftigt sich die Vitos forensisch-psychiatrische Ambulanz. Roland Freese ist ärztlicher Direktor.

© Rolf K. Wegst

Ärzte Zeitung: Herr Freese, Sie betreiben die älteste kontinuierlich arbeitende Spezialambulanz für die Nachsorge psychisch kranker Rechtsbrecher in Deutschland. Wie kam es dazu?

Roland Freese: Ende der 80er Jahre wurden deutschlandweit viele entlassene Patienten rückfällig. Daraufhin gab es in Berlin, Düren und Haina Modellprojekte für die Nachsorge dieser Patienten. Ohne Pause durchgezogen wurde es seitdem aber nur in Haina.

Wie hoch ist die Rückfallquote Ihrer Probanden heute?

Sie liegt bei vier Prozent. Das gibt es sonst nirgendwo. Andere Bundesländer mit schon länger bestehenden Ambulanzen erreichen acht bis zehn Prozent. Ohne Ambulanzen sind die Rückfallquoten sehr viel höher. Zudem sind die Verweildauern in Hessen mit weniger als sechs Jahren im stationären Maßregelvollzug und unter dreieinhalb Jahren in der ambulanten Nachsorge sehr niedrig. Dadurch hat Hessen relativ geringe Fallkosten im Maßregelvollzug.

Wie haben Sie das geschafft?

Durch ein gutes Konzept und eine enge Nachsorge. Wir haben einen sehr komplexen Eindruck von den Stärken, den Schwächen und den Risiken der Patienten. Wir suchen sie alle 14 Tage dort auf, wo sie leben. Dabei gleichen wir uns mit den Betreuern vor Ort ab und schauen, wie sie im Wohnheim leben und in der Werkstatt arbeiten. Nach unserem Ampelprinzip schaltet die Ampel von Grün auf Gelb, wenn wir erfahren, dass ein Patient seine Pillen nicht mehr nimmt oder nicht in die Tagesstrukturierung geht und wir wissen, dass dies gefährlich für ihn ist. Wenn die Ampel auf rot springt, wird der Patient sehr schnell aus der Gefahrenzone genommen und geht vorübergehend in die Allgemeinpsychiatrie. Jedes Jahr passiert das in etwa 15 Prozent unserer Fälle.

Gab es in der Vergangenheit trotzdem schwere Rückfälle?

Der schwerwiegendste Fall stammt aus dem Jahr 2000, als ein Täter nach seiner Entlassung vergewaltigt und getötet hat. Aber so etwas passiert sehr selten. Wir sind ganz gut darin, zu erkennen, ob die Menschen kritisch werden, und intervenieren lieber ein bisschen zu früh.

Wie lange betreuen Sie die Probanden?

Nach dem Gesetz dauert die Führungsaufsicht fünf Jahre. Damit sie auch anschließend weiter ihre Medikamente nehmen und stabil bleiben, räumen wir den Patienten zum Ende der Führungsphase mehr Freiheitsgrade ein. Aber es gibt auch Patienten, die ein Leben lang Coaching von uns brauchen.

Besonders heftig diskutiert werden entlassene Sexualstraftäter. Sind diese Täter besonders schwer zu resozialisieren?

Eigentlich nicht. Aber sie bleiben länger in der Klinik. Überdurchschnittlich viele werden gar nicht entlassen. Wenn sie rauskommen, empfehlen wir Wohnheimstrukturen mit einer guten sozialen Kontrolle. Es gibt mittlerweile auch brauchbare medikamentöse Möglichkeiten. Aber es ist schwer, niedergelassene Psychiater und Psychotherapeuten für die ambulante Nachbehandlung zu finden.

Wie gehen Sie mit den Ängsten in der Bevölkerung um?

Wenn wir damit konfrontiert werden, stellen wir uns der Diskussion vor Ort. Der letzte Fall liegt drei Jahre zurück. Da wurde ein Sexualstraftäter in ein Dorf im südlichen Schwalm-Eder-Kreis entlassen. Als dies bekannt wurde, gab es große Aufregung. Allerdings hätten wir ihn von uns aus auch nicht entlassen, schon gar nicht in diese Gegend. Aber nach der veränderten Rechtsprechung konnten wir das nicht verhindern. Der Mann ist mit unserer Nachsorge trotzdem erst einmal stabil gelaufen. Mittlerweile ist er wieder in der Klinik, weil er mit einer Brandstiftung rückfällig geworden ist.

Wie oft gelingt eine vollständige Resozialisierung?

Das ist höchst selten. Wir haben nur ganz wenige Patienten, die auf dem ersten Arbeitsmarkt arbeiten. Wir haben nur ganz wenige, die völlig selbstständig leben. Die meisten Patienten sind so schwer krank, dass man sie kontrollieren und stabilisieren, aber nicht mehr gesund machen kann. Wir sind froh, wenn sie es schaffen, in einem Wohnheim zu leben, in einer Werkstatt zu arbeiten, mit ihrem Geld hinzukommen und nicht zu trinken. Das ist eine erfolgreiche Resozialisierung für viele Patienten aus dem Maßregelvollzug.

Vitos forensischpsychiatrische Ambulanz

- Pilotprojekt: Die erste Klinik für forensische Psychiatrie wurde 1977 in Haina (Kloster) in Betrieb genommen.

- Die Fachkliniken gibt es an acht Standorten

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