Vorsatz bei Panscherei mit Dioxin?

BERLIN (dpa). Der Dioxin-Skandal ist nach Ansicht von Bundeslandandwirtschaftsministerin Ilse Aigner durch vorsätzliche Panscherei zustande gekommen. Die Bundesregierung will die Verbraucher besser vor Gift im Essen schützen.

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Das Kabinett beschloss am Mittwoch einen Aktionsplan für schärfere Kontrollen und harte Auflagen für Futtermittelfirmen. Im Bundestag stritten Koalition und Opposition über eine Agrarwende.

"Dioxin gehört nicht ins Futtermittel. Und Dioxin gehört schon gar nicht in die Lebensmittel", sagte Aigner bei einer Regierungserklärung im Bundestag. "Die Täter waren und sind skrupellos."

Sie gehe bisher von Vorsatz aus. Der Futtermittelhersteller Harles und Jentzsch gilt als Auslöser des Skandals, weil er Futterfett und Industriefett vermischt hatte. Aigner sieht jedoch weiter keine akute Gesundheitsgefahr.

Die Bauern, deren Höfe gesperrt sind, sollen angesichts der Millionenschäden eine Soforthilfe bekommen. "Die Landwirtschaftliche Rentenbank wird kurzfristig günstige Kredite zur Überbrückung von finanziellen Engpässen zur Verfügung stellen", sagte Aigner der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Den Bund kosten die zinsgünstigen Kredite nichts.

Die Panscherei mit dioxinhaltigen Fetten in Tierfutter läuft nach Vermutung des niedersächsischen Agrarministeriums schon viel länger als seit März 2010.

Der Dioxin-Skandal sei letztlich wohl eine Panne beim illegalen und systematischen Vermischen technischer Fette mit Futterfetten, sagte Ministeriumssprecher Gert Hahne.

Die Praxis sei aufgeflogen, weil zu viel belastetes Fett untergemischt worden sei. Anders lasse sich nicht erklären, dass der Hersteller seine Fette so lange getestet habe, bis Dioxin-Grenzwerte unterschritten wurden.

"Ich habe diesen Verdacht nicht", sagte Schleswig-Holsteins Agrarministerin Juliane Rumpf (CDU) in Kiel.

"Ich habe keinerlei Anhaltspunkte dafür." Die Verbraucherorganisation Foodwatch hält die Panscherei bei Futtermitteln aber für systembedingt. Das Vermischen belasteter und unbedenklicher Fette ist schon seit 2003 verboten.

Die Bundesregierung will schnell Konsequenzen zugunsten der Verbraucher ziehen. "Darauf können sie sich verlassen", sagte Aigner. "Vieles wird noch in diesem Jahr geschehen."

Das Kabinett beschloss einen Zehn-Punkte-Plan Aigners. Bund und Länder hatten sich am Dienstag auf 14 Punkte verständigt. Geplant sind bessere Futtermittelkontrollen der Länder, wobei der Bund an der Qualitätsüberprüfung mitwirkt.

Dazu sollen eine Meldepflicht von Futtermittelfirmen und Privatlaboren für Schadstoffe, härtere Strafen sowie eine Trennung von Futter- und Industriefett kommen. Die Verbraucher sollen besser über Schadstoffe informiert werden.

Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sieht härtere Strafen laut einer Sprecherin aber weiter skeptisch.

Niedersachsens neuer Agrarminister Gert Lindemann (CDU) hält dagegen bis zu fünf Jahre Haft bei Verstößen nicht für ausreichend. Er wurde am Mittwoch in Hannover vereidigt.

Die Opposition warf Aigner schwere Fehler vor. "Sie erhöhen mit Ihrer Politik das Risiko für Lebensmittelskandale", sagte Grünen-Fraktionsvize Bärbel Höhn.

"Die ganze Welt soll mit deutschem Schweinefleisch beglückt werden." Damit wachse der Preisdruck, weil Futter der höchste Kostenfaktor sei.

Linksfraktionsvize Dietmar Bartsch warf Aigner Zögerlichkeit vor. "Auch ihr Agieren hat das Vertrauen in sichere Lebensmittel erschüttert." SPD-Fraktionsvize Ulrich Kelber forderte Informantenschutz bei Verstößen.

Die Ministerin wies die Kritik zurück: "Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit. Ich habe von Anfang an die Lage ernst genommen." Aigner war in der vergangenen Woche unter Druck geraten.

Die Opposition und mehrere Bio-Verbände forderten eine neue Agrarpolitik hin zum Öko-Landbau. Aigner kündigte nur an, die regionale Vermarktung der Bauern zu stärken. Lindemann lehnte eine Agrarwende ab.

"Eine nostalgische Verklärung traditioneller Produktionsweisen dient weder der Landwirtschaft noch dem Verbraucher."

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen forderte vom Handel ein Signal, dass die Kunden wieder sorgenfrei einkaufen können.

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Kommentare
Dr. Joachim Malinowski 26.01.201114:39 Uhr

Wo bleiben die bisher Dioxinbelasteten Lebensmittel?

"...Dioxin-Skandal sei letztlich wohl eine Panne beim illegalen und systematischen Vermischen technischer Fette mit Futterfetten..."

Es wurde also bei der Futtermittelherstellung mit primär giftigen Grundsubstanzen solange gepanscht, bis vorgegebene Grenzwerte gezielt unterschritten waren.

Was geschieht nun mit den schon belasteten Lebensmitteln, die keiner hjaben will?
Werden diese nun ebenfalls nach altbewährter Methode solange unter-gepanscht, bis bedenkliche Grenzwerte für diverse Gifte erneut unterschritten werden?

Man könnte doch z.B. Haustierfutter daraus machen, denn Hunde und Katzen werden ja nicht getestet (das ist ironisch gemeint).

Ich würde mich nicht darüber wundern, da die kriminelle Energie der Hersteller offenbar nicht zu unterschätzen ist und ich bislang von keinen abschreckenden Strafen für Produzenten von vergifteten Lebensmitteln gehört habe. Evtl. "preisen" diese Hersteller dann künftige Geldstrafen in ihre Produkte von vornherein ein, die dann auch noch der Verbraucher zu bezahlen hat.

Ich frage mich z.B. immer noch, wo die vielen Güterwaggons mit "Tschernobyl-belasteten" Milchpulver hingekommen sind. Ist es ein Zufall, dass es in angemessenem zeitlichen Abstand einen Boom von Milchkaffee-Pulverprodukten auf dem Markt gegeben hat? Alles wieder nur runter verdünnt?

Dr. J. Malinowski

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