Mehnert-Kolumne

Welche Diabetiker brauchen ASS und welche Statine?

Menschen mit Diabetes haben ein erhöhtes Atherosklerose-Risiko. Bei der Medikation zur LDL-Senkung müssen Ärzte richtig abwägen. Zur Entscheidungsfindung verhilft ein scharfer Blick auf die wesentlichen Risikofaktoren.

Von Prof. Hellmut Mehnert Veröffentlicht:

In den letzten 20 Jahren wurden Atherosklerose-Komplikationen bei Diabetikern deutlich reduziert. Das gilt für Makroangiopathien mit Myokardinfarkt und Schlaganfall.

Prof. Hellmut Mehnert

Arbeitsschwerpunkte: Diabetologie, Ernährungs- und Stoffwechselleiden: Diesen Themen widmet sich Prof. Hellmut Mehnert seit über 50 Jahren.

Erfahrungen: 1967 hat er die weltweit größte Diabetes-Früherfassungsaktion gemacht sowie das erste und größte Schulungszentrum für Diabetiker in Deutschland gegründet.

Ehrung: Er ist Träger der Paracelsus-Medaille, der höchsten Auszeichnung der Deutschen Ärzteschaft.

Außer auf die Therapie ist diese positive Entwicklung auch auf eine bessere Prävention zurückzuführen: Dazu gehört ein Rückgang des Rauchens ebenso wie die Optimierung von Blutzucker und Blutdruck sowie von Lipiden und der Plättchenaggregation.

Nach Studiendaten sinkt das relative Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen durch eine LDL-Senkung (insbesondere mit Statinen und Ezetimib) unabhängig von anderen Faktoren wie Alter, Geschlecht oder Begleiterkrankungen.

Unter Statinen bekommt jedoch jeder zehnte Patient Nebenwirkungen wie Myopathien oder Leberwerterhöhungen; in einem sehr geringen Umfang wächst damit zudem das Diabetes-Risiko.

LDL-Wert unter 70 mg/dl empfohlen

Der Nutzen einer LDL-Senkung ist auch für Diabetiker belegt. Das absolute Atherosklerose-Risiko ist bei Menschen mit Diabetes nämlich höher als bei Menschen ohne.

Sicherlich wird man auf die neuen zu injizierenden PCSK9-Antikörper achten müssen, die eine dramatische LDL-Senkung bewirken. Schon wegen der Kosten wird man aber auch künftig die meisten Patienten mit Statinen und gegebenenfalls Ezetimib behandeln.

Nach den Leitlinien sollten Diabetiker in der Regel einen LDL-Wert von unter 70 mg/dl aufweisen, vor allem wenn andere Risikofaktoren vorliegen. In den USA werden sogar alle Diabetiker im Alter über 40 Jahre mit Statinen behandelt.

Grundsätzlich sollte man dabei keinen Unterschied zwischen Typ-1- und Typ-2-Patienten machen. Allerdings werden bei Typ-1-Diabetikern ohne Atherosklerose Statine nur bei einer gleichzeitigen Nephropathie empfohlen.

Der Trend geht eindeutig zu einer besonders ausgeprägten LDL-Senkung hin; es werden sogar Werte unter 70 mg/dl diskutiert. Auch wenn der Ausgangs-LDL-Wert niedrig ist, wird bei Diabetikern mit Atherosklerose schon eine Statinbehandlung empfohlen.

Dies kann unter Umständen Probleme mit der Krankenkasse machen, sollte aber bei entsprechender Dokumentation möglich sein.

Plättchenhemmer bei hohem Risiko

Die mit der Atherosklerose assoziierte Morbidität und Mortalität kann mit Thrombozytenaggregationshemmern (ASS, Clopidogrel oder andere P2Y12-Rezeptor-Antagonisten) weiter gesenkt werden, und zwar vor allem, wenn ein hohes kardiovaskuläres Risiko vorliegt.

Das gilt für Patienten mit und ohne Diabetes gleichermaßen. Die Primärprävention mit ASS ist bei Diabetikern umstritten. Es gibt Studien, die keinen signifikanten Nutzen der Maßnahme ergeben haben.

Eine Metaanalyse mit 95.000 Patienten, davon 4000 Diabetiker, ergab zwar eine zwölfprozentige Risikoreduktion für Herz-Kreislauf-Endpunkte (vor allem nicht tödlichen Herzinfarkte).

Aber auch hier hatte ASS keinen Effekt auf die kardiale Mortalität. Diabetiker ohne oder mit nur minimalen atherosklerotischen Veränderungen sollten daher keine Thrombozytenaggregationshemmer erhalten. Immerhin wird mit den Substanzen das Blutungsrisiko erhöht.

Bei zusätzlichen Risikofaktoren etwa bei alten Patienten, ist die Gabe zu erwägen. Und Diabetiker mit Atherosklerose sollten nach einer Koronar-Intervention zur Sekundärprävention mit ASS und vorübergehend mit einem P2Y12-Rezeptor-Antagonisten (duale Plättchenhemmung) behandelt werden.

Fazit für die Praxis

Je höher das Absolutrisiko für ein kardiovaskuläres Ereignis ist, desto eher ist die Indikation für eine Statinbehandlung und eine Therapie mit Thrombozytenaggregationshemmern gegeben.

Die individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung steht im Vordergrund.

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Kommentare
Dr. Wolfgang P. Bayerl 08.02.201623:13 Uhr

Sehr geehrter Herr Prof. Mehnert

ich lese immer mit großem Gewinn Ihre Kolumne,
möchte aber aus wirklich langer Erfahrung als Chirurg doch stärker vor dem Blutungsrisiko von ASS und Co warnen, eigentlich in jedem Alter, besonders aber im hohen Alter.
Gerade im Krankenhaus wird ja oft reflexartig noch das "harmlose" niedrig-molekulare Heparin gegeben
und zwar natürlich schon viel schneller als die ASS-Wirkung abgeklungen ist.
Leider sehen die Ärzte, die das verordnen nicht selbst diese Blutungen, zu denen auch tödliche Hirnblutungen gehören, in der Chirurgie nach "harmlosen" Bagatelle-Traumen: "Ist aus dem Bett gefallen".
Gerade mit dem Alter wird die Bewegung ungeschickter und die Unfälle und Stürze nehmen deutlich zu.
Das fatale an ASS ist das fehlende medikamentöse Antidot für den Notfall.

Ich sehe in der auch medialen Propagierung trotz schwacher Faktenlage eine zu starke kardiologische Schlagseite und antworte immer dem Patienten gegenüber mit dem Spruch:
Hirn ist wichtiger als Herz.
Auch ein gastrisches blutendes Ulkus ist nicht ganz ohne.
Für mich daher nur bei strenger Indikation!

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