Schlechtere Überlebenschancen
Wenn Komplementärmedizin für Krebskranke tödlich wird
Krebspatienten, die zusätzlich zu einer etablierten Therapie unbewiesene Heilverfahren nutzen, haben wohl schlechtere Überlebenschancen. Die Erklärung ist aber eher nicht in der Komplementärmedizin selbst zu suchen.
Veröffentlicht:Das Wichtigste in Kürze
- Frage: Wie ist die Überlebenserwartung von Krebspatienten, die Verfahren der Komplementärmedizin (CM) nutzen, im Vergleich zu Patienten ohne CM?
- Antwort: Krebspatienten mit mindestens einer konventionellen Therapie plus CM haben schlechtere Überlebenschancen. Hauptursache scheint die Ablehnung weiterer etablierter Therapien zu sein.
- Bedeutung: CM-Patienten sollte die Notwendigkeit einer vollständigen Therapieadhärenz nahegebracht werden.
NEW HAVEN. Viele Krebspatienten setzen Hoffnungen in komplementäre, also ergänzend zu konventionellen Therapien eingesetzte Heilmethoden wie Phytotherapie, Vitamine, Homöopathie oder Krebsdiäten: Sie sollen nicht nur das Befinden verbessern, sondern auch das Überleben verlängern oder gar den Krebs eliminieren. Nach einer Studie aus den USA könnte jedoch das Gegenteil der Fall sein: Krebspatienten, die Maßnahmen der Komplementärmedizin (CM) angewendet hatten, lebten kürzer als Patienten ohne CM. Immerhin scheint für die höhere Mortalität die CM selbst nicht maßgeblich gewesen zu sein (JAMA Oncol 2018; online 19. Juli).
Verdopplung des Mortalitätsrisikos
Für die Studie wurden Informationen aus der National Cancer Database (NCDB) ausgewertet: Unter mehr als 1,9 Millionen Patienten, bei denen ein nicht metastasierter Krebs der Brust, der Prostata, der Lunge oder des Darms diagnostiziert worden war, waren 258 (0,01 Prozent), bei denen außer mindestens einer etablierten Therapie (Op, Bestrahlung, Chemo- und / oder Hormontherapie) auch CM dokumentiert war.
Die CM-Patienten waren – wie in anderen Studien – im Schnitt jünger, häufiger weiblich, gebildeter und wohlhabender und hatten weniger Begleiterkrankungen. Brust- und Darmkrebs ebenso wie eine Erkrankung im klinischen Stadium III erhöhten die Wahrscheinlichkeit für die CM-Anwendung.
Jedem der 258 CM-Patienten wurde vier Patienten ohne CM gegenübergestellt, die in Alter, Krebsentität und -stadium, Einkommen, Versicherungstyp und Diagnosejahr übereinstimmten. Das Fünf-Jahres-Überleben erreichten mit CM signifikant weniger Patienten: 82,2 vs. 86,6 Prozent ohne CM. Nach Abgleich zahlreicher Risikofaktoren war die Anwendung von CM mit einer Verdopplung des Mortalitätsrisikos assoziiert.
Dringender Rat für Ärzte
Die wohl wesentliche Erklärung dafür zeigte sich, wenn auch Therapieverzögerungen und -verweigerungen berücksichtigt wurden. Zwar hatte es zwischen den beiden Gruppen keinen Unterschied hinsichtlich der Zeit zwischen Diagnose und Beginn der konventionellen Therapie gegeben (29 vs. 28 Tage). Die CM-Patienten hatten aber häufiger als die übrigen Patienten eine weitere konventionelle Therapie abgelehnt: Die Verweigererquoten betrugen bei Operationen 7,0 vs. 0,1 Prozent, bei Strahlentherapien 53,0 vs. 2,3 Prozent, bei Chemotherapien 34,1 vs. 3,2 Prozent und bei Hormonbehandlungen 33,7 vs. 2,8 Prozent. Wurde auch für diese Unterschiede adjustiert, war der Zusammenhang zwischen CM und Sterberisiko nicht mehr statistisch signifikant.
Laut den Studienautoren um Dr. Skyler Johnson von der Yale School of Medicine sind die Studienergebnisse "von entscheidender Bedeutung für Patienten, die CM in Erwägung ziehen – eine Gruppe, zu der wohl die meisten Krebspatienten gehören". Ärzte müssten Patientenaktiv nach solchen Therapien fragen und ihnen "dringend dazu raten, alle empfohlenen Therapien zeitgerecht zu befolgen."
Ein Mangel ihrer Studie ist, dass keine Angaben dazu vorlagen, welche CM-Therapien genutzt wurden. Außerdem ist davon auszugehen, dass die Zahl der CM-Nutzer anhand der NCDB-Dokumente deutlich unterschätzt wurde. In Deutschland geht man davon aus, dass etwa 40–50 Prozent der Krebspatienten (auch) Gebrauch von Heilmethoden außerhalb der Schulmedizin machen.
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