Erotische Notfälle
Wenn das Lustspiel in einer Tragödie endet
Mechanisch gefährlich, potenziell infektiös, belastend für Herz und Kreislauf - mit diesen Worten beschreiben Schweizer Ärzte eine Tätigkeit, die man so betrachtet wohl besser unterließe. Schade eigentlich, denn es handelt sich um Sex.
Veröffentlicht:
Vom Bett auf die Bahre - zum Glück ist das nur selten der Fall
© Rudyanto /Fotolia
BERN. Die 22-jährige Patientin wird mit dem Hubschrauber zur neurochirurgischen Versorgung ins Berner Inselspital eingeliefert. Zuvor ist die Frau in einem kleineren Krankenhaus behandelt worden, nachdem sie einen Anfall erlitten hatte und bewusstlos geworden war.
Die Computertomografie zeigte eine ausgedehnte Subarachnoidalblutung mit Einbruch in den vierten Ventrikel. Die Neurochirurgen im Inselspital drainieren den Ventrikel und unternehmen alles, um den Hirndruck zu senken.
Es gelingt nicht. Die Hirnstammreflexe sind erloschen. 48 Stunden später stirbt die junge Frau (Case Rep Emerg Med 2015; 2015: 646438).
Die Blutung in den Subarachnoidalraum stammte aus einem Aneurysma, das an der Teilungsstelle der Carotis interna in die Cerebri anterior und Cerebri media saß. Geplatzt war die Gefäßaussackung beim Sex.
Die Notfallspezialisten um Carmen Pfortmueller, die über den Fall berichten, weisen darauf hin, dass 14,5 Prozent aller subarachnoidalen Hämorrhagien durch Sex ausgelöst werden. Generell steigerten sexuelle Aktivitäten das Rupturrisiko um den Faktor 15, so die Schweizer Mediziner.
Posterotische Kopfschmerzen
"Fast die Hälfte aller Patienten, die wegen neurologischer Probleme beim Geschlechtsverkehr notärztliche Hilfe suchen, klagen über Kopfschmerzen", erläutern Pfortmüller und ihre Kollegen.
Auch genuines koitales Kopfweh tritt explosionsartig auf, was es schwierig macht, es von schwereren Erkrankungen abzugrenzen. "Subarachnoidale Blutungen und Arteriendissektionen sollten immer radiologisch ausgeschlossen werden", raten die Berner Notärzte.
Pfortmüller beschäftigt sich seit einigen Jahren mit den notfallmedizinischen Aspekten des Sexuallebens (Emerg Med J 2013; 30: 846). Das Gros dieser Patienten sucht demnach die Notaufnahme wegen Infektionen auf (62 Prozent), wobei Gonorrhö als Ursache überwiegt.
Herzinfarkte und Todesfälle selten
Auf neurologische Beschwerden, in der Mehrheit Kopfschmerzen, entfallen 12 Prozent der posterotischen Besuche in der Notfallambulanz. Verletzungen stehen mit 10 Prozent zu Buche. Laut Pfortmüllers Statistik handelt es sich dabei ausnahmslos um Männer mit Frenulumriss, Abschürfungen am Penis, Blutergüssen an Penis und Skrotum, einer Hodentorsion oder penilen beziehungsweise skrotalen Schmerzen.
Auch Verletzungen nicht genitaler Regionen kommen vor, wobei muskuloskeletale Schmerzen dominierten. Herzinfarkte sind den Daten zufolge für 0,5 Prozent der Ambulanzvisiten nach Sexualverkehr ursächlich.
Gefährlich, infektiös, belastend - liest man Pfortmüllers Liste, scheint sich die Eingangsbemerkung über Sex zu bestätigen. Beruhigend könnte da der Umstand wirken, dass es sich bei den geschilderten nur um insgesamt 445 Patienten handelte, die sich über einen Zeitraum von zwölf Jahren verteilten.
Schließlich räumt auch Pfortmüller ein: "Die meisten Menschen genießen den Geschlechtsverkehr, ohne dass es zu Komplikationen kommt." Vor allem aber: "Todesfälle beim Sex sind selten."