Stressfaktoren

Wiedervereinigung schlug Frauen aufs Herz

Arbeitslosigkeit, Geldprobleme, soziale Isolation: Politische Umwälzungen haben oft ihren Preis. Nach der Wiedervereinigung haben sich das vor allem Frauen in den neuen Bundesländern zu Herzen genommen - im wahrsten Sinne des Wortes.

Von Dr. Christine Starostzik Veröffentlicht:
Auch 26 Jahre nach dem Mauerfall sterben im Osten immer noch mehr Menschen an Herz-Kreislauf-Krankheiten als im Westen.

Auch 26 Jahre nach dem Mauerfall sterben im Osten immer noch mehr Menschen an Herz-Kreislauf-Krankheiten als im Westen.

© Jens Knappe / dpa

HALLE. Europaweit sinken die Sterberaten bei kardiovaskulären Erkrankungen. Anders in den Bundesländern im Osten: Dort sterben immer noch mehr Menschen an Herz-Kreislauf-Krankheiten als im Westen.

Häufig werden hierfür Stressfaktoren wie Arbeitslosigkeit, Geldprobleme oder soziale Isolation mitverantwortlich gemacht, die politische Umwälzungen mit sich bringen.

Dr. Stefanie Bohley von der Universität Halle und Kollegen haben nun untersucht, wie sich die psychosozialen Belastungen aus der deutschen Wiedervereinigung auf die kardiovaskuläre Gesundheit der ostdeutschen Bevölkerung ausgewirkt haben (BMJ Open 2016; 6: e008703). Dazu haben sie die Daten aus zwei Kohortenstudien kombiniert:

- die CARLA-Studie (Cardiovascular Disease, Living and Ageing in Halle Study 2002-2006) mit 1779 Teilnehmern im Alter von 45 bis 83 Jahre und

- die SHIP-Studie (Study of Health in Pomerania 1997-2002) mit 4308 Teilnehmern zwischen 20 und 79 Jahren.

Skala von 0 bis 10

Mögliche psychosoziale Stressoren durch berufliche, finanzielle und private Veränderungen nach der Wende bzw. seit dem Jahr 1990 wurden mit dem Reunification Stress Index (RSI) auf einer Skala von 0 bis 10 erfasst. Ein RSI-Score über 5 wurde dabei als Verschlechterung gewertet. Ergebnis: Bei 34,6 Prozent der Männer und 36,1 Prozent der Frauen hatte sich nach der Wende der psychosoziale Stress verstärkt.

Die höchsten RSI-Werte wurden bei Menschen im Alter zwischen 45 und 54 ermittelt.

In adjustierten Regressionsmodellen zeigte sich ein Zusammenhang mit kardiovaskulären Erkrankungen nur bei den Frauen (relatives Risiko, RR 1,15). Für den Herzinfarkt kletterte das Risiko um 22 Prozent, für den Schlaganfall um 17 Prozent.

Stärkste Effekte bei Job-Unsicherheit

Den wichtigsten Stressfaktor für Frauen stellten dabei Veränderungen im Berufsleben dar. In diesem Bereich verschlechterten sich die Verhältnisse nach der Wende für 37,0 Prozent der Männer und 38,3 Prozent der Frauen.

Weibliche Studienteilnehmer hatten im Vergleich zu denjenigen, bei denen sich die beruflichen Verhältnisse verbessert hatten, ein weitaus höheres Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen (RR 4,04).

Aber auch beruflicher Stillstand machte den Frauenherzen zu schaffen (RR 3,76).

Mehr Stress - mehr Risiken

Auswirkungen auf kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Hypertonie, Rauchen, Diabetes, schädlicher Alkoholkonsum oder depressive Störungen hatten eine stärkere psychische Belastung bei beiden Geschlechtern. Bei den Frauen zeigte sich diese am deutlichsten durch eine höhere Diabetesrate (RR 1,10). Männer reagierten eher mit depressiven Störungen (RR 1,15).

Besonders starken Einfluss auf kardiovaskuläre Risikofaktoren hatte wiederum eine Verschlechterung im Berufsleben. Im Vergleich zu beruflichen Aufsteigern ließen Probleme mit dem Job bei den Frauen die Diabetesraten (RR 1,66), bei den Männern das Depressionsrisiko (RR 1,85) und bei beiden Geschlechtern die Cholesterinspiegel (im Mittel um 7,65 mg / dl) in die Höhe schnellen.

Zwangsläufig hinterließen auch finanzielle Einbrüche Spuren: Die Zahl der Diabetiker stieg an, Männer wurden leichter depressiv, ihr Cholesterinwert erhöhte sich und Frauen griffen häufiger zur Zigarette. Negative Veränderungen im privaten Bereich förderten bei den Frauen die Depressionsneigung.

Hier, so Bohley und Kollegen, könnte ein Zusammenhang mit der sozialen Bedeutung des Arbeitsplatzes für Frauen in der ehemaligen DDR erkennbar sein. Denn der Jobverlust bedeutete eben nicht nur den Verlust der Arbeit, mitbetroffen waren in der Regel auch Kinderbetreuung, medizinische Versorgung sowie die Teilnahme an kulturellen, sportlichen und sozialen Aktivitäten.

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Kommentare
Dr. Horst Grünwoldt 18.01.201619:56 Uhr

Wiedervereinigungs-Stress

Schon gut 25 Jahre her! Nach der reunification-Euphorie sind natürlich viele adaptierte DDR-Bürger beruflich und sozial in manches Loch gestürzt! Nicht nur die deutsche Alltags-Sprache, sondern auch die Arbeits- und Lebensbedingungen haben sich in beiden deutschen Teilstaaten ja erheblich von einander unterschieden.
Die Übernahme der westlichen Welt in den ostdeutschen Alltag war wohl im konsumierenden Bereich 1990 eine große Freude. Dagegen war der Wegfall des wenig stressigen Arbeitstags in den VEB- Betrieben für viele der Verlust von lieb gewonnener Gemütlichkeit. Existenzielle Sorgen gab es auf dem gemeinsamen, niedrigen Niveau so gut wie keine in der sozialistisch- kollektiven Mangelwirtschaft!
Nach dem ungewohnten Aufwachen im individuellen Kapitalismus-Alltag, hat dies natürlich vor allem die ü 50- Jährigen im "Stress" erwischt. Die hatten sich an den Mitläufer-Trott gewohnt, und nun plötzlich -noch ganz andere 15 Berufsjahre vor sich- kam eine neue Gangart auf jeden Einzelnen zu.
Vieles vom bisher ausreichend Gelernten und Gebrauchten, war nun nichts mehr wert. Wer bis dato in der DDR seinen Dienst von 8-16 Uhr geschoben hat, mit Zwangspausen- wo das Material gefehlt hatte- mußte nunmehr auf Privisionsbasis Autos oder Versicherungen verkaufen.
Die Beschäftigungs-Quote von Frauen war im Westen sowieso weitaus niedriger als im Osten. Somit kamen die als erste in die Arbeitslosigkeit. Und die Männer mußten flexibel sein, was manchen ü 50-Jährigen doch überall auf der Welt schwer fällt, wenn er es nicht beizeiten gelernt hat.
Gesundheitlich -außer im Hochleistungssport- waren die Ostdeutschen im allgemeinen weniger bewußt -trotz öffentlicher Aufklärung zur Erhaltung der Arbeitskraft. Es wurde aus Frust mit den Verhältnissen zu viel, zu fett und zu süß gefuttert - was das Zeug hält! Genauso war es wohl auch mit dem feizügigen Sex - als eine der wenigen alltäglichen Freuden im grauen Alltag der DDR. So sind die einschlägigen Folgekrankheiten auch zu erklären.
Letztlich hat uns Westdeutsche aber in allem nur unterschieden, daß unsere Mode-Sünden i.d.R. immer schon 10 Jahre früher ein Ende fanden.
Dr. med. vet. Horst Grünwoldt (ein Gesamtdeutscher), Rostock

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