Nordrhein

ÄKNo-Chef Henke: Ärztetag falsches Forum für Beschluss zur Sterbehilfe

Ein Kammerchef und ein Rechtswissenschaftler sehen weder Ärzte noch Politik unter Handlungsdruck bei der Suizidassistenz. Der Ärztetag sollte deshalb nicht vorschnell Änderungen der Musterberufsordnung beschließen.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
ÄKNo-Präsident Henke glaubt nicht an eine Entscheidung zum Thema Suizidassistenz im Bundestag in dieser Legislatur.

ÄKNo-Präsident Henke glaubt nicht an eine Entscheidung zum Thema Suizidassistenz im Bundestag in dieser Legislatur.

© picture alliance / Geisler-Fotopress

Düsseldorf. Die Ärzte sollten sich bei der Auseinandersetzung mit dem Thema Suizidbeihilfe nicht selbst unter Druck setzen, findet der Präsident der Ärztekammer Nordrhein (ÄKNo) Rudolf Henke. Aus seiner Sicht besteht kein Grund zur Eile bei einer möglichen Änderung der Musterberufsordnung. Mit ihr wollen die Ärztekammern darauf reagieren, dass das Bundesverfassungsgericht das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe für verfassungswidrig erklärt hat.

Der auf zwei Tage verkürzte Deutsche Ärztetag ist nach Ansicht Henkes angesichts der vielen noch offenen Fragen nicht geeignet für eine nachhaltige Positionierung der Ärzteschaft. „Ist das das Forum, auf dem wir unseren Lösungsvorschlag bringen können?“, fragte Henke auf dem digitalen Rheinischen Ärztetag der ÄKNo.

Henke, der für die CDU im Bundestag sitzt, geht nicht davon aus, dass das Parlament noch in dieser Legislaturperiode eine Entscheidung zum Thema Suizidassistenz fällen wird. Neben den drei vorliegenden Gesetzesinitiativen gebe es auch eine Gruppe von Abgeordneten, die den Verzicht auf eine neue Gesetzgebung für sinnvoll halten oder zumindest die Beschränkung auf die Regelung einzelner Aspekte wie der Rolle der Ärzte, berichtete er.

Kein „Reparaturgesetz“

Auch der Staatsrechtler Professor Wolfram Höfling sieht die Politik nicht unter Handlungsdruck. „Ich plädiere derzeit für einen Verzicht des Bundesgesetzgebers auf jede Art von Reparaturgesetz.“

Die zurzeit diskutierten Optionen haben nach seiner Einschätzung Risiken und Nebenwirkungen. Das gelte für die Schaffung eines Straftatbestands für jede Suizidhilfe, die nicht bestimmte Vorgaben zur Sicherstellung und Überprüfung eines freiwilligen, ernsthaften und dauerhaften Sterbeverlangens gewährleistet. Damit würde der Gesetzgeber eine Art „Normalitätsbeglaubigung“ für eine prozedural abgesicherte Suizidhilfe ausstellen, sagte Höfling. „Ob man das macht, muss man sich gut überlegen.“

Absolute Verbote nicht haltbar

Das in den ärztlichen Berufsordnungen geregelte Verbot ärztlicher Suizidhilfe lässt sich nach Einschätzung Höflings nicht halten. „Absolute Verbote von Suizidhilfe sind verfassungswidrig.“ Er empfahl den Ärztekammern deshalb, sich auf programmatische und offene Formulierungen zu beschränken. So könnte festgehalten werden, dass die Mitwirkung von Ärzten bei der Selbsttötung keine aus der beruflichen Verantwortung erwachsende ärztliche Tätigkeit ist, sich jeder Patient aber darauf verlassen kann, im geschützten Raum des Arzt-Patienten-Verhältnisses ein offenes Gespräch führen zu können. Eine davon abweichende Gewissensentscheidung sollte in Ausnahmefällen respektiert werden, so Höflings Vorschlag.

Professor Helmut Frister, Direktor des Instituts für Rechtsfragen der Medizin an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität, argumentierte, dass sich in einer pluralistischen Gesellschaft wie der deutschen eine Verpflichtung zum Leben ethisch nicht begründen lässt. „Deshalb umfasst das Selbstbestimmungsrecht der Menschen auch die Befugnis, selbst zu entscheiden, ob sie ihr Leben beenden.“

70 von 100 Menschen, die einen Suizidversuch unternehmen, unternehmen keinen weiteren Versuch mehr. Zehn sterben letztlich durch Suizid.

Das beinhalte auch die Befugnis, andere Menschen bei der Beendigung des Lebens um Hilfe zu bitten. Für diese gebe es aber keine Pflicht, die erbetene Hilfe zu leisten, betonte Frister, der Mitglied des Deutschen Ethikrates ist. „Jedoch ist es mit der ethisch gebotenen Respektierung der Befugnis der Menschen, selbst zu entscheiden, ob sie ihr Leben beenden, nicht zu vereinbaren, anderen Menschen generell zu verbieten, bei der Beendigung des Lebens Hilfe zu leisten.“

Suizidprävention wichtige Aufgabe

Die Suizidprävention sieht Frister als wichtige Aufgabe. Die Herausforderung liegt für ihn darin, Bedingungen zu schaffen, damit Menschen von dem Recht, sich das Leben zu nehmen, möglichst nicht Gebrauch machen. „Suizidprävention und Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts sind keine Gegensätze, sondern sie ergänzen sich und müssen miteinander vereinbart werden“, sagte er.

Professor Barbara Schneider, Leiterin des Nationalen Suizidpräventionsprogramms, bezeichnete es als Mythos, dass Menschen, die Suizidgedanken äußern, auch unbedingt sterben wollen. „Vielmehr wollen Menschen unter den gegebenen Umständen nicht mehr weiterleben“, sagte die Chefärztin der Abteilung für Abhängigkeitserkrankungen der LVR-Klinik Köln.

Die dauerhafte Entschlossenheit zum Suizid ist nach Angaben der Psychiaterin in der Praxis sehr selten. Von 100 Menschen, die einen Suizidversuch unternehmen, würden 70 keinen weiteren Versuch unternehmen und zehn letztlich durch Suizid sterben. Die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigten, dass nach der Legalisierung assistierter Suizide die Zahl der nicht-assistierten nicht zurückgeht, berichtete sie. „Man kann sagen, dass der assistierte Suizid neue Gruppen von Menschen anspricht.“

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