Nordrhein-Westfalen
Die Hebammen haben den Kreißsaal gut im Griff
Weder bei Müttern noch bei Neugeborenen ist es in einem Modellprojekt mit hebammengeleiteten Geburten häufiger zu Komplikationen gekommen.
Veröffentlicht:Düsseldorf. Mit finanziellen Anreizen will Nordrhein-Westfalen dazu beitragen, dass Hebammenkreißsäle in den Kliniken des Landes nicht länger die seltene Ausnahme bleiben. „Ich bin der Meinung, dass wir in Nordrhein-Westfalen einen Beitrag dazu leisten sollen, dass sich die Idee des hebammengeleiteten Kreißsaals durchsetzt“, sagte Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) bei der Vorstellung von ersten Ergebnissen eines mehrteiligen Forschungsprojekts.
In dem Projekt „Geburt im hebammengeleiteten Kreißsaal – Entscheidungsabläufe, Qualitätssicherung und Best Practice Modell“ untersuchen Wissenschaftler des Universitätsklinikums Bonn unter Leitung von Dr. Waltraud Merz und Andreas Kocks, wie es sich auf die medizinische Qualität auswirkt, wenn Hebammen Geburten im Krankenhaus selbstständig betreuen. Die Studie wird vom Landeszentrum für Gesundheit mit 380.000 Euro gefördert.
Eins-zu-Eins-Betreuung
Ein Teil der Untersuchung ist eine retrospektive Kohortenstudie, bei der die Daten von jeweils 612 Frauen verglichen wurden, die an der Uniklinik Bonn in den Jahren 2010 bis 2017 in einem Hebammenkreißsaal und in einem ärztlich geleiteten Kreißsaal entbunden hatten. „Die Studie zeigt, dass der Hebammenkreißsaal nicht unterlegen ist“, berichtete Merz. Weder bei den Müttern noch den Neugeborenen sei es bei den hebammengeleiteten Geburten häufiger zu Komplikationen gekommen. Gleichzeitig wurden weniger Geburten vaginal-operativ beendet, die PDA-Rate war niedriger, und es wurden weniger Dammschnitte durchgeführt. Zudem war die Geburtsdauer im Schnitt kürzer.
Der hebammengeleitete Kreißsaal eignet sich für gesunde Frauen, die eine gesunde Schwangerschaft hinter sich haben und bei denen eine problemlose Geburt zu erwarten ist, erläuterte Merz. Die Frauen werden dort nahezu in einem Verhältnis eins zu eins betreut.
Gemeinsamer Kriterienkatalog
Eine entscheidende Voraussetzung ist nach Angaben von Merz, dass Ärzte und Hebammen gemeinsam einen Kriterienkatalog darüber erarbeiten, welche Frauen für diese Art der Versorgung geeignet sind und wann sie während der Geburt in die ärztliche Betreuung weitergeleitet werden müssen. „Die Kommunikation zwischen Ärzten und Hebammen muss gewährleistet sein“, betonte sie.
In Bonn wurden 50,3 Prozent der Frauen während oder nach der Geburt in den ärztlichen Kreißsaal weitergeleitet. Auch bei ihnen seien die Geburten problemlos verlaufen, das Outcome sei genauso gut gewesen wie bei Frauen, die von Anfang an im ärztlich geleiteten Kreißsaal waren, sagte die Studienleiterin.
Unterstützung durch Gesundheitsministerium
In einem nächsten Schritt folgt eine multizentrische prospektive Studie unter Einbeziehung aller neun Hebammenkreißsäle in NRW. Merz ist sich sicher, dass auch diese Untersuchung die aus internationalen Studien bekannten positiven Daten bestätigen wird. „Unter der Bedingung, dass es einen Kriterienkatalog und die Weiterleitung gibt, ist der Hebammenkreißsaal ein sicheres Konzept.“
Die Unterstützung des Hebammenkreißsaals durch das Gesundheitsministerium solle nicht nur in ideeller Form erfolgen, etwa über Werbung für das Modell, sondern auch materiell, sagte Minister Laumann. Wie genau die zeitlich befristeten finanziellen Anreize für Kliniken aussehen sollen, die hebammengeleitete Kreißsäle einrichten, müsse noch entschieden werden.
Der hebammengeleitete Kreißsaal kann dazu beitragen, die Arbeit im Kreißsaal für Hebammen wieder attraktiver zu machen, hofft Laumann. „Um es vorsichtig auszudrücken: Der Kreißsaal ist zurzeit nicht der Arbeitsplatz erste Wahl für Hebammen.“
Kein Widerspruch, sondern Ergänzung
Ein wichtiger Faktor für das Gelingen ist in seinen Augen die gute Kooperation zwischen Hebammen und Ärzten. „Es darf keinen Widerspruch zwischen ihren Interessen geben, sondern wir müssen es so machen, dass sich beides gut ergänzt.“
Dass dies möglich ist, bestätigte Victoria Herrmann, die im Hebammenkreißsaal des Florence-Nightingale-Krankenhauses in Düsseldorf arbeitet. „Er stärkt die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Arzt und Hebamme“, sagte sie. Der hebammengeleitete Kreißsaal ermögliche die Rückkehr zur originären Hebammentätigkeit, berichtete Herrmann. Die Betreuung sei intensiver und nehme die gebärenden Frauen stärker in den Fokus. „Das erhöht die Zufriedenheit der Frau und der Hebamme.“