Modellprojekt in Rheinland-Pfalz
„Gemeindeschwester plus“ hilft einsamen Senioren zu Hause
Petra Studt ist „Gemeindeschwester plus“ in Mainz und kümmert sich um Senioren, die alleine zu Hause leben. In der Corona-Pandemie hat die Vereinsamung vieler alter Menschen zugenommen.
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Petra Studt ist Gemeindeschwester plus und berät Seniorinnen und Senioren, die alleine zu Hause sind.
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Mainz/Landstuhl. Einsamkeit macht vielen betagten Menschen schwer zu schaffen. Gegen die soziale Isolation in den eigenen vier Wänden hilft die „Gemeindeschwester plus“. Das 2015 als Modellprojekt in Rheinland-Pfalz ins Leben gerufene Beratungs- und Vernetzungsangebot soll es bis zum Ende der Regierungsperiode landesweit geben.
„Eine tolle Arbeit, weil man auch Erfolg sieht“, sagt Petra Studt, die in Mainz zwei bis drei Hausbesuche pro Arbeitstag macht. Zielgruppe sind Menschen über 80 Jahren, die zu Hause leben, keinen Pflegegrad haben, aber Unterstützung brauchen.
„Wir sind ausgebildetes Pflegepersonal“, beschreibt Andrea Rihlmann aus Landstuhl im Kreis Kaiserslautern eine Gemeinsamkeit der landesweit inzwischen 34 Vollzeitkräfte. 54sollen es bis 2026 werden. Kreise und kreisfreie Städte können dem Sozialministerium zufolge die Förderung von 1,5 Fachkraftstellen beantragen. Drei Millionen Euro sind dafür im Haushalt 2022 eingeplant.
Hausärztliche Kooperation
Hilfe für ein selbstbestimmtes Leben in der Pfalz
Alles im Blick
Sozialminister Alexander Schweitzer (SPD) spricht von „wertvollen Helferinnen im Alltag“ und einer „alltagsbegleitenden und netzwerkorientierten Kümmererstruktur“. Die Fachkräfte achten auf die soziale Lage der Senioren, ihre gesundheitliche und hauswirtschaftliche Versorgung, ihre Wohnsituation, ihre Mobilität sowie auf Freizeitgestaltung und Kontakte. Die Gemeindeschwestern kommen aber nur, wenn es die alten Menschen selbst wirklich wollen, wie Rihlmann betont. „Die meisten melden sich, wenn ihr Partner stirbt“, berichtet Studt.
„Der erste Hausbesuch ist dann jedes Mal ein Lotteriespiel, ich weiß nicht, was mich erwartet“, erzählt die gelernte Krankenschwester, die seit rund zwei Jahren in Mainz unterwegs ist. „Auch in den teuersten Eigentumswohnungen verbergen sich manchmal schlimme Dinge. Manche leben 30 bis 60 Jahre in ihrer Wohnung und wissen nicht, wer die Nachbarn sind“, berichtet Studt.
„Es ist selten das Problem des fehlenden Geldes, sondern der fehlenden Kontakte“, sagt die 64-Jährige. Viele sähen ihre Angehörigen nur selten. „Und wenn die Tochter dann mal kommt, traut sich die Mutter nicht, etwas zu sagen.“
„Vertrauen schaffen und Wertschätzung zeigen“
Viele „Seniorinnen und Senioren verhalten sich defensiv und leiden still und leise vor sich hin“, berichtet Rihlmann. „Schwäche möchte keiner zeigen.“ Ihre Arbeit beschreibt die 56-Jährige so: „Vertrauen schaffen und Wertschätzung zeigen, für eine Generation, die uns, nicht zuletzt mit ihrer Hände Arbeit und ihrer Disziplin, unseren heutigen, qualitativ hohen Lebensstil ermöglicht haben.“
In der Pandemie seien viele ältere Menschen noch mehr vereinsamt und ihre dementiellen Anteile gewachsen, berichtet sie. „Sie sind der erste Mensch, mit dem ich seit Tagen rede“, bekomme sie immer wieder zu hören. „Mit dem Ukraine-Krieg sehen sich manche auch wieder auf der Flucht wie damals“, sagt Rihlmann. „Ich kann das nicht ändern, aber zuhören.“

Diese Broschüren mit Hilfsangeboten nimmt Petra Studt mit zu ihren Terminen bei den Senioren.
© picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow
Manchmal reiche schon ein einziger Kontakt, berichtet Studt aus Mainz. Drei bis sechs Hausbesuche pro Klient seien aber bei ihr die Regel. In der Mainzer Neustadt etwa wohnten viele im vierten oder fünften Stock ohne Aufzug. „Sie haben keinen, der für sie einkauft.“ Schwierig sei es für viele auch, einen Arzt zu finden, der noch Hausbesuche macht. „Sie wollen aber einen Eins-zu-eins-Kontakt zu ihrem Arzt haben.“
Bei den Hausbesuchen der Gemeindeschwestern gehe es zunächst darum festzustellen, welche Hilfen sind schon da? Und welche sind über Nachbarn, Familien, Freunde und Hilfsdienste möglich? Studt achtet auch darauf, wo es fehlt: „Viele können wegen ihrer Augenkrankheiten Spinnweben oder Ähnliches nicht mehr sehen.“ Bei anderen drohten Teppiche zu Stolperfallen zu werden. „Mit dem Sturz beginnt in der Regel aber die Pflege.“
Viele kennen Hilfsangebote nicht
Die Anfang 80-Jährigen haben ihr zufolge oft noch soziale Netzwerke und kennen sich auch mit dem Internet aus. Ältere in der Regel aber nicht mehr. Von ihren 185 bisherigen Klienten habe sie insgesamt nur etwa zehn Mails bekommen. Manche riefen nur mit einer Frage an, die sie dann mit einem Blick ins Internet beantworten könne. Andere bräuchten auch nur Telefonnummern etwa von Liefer- und Bringdiensten.
Oft gehe es auch um ganz kleine Hilfsmittel etwa zum Strümpfe anziehen oder zum Öffnen eines Schraubverschlusses. „Viele wissen nicht, dass die Krankenkassen helfen und bezahlen alles selbst.“ Studt vermittelt die Menschen auch zu Spaziergängen und Treffs. „In Corona-Zeiten ist aber alles eingeschlafen.“
Gedächtnis- und Bewegungsangebote und Ernährungstipps
Rihlmann betreut einige Senioren schon seit Jahren und baut bei ihren Hausbesuchen auch Gedächtnis- und Bewegungsangebote sowie Trink- und Ernährungstipps ein. Manche begleitet sie auch zum Arzt, weil die Wege auf dem Land lang sind. „Wenn sie 100 Euro für das Taxi hin und zurück bezahlen müssen, gehen sie nicht zum Arzt.“ Einige hörten auch so schwer, dass sie nicht richtig verstünden, was der Arzt sagt.
Ob in der Stadt oder auf dem Land:„Die Gemeindeschwesterplus ist ein echtes Erfolgsprojekt in Rheinland-Pfalz, das in anderen Bundesländern auf Beachtung stößt und das wir weiterhin mit ehrgeizigen Zielen begleiten“, sagt Sozialminister Alexander Schweitzer (SPD). Nach Einschätzung Rihlmanns - die von Anfang an mit viel Herzblut dabei ist - gibt es den Bedarf aber schon vor dem 80. Geburtstag. (dpa)