Prävention gegen Corona

Luftfilter gegen Delta-Variante in Schulen – Bundes- gegen Landespolitiker?

Für die Landeshaushalte könnte es teuer werden, für jeden Klassenraum einen Luftfilter bereitzustellen. Grünen-Kanzlerkandidatin Baerbock lehnt sich schon mal weit aus dem Fenster.

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Ein Luftfiltergerät steht in einem Fachraum eines Gymnasiums. Die Forderungen nach einer flächendeckenden Ausstattung in Klassenräumen werden lauter. Für die Länder stünden dann allerdings hohe Investitionen an. (Archivbild)

Ein Luftfiltergerät steht in einem Fachraum eines Gymnasiums. Die Forderungen nach einer flächendeckenden Ausstattung in Klassenräumen werden lauter. Für die Länder stünden dann allerdings hohe Investitionen an. (Archivbild)

© dpa

Berlin/Stuttgart. Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock fordert massive Investitionen, um sämtliche Schulen gegen das Corona-Virus zu wappnen. „Es muss eine Luftfilteranlage für jeden Klassenraum in diesem Land zur Verfügung gestellt werden“, sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe und der französischen Zeitung „Ouest-France“. „Ja, das kostet Geld. Aber ich nehme nicht hin, dass wir wieder in eine Situation geraten, wo ein Teil der Kinder von Zuhause aus lernen muss, nur weil keine Vorsorge geleistet wurde“, sagte die Grünen-Politikerin.

Die Diskussion über die Luftfilter ist damit am Wochenende voll entbrannt. Dass jedes Klassenzimmer deutschlandweit bis nach den Ferien ein individuell zugeschnittenes Belüftungssystem hat, hält zum Beispiel die Virologin Melanie Brinkmann nach eigenen Worten für illusorisch.

Die Professorin vom Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) spricht sich für das Maskentragen und den vermehrten Einsatz sogenannter Lollitests oder Gurgeltests aus – anstelle der weniger präzisen Antigen-Schnelltests. „Das spart Kosten und kann per PCR ausgewertet werden“, erklärte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Das sei sehr effektiv, wenn es regelmäßig erfolge. Lollitests und Gurgeltests können auch gruppenweise abgenommen und auf einmal ausgewertet werden, nur bei positivem Ergebnis ist dann eine individuelle Nachtestung nötig. „Die Delta-Variante wird nach den Sommerferien sehr schnell durch die Schulen rauschen, wenn wir keine Vorsorge treffen“, warnte Brinkmann.

Söder macht Druck für Schülerimpfung

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder forderte derweil die Ständige Impfkommission (STIKO) auf, dringend zu überlegen, wann sie das Impfen von Jugendlichen empfehle. „Das wirksamste Mittel gegen die Delta-Variante ist die Schülerimpfung. Gerade in den jüngeren Altersgruppen sind die Inzidenzzahlen am höchsten“, sagte der CSU-Chef der „Bild am Sonntag“. Bisher war die Datengrundlage zu Kindern aus Sicht der Impfkommission zu gering für eine allgemeine Impfempfehlung – und das Risiko möglicher Folgewirkungen bei ihnen größer als das einer Corona-Erkrankung mit schwerem Verlauf.

Ob der Grünen-Politiker und Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann der Marschroute der Kanzlerkandidatin seiner Partei folgen will und die Schulen flächendeckend mit Luftfiltern ausstatten wird, wird sich Anfang der Woche zeigen. Dann soll im Ländle über die Ausrüstung von Schulen und Kitas mit Luftreinigern entschieden werden.

Wie dpa am Wochenende aus Regierungskreisen in Stuttgart erfuhr, hat Kretschmann die beteiligten Ministerien schon in der Kabinettssitzung am vergangenen Dienstag dringend aufgefordert, endlich eine Kosten-Nutzen-Rechnung für mobile Raumluftfilter vorzulegen. Es könne nicht sein, dass man nach eineinhalb Jahren Corona-Krise noch nicht genau wisse, ob die Filteranlagen das Infektionsrisiko deutlich senken oder nicht.

3000-4000 Euro je Gerät

Es geht um viel Geld. Die mobilen Geräte kosten zwischen 3000 und 4000 Euro. Im Südwesten gibt es mehr als 67.000 Klassenzimmer. Würde man alle ausrüsten, käme man auf Kosten von bis zu 270 Millionen Euro allein in Baden-Württemberg. An diesem Montagabend kommen Landesregierung und Kommunen zur Gemeinsamen Finanzkommission zusammen. Dabei soll es dem Vernehmen nach neben Corona-Hilfen für gebeutelte Städte und Gemeinden auch um die Luftfilter gehen. Die Kommunen sind für die meisten Schulen als Träger zuständig. Hinzu kämen noch die etwa 9300 Kitas im Land.

Mittlerweile haben Kultus- und Sozialministerium ihre Einschätzung abgeliefert. Nach dpa-Informationen heißt es in dem Papier, dass die Filter ein Baustein für mehr Sicherheit in Klassenzimmern und Kita-Räumen sind. Das entspricht in etwa der Empfehlung des Umweltbundesamts, das erklärt hatte, dass mobile Luftfilter nur eine Ergänzung zum aktiven Lüften sein könnten.

Die Ministerien bringen dem Vernehmen nach die Möglichkeit ins Spiel, vor allem die unteren Klassen mit Raumfiltern auszurüsten, weil für Kinder unter 12 Jahren noch keine Impfungen zugelassen sind. Die Ständige Impfkommission hat bisher aber auch keine generelle Impfempfehlung für Kinder und Jugendliche ab 12 ausgesprochen. Sie empfiehlt Impfungen nur für 12- bis 17-Jährige mit bestimmten Vorerkrankungen.

Bayern will 50 Prozent der Kosten übernehmen

Der politische Druck auf die Koalition wächst, weil die gefährliche Delta-Variante des Coronavirus wieder dazu führen könnte, dass Schulen und Kitas im Herbst geschlossen werden müssen. Einige Länder wie Berlin oder Hessen sind schon weiter als Baden-Württemberg. Bayern hat das Ziel ausgerufen, dass es bis zum Herbst in allen Klassenzimmern einen Luftreiniger geben soll. Der Freistaat will den Kommunen dafür 50 Prozent der Anschaffungskosten erstatten, wie Ministerpräsident Markus Söder (CSU) vergangene Woche ankündigte. Politische Brisanz erhält das Thema aber auch dadurch, dass zwei Wochen nach Ende der Sommerferien in Bayern und Baden-Württemberg Bundestagswahl ist.

Kretschmann und Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) hatten sich zuletzt äußerst skeptisch über die Wirkung der mobilen Filtergeräte geäußert. Allerdings hatte die grüne Landtagsfraktion schon Schoppers Vorgängerin Susanne Eisenmann (CDU) dazu gedrängt, die Anschaffung der Filter voranzutreiben. Damals hatte das Land den Schulen über die Schulträger schon ein Budget von 40 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, das auch für die Beschaffung mobiler Luftreiniger eingesetzt werden könne. Jedoch konnten mit dem Geld auch digitale Geräte beschafft werden.

Opposition kritisiert zögerliche Haltung Kretschmanns

SPD-Fraktionschef Andreas Stoch wundert sich über Kretschmann: „Der Ministerpräsident zögert noch immer bei einer flächendeckenden Lüfter-Ausstattung der Klassenzimmer, hat aber sein Staatsministerium damit großzügig ausstatten lassen.“ Das Land dürfe sich angesichts der Delta-Variante nicht erneut sehenden Auges in Schulschließungen hineinmanövrieren. „Es braucht Luftfilter in allen Klassenzimmern des Landes.“

Auch die Lehrerverbände und die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi dringen seit langem auf die Anschaffung der mobilen Filteranlagen. GEW-Landeschefin Monika Stein forderte das Land auf, die Kommunen finanziell zu unterstützen, sonst drohe ein Flickenteppich, da manche Städte und Gemeinden das wegen der Corona-Krise nicht allein stemmen könnten. Für Verdi im Südwesten warnte Sprecher Andreas Henke: „Wir laufen völlig naiv auf den Herbst zu.“ Bei schlechtem Wetter müssten die Kinder wieder in ihre Gruppenräume. „Wir brauchen das Maximum an Schutz, da gehören Luftfilter dazu.“

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