Groko-Verhandlungen
Sektoren überwinden - Bund und Länder sollen mitmischen
Viele Kompromisse zur Gesundheit und Pflege, auf die sich Union und SPD verständigt haben, gehen weit über die Ergebnisse der Sondierung hinaus. Die "Ärzte Zeitung" dokumentiert die wichtigen Punkte.
Veröffentlicht:BERLIN. Nicht nur in der Bildungspolitik wollen Union und SPD den Föderalismus weiterentwickeln, sondern ganz massiv auch in der Gesundheits- und Pflegepolitik. Das geht aus den bislang getroffenen und weitgehend zwischen Union und SPD konsentierten Koalitionsvereinbarungen hervor, die der Ärzte Zeitung vorliegen. Darin zeichnen die möglichen Großkoalitionäre die großen Linien aus dem letzten Koalitionsvertrag nach. Niederlassungsanreize in strukturschwachen Regionen, Bedarfsplanung, sektorenübergreifende Zusammenarbeit, Patienten- und Qualitätsorientierung. Die Versorgung mit Ärzten, Hebammen und Apotheken soll auch in Zukunft "wohnortnah" sein.
Arbeitsgruppe mit Sprengkraft
"Nachhaltige Schritte" wollen Union und SPD bei der Förderung der sektorenübergreifenden Versorgung gehen. Unter diesem Stichwort schlagen Union und SPD eine Neuerung mit Sprengpotenzial vor. Geplant ist eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, in der auch die Bundestagsfraktionen vertreten sein sollen. Sie soll nicht monothematisch ausgerichtet sein, wie zum Beispiel die Bund-Länder AG zur Reform der Pflegeberufe. Vielmehr soll sie umfassend Vorschläge entwickeln zur Weiterentwicklung der sektorenübergreifenden Versorgung. Ausdrücklich genannt werden folgende Arbeitsaufträge an das neue Gremium: Bedarfsplanung, Zulassung, Honorierung, Kodierung, Dokumentation, Kooperation der Gesundheitsberufe, telematische Infrastruktur und Qualitätssicherung. Damit werden praktisch alle Organe der Selbstverwaltung mit Vorschlägen dieser Arbeitsgruppe zu tun bekommen.
Zuwachs sollen die Zulassungsausschüsse der KVen erhalten. Dort sollen künftig Vertreter der Länder mitwirken können. Die Strukturfonds der KVen sollen mit Blick auf die Ärzteversorgung auf dem Land schlagkräftiger aufgestellt werden. Die Länder sollen bei der Bedarfsplanung im GBA ein Mitberatungsrecht vergleichbar dem der Patientenvertreter erhalten.
Die mögliche große Koalition plant zudem, den vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst neu zu regeln. Landeskrankenhausgesellschaften und KVen sollen dazu Integrierte Notfallzentren in gemeinsamer Finanzierungsverantwortung aufbauen.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft reagierte prompt: Die gleichrangige Einbindung der Krankenhäuser in die Organisation des ambulanten Notfalldienstes sei zu begrüßen, sagte DKG-Präsident Dr. Gerald Gaß am Freitagmittag. Noch fehle allerdings eine gesetzliche Regelung für die grundlegende Reform der Vergütungssysteme.
Personal, Personal, Personal
Das wollen Union und SPD
- Prävention: Rückenwind für die Nationale Diabetesstrategie.
- DMP Depression und Rückenschmerz sollen aus der Wiedervorlage geholt werden.
- Der Innovationsfonds geht in Dauerbetrieb: 200 Millionen Euro jährlich; derzeit 300 Mio.
- Organspende: Neuer Anlauf, um mehr Organe zu gewinnen – mit mehr Geld und Freistellung von Klinikpersonal.
- Krankenhauslandschaft: Der Strukturwandel soll mit der Verlängerung des Strukturfonds weiter finanziert werden.
- E-Health: Die Pflege soll in die Telematikinfrastruktur. Das Fernbehandlungsverbot kommt auf den Prüfstand.
Quelle: Koalitionsvereinbarung vom 4. Februar
Arbeitskräfte für die medizinische und pflegerische Versorgung zu gewinnen zieht sich wie ein roter Faden durch die bisher bekannten Vereinbarungen. Mehr Studienplätze in den medizinischen Fakultäten sollen einen sich abzeichnenden Arztmangel lindern helfen. Neue Unterrichtskonzepte sollen den angehenden Ärzten eine Tätigkeit auf dem Land schmackhaft machen. Das Schulgeld für Pflegeschüler und andere Gesundheitsberufe soll abgeschafft werden. Ein Reizthema für Ärzte könnte die apodiktisch formulierte Vorgabe werden, den Gesundheitsfachberufen mehr Verantwortung zu übertragen.
Die Pflegepersonalvergütung in den Krankenhäusern soll aus den Fallpauschalen herausgenommen werden. Damit werden die DRG um die Personalkosten der Pflege bereinigt. Damit solle ökonomischer Druck von den Kliniken genommen und Mengenausweitungen bei Operationen vermieden werden. Für die Einrichtungen der Altenpflege sehen Union und SPD ein Sofortprogramm zur Finanzierung von 8000 Fachpflegestellen vor. Dafür sind im Endausbau rund 400 Millionen Euro im Jahr vorgesehen.
Unter das Stichwort Rekrutierung fallen weiter eine Ausbildungsoffensive, die Rückkehr von Teilzeit- in Vollzeitbeschäftigungsverhältnisse, ein Wiedereinstiegsprogramm und die Weiterqualifizierung von Pflegehelfern zu Fachkräften. In der vergangenen Legislatur hatte die Koalition die Beschäftigung von rund 30.000 Pflegehelfern ermöglicht.
Finanzierung noch offen
Das Papier enthält noch keine Aussage zur Finanzierung der ambulanten Versorgung. Da es sich dabei um eine "systemrelevante Entscheidung" handele, bleibe sie den Parteispitzen von CDU, SPD und CSU vorbehalten, hieß es. Die Union will keine Vereinheitlichung der Honorarsysteme für privat und gesetzlich Versicherte. SPD schon. Alternativ wird über mehr Geld für die Behandlung gesetzlich Versicherter diskutiert, um Wartezeiten zu verkürzen.
Entscheidungen zu diesem Punkt lagen am Sonntag bei Redaktionsschluss nicht vor.
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