Szenarien für COVID-19
Simulator aus dem Saarland berechnet hohe Belastung in Kliniken
Der COVID-19-Simulator der Universität des Saarlandes prognostiziert für den Dezember hohe Belegungszahlen auf den Intensivstationen – trotz der beschlossenen Maßnahmen.
Veröffentlicht:Homburg / Saar. Trotz des Teil-Lockdowns werden einer Simulation zufolge im Dezember mindestens doppelt so viele Intensivbetten belegt sein wie zu Spitzenzeiten der ersten Welle. Nur eine drastisch gesenkte Reproduktionszahl könne eine Überlastung der Krankenhäuser noch verhindern, geben sich Forscher der Universität des Saarlandes überzeugt.
Die Wissenschaftler um den Pharmazie-Professor Thorsten Lehr veröffentlichen regelmäßig auf einer frei zugänglichen Online-Plattform detaillierte Prognosen für alle Bundesländer. Seit Neuestem werden die Zahlen auch auf Landkreisebene publiziert.
Der dafür entwickelte Simulator wird unter anderem mit den Meldungen des RKI, der Gesundheitsämter, den recherchierten Fallzahlen der „Berliner Morgenpost“ und klinischen Daten gefüttert. Erfasst werden die Patienten-Zahlen, die Todesfälle und die stationären Kapazitäten, Jeden Mittwochabend gibt es ein Update.
Maßnahmen wirken nur langsam
Nach diesen Hochrechnungen würde selbst bei einem Rückgang der Reproduktionszahl von derzeit über 1,4 auf etwa 0,6 ein Monat nicht ausreichen, um das Infektionsgeschehen in den Griff zu bekommen. Vielmehr lägen dann immer noch mehr als die Hälfte der Stadt- und Landkreise im Wochenschnitt über der Schwelle von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. Selbst bei einem „derzeit äußerst unrealistischen R-Wert von 0,3“ wären noch knapp 20 Prozent der Kreise betroffen.
Mit Blick auf die bisherigen Erfahrungen betonen die Wissenschaftler, erhöhte Infektionszahlen wirkten sich erst mit mehrwöchiger Verzögerung auf die Belegung von Intensivbetten aus. Der entscheidende Wendepunkt in Richtung zweiter Welle sei Mitte September eingetreten. Die Infektionsdynamik habe dann Anfang Oktober zu dem stark exponenziellen Anstieg geführt.
Lehr warnt deshalb, ohne deutliche Senkung der R-Zahl und der damit verbundenen Möglichkeit, wieder die Kontakt-Nachverfolgung zu gewährleisten, werde es „unweigerlich zu einer extremen Belastung des Gesundheitswesens im Dezember“ kommen. Deshalb sei eine Rückkehr zu einem „normalen“ Alltag Ende November möglicherweise noch zu früh.
Anzahl der Sterbefälle könnte bald zunehmen
In einer weiteren Simulationsrechnung hat eine Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen berechnet, dass in den kommenden Wochen deutlich mehr Menschen im Zusammenhang mit einer Corona-Infektionen sterben werden als in den vergangenen Wochen. Modellrechnungen zeigten, dass die Zahl der Todesfälle durch Covid-19 in Deutschland bereits Anfang November auf 500 bis 800 pro Woche zunehmen dürfte, sagte die Leiterin einer Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut in Göttingen, Viola Priesemann. Möglicherweise falle der Anstieg sogar noch stärker aus.
Die bisher relativ niedrigen Zahlen von Todesfällen seien darauf zurückzuführen, dass sich bis Ende September überwiegend Menschen unter 60 Jahren mit dem Virus Sars-CoV-2 angesteckt haben, erläutern die Wissenschaftler um Priesemann. Seitdem steige die Zahl der gemeldeten Infektionen auch bei Über-60-Jährigen. Dies führe mit einem Zeitverzug von etwa zwei Wochen auch zu einem Anstieg der Todesfälle. An der Studie beteiligten sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zahlreicher deutscher Forschungseinrichtungen.
Das Team analysierte den Anstieg der gemeldeten Neuinfektionen nach Altersgruppen und ermittelte aus der beobachteten Sterblichkeit in der jeweiligen Altersgruppe, wie sich die Zahl der Todesfälle durch Covid-19 entwickelt. „Nach einer umfangreichen Metastudie verzehnfacht sich die Sterblichkeitsrate bei einer Coronainfektion alle 20 Lebensjahre und erreicht um das 82 Lebensjahr rund 10 Prozent“, hieß es. (kud/dpa)