COVID-19

Verkürzung des Genesenenstatus: Gutachter sehen Verfassungskonflikte

Wissenschaftler zweifeln, ob die Verkürzung des Genesenenstatus durch das RKI verfassungrechtlichen Maßstäben genügt. Einige Politiker wollen die Entscheidungsmacht in den Bundestag zurückholen.

Veröffentlicht:
Die Verkürzung des Corona-Genesenenstatus könnte ein Fall fürs Verfassungsgericht werden.

Die Verkürzung des Corona-Genesenenstatus könnte ein Fall fürs Verfassungsgericht werden.

© Uli Deck/picture alliance

Berlin. Die Verkürzung des Genesenenstatus auf drei Monate durch das Robert Koch-Institut sorgt weiter für Unbill. Jetzt steht der Vorwurf im Raum, das RKI und die ihn beauftragende Bundesregierung hätten möglicherweise verfassungswidrig gehandelt. „Entscheidungen müssen immer noch durch die Politik gefällt werden und diese muss dementsprechend dann auch Verantwortung dafür übernehmen. Mich wundert nicht, dass es hier verfassungsrechtliche Probleme geben könnte“, sagte CDU-Gesundheitspolitiker Erwin Rüddel am Montag der „Ärzte Zeitung“.

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages rückt die Ermächtigung des Instituts, selbstständig und fortlaufend zu definieren, ab wann ein Mensch nach einer Corona-Infektion als genesen gelten kann, zumindest in die Nähe des Verfassungsverstoßes. Es sei zweifelhaft, ob die Übertragung dieser Kompetenz verfassungsrechtlichen Maßstäben genüge, heißt es in reinem aktuellen Gutachten des Dienstes.

Gutachter halten Ermächtigung des RKI für bedenklich

Den Stein ins Rollen gebracht hat eine Änderung des Paragrafen 28c des Infektionsschutzgesetzes durch die COVID-19-Schutzmaßnahmenausnahmenverordnung vom 14. Januar. Demnach gilt der Nachweis über eine überstandene Infektion nur dann als Genesenennachweis, wenn er den vom RKI im Internet veröffentlichten Vorgaben entspreche. Das RKI hatte daraufhin den Genesenenstatus von sechs auf drei Monate verkürzt. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte das Vorgehen des RKI zumindest inhaltlich unterstützt. In Ärztekreisen ist die neue Frist umstritten.

Die Gutachter halten es allerdings für vertretbar, darin eine „unzulässige, verdeckte Subdelegation“ zu sehen. Der Gesetzgeber könne die Regierung zwar dazu ermächtigen, eine Verordnung zu erlassen. Sollte die Regierung diese Ermächtigung jedoch weiterreichen, bedürfe es einer zusätzlichen Ermächtigung. Es sei daher bedenklich, dass die Bundesregierung eigene Aufgaben an das RKI weitergebe.

Rüddel: Es besteht kein Zeitdruck mehr

Die Gutachter machen zudem darauf aufmerksam, dass an die „Bestimmtheit“ der Vorgaben zum Genesenenstatus besonders hohe Anforderungen zu stellen seien. Die Veröffentlichung im Internet erfordere von Betroffenen, dass sie sich ständig über die Rechtslage informieren müssten, da sie sich „dynamisch“ ändern könne. Die Gutachter können allerdings nicht erkennen, dass ein Wandel der wissenschaftlichen Erkenntnisse einen derartigen Regelungsdruck erzeugen könne, dass ein reguläres Rechtsetzungsverfahren nicht mehr greifen könne.

Erwin Rüddel verweist darauf, dass dem Gesundheitsminister in der ersten Phase der Pandemie Möglichkeiten eingeräumt worden seien, viele Entscheidungen per Verordnung zu treffen, um möglichst schnell reagieren zu können. Dieser Zeitdruck bestehe nicht mehr. „Der Gesundheitsminister hat die vom Gesetzgeber eingeräumten Möglichkeiten ausgedehnt, indem er die Entscheidungshoheit über den Genesenenstatus und die Quarantäneregelungen an das Robert Koch-Institut übertragen hat“, sagt Erwin Rüddel. Das Parlament sollte sich seine Hoheit zurückholen. (af)

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Jahrelange Verhandlungen

Weitgehender Freispruch für Angeklagte in Masken-Prozess

Auszeichnung

Bundesverdienstkreuz für Professor Hendrik Streeck

Krisenresilienz im Fokus

Potsdamer Landtag arbeitet Corona-Pandemie auf

Das könnte Sie auch interessieren
Die Chancen der Vitamin-C-Hochdosis-Therapie nutzen

© Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH

Vitamin-C-Therapie

Die Chancen der Vitamin-C-Hochdosis-Therapie nutzen

Anzeige | Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH
Medizinischer Infusions-Tropf mit buntem Hintergrund

© Trsakaoe / stock.adobe.com

Hochdosis-Therapie

Vitamin C bei Infektionen und Long-COVID

Anzeige | Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH
Internationaler Vitamin-C-Kongress im Juni

© Spinger Medizin Verlag

Vitamin C als hochdosierte Infusionstherapie

Internationaler Vitamin-C-Kongress im Juni

Anzeige | Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH
Für Menschen ab 60 Jahren sind die Impfungen gegen Influenza, Corona, Pneumokokken und Herpes zoster (beide nicht im Bild) Standard-Impfungen. Für Menschen ab 75 Jahren kommt die RSV-Impfung hinzu.

© angellodeco / stock.adobe.com

Respiratorisches Synzytial Virus

STIKO: Alle Menschen ab 75 gegen RSV impfen!

Kommentare
Dr. Gunthram Heidbreder 01.02.202213:54 Uhr

Formaljuristisch mögen die Bedenken des Herrn Rüddel ja gerechtfertigt sein, praktisch, faktisch führt eine derart einseitige Sicht meines Erachtens jedoch in die Irre. Der Festlegung des Genesenenstatus muss sich nach medizinisch-wissenschaftlichen Kriterien gemessen und hat keinen Platz für politisch motivierte Ausweichmanöver. Die Politik soll Bewertungsmaßstäbe setzen, die Feststellung wissenschaftlicher Erkenntnisse, gerade wenn sie sich im Zuge weiterer Forschungen ändern, den Fachleuten überlassen.

Sonderberichte zum Thema
Manchmal kommt Künstliche Intelligenz ziemlich abstrakt daher. Doch es gibt zunehmend auch konkrete Anwendungen, sogar für Arztpraxen.

© 3dkombinat - stock.adobe.com

Praxisorganisation

Mit KI zu mehr Entlastung fürs Praxisteam

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Doctolib GmbH
Der Empfang der Gynäkologen-Praxis in Gütersloh: Vor allem die starke Patientinnenbindung überzeugte am Ende das MVZ, das die Praxis erwarb.

© Andreas Peters

Praxismanagement

Privatpraxis abzugeben? Das lässt sich regeln!

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Finanzdienstleister MLP
Broker im Handelsraum der New Yorker Börse NYSE Stock Exchange Euronext. Dem Markt in den USA traut die apoBank eine bessere Performance zu als europäischen Aktienmärkten.

© Thomas Imo / photothek / picture alliance

Jahresausblick

Nach Rekordjahr: Luft für Aktien wird 2025 dünner

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: der Deutschen Apotheker- und Ärztebank (apoBank)
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

„ÄrzteTag“-Podcast

Was unterscheidet gute von schlechten Lobbyisten, Martin Degenhardt?

Lesetipps
Gebratene Speckstreifen

© Galina Didebashvili / imageBROKER / picture alliance

Weg mit dem Speck

Verarbeitetes rotes Fleisch erhöht offenbar Demenzrisiko

Adipositas ist eine komplexe Diagnose, die Diagnosestellung bloß über den BMI ist es nicht. 56 Fachleute zeigen einen neuen Algorithmus in der Diagnostik auf, welcher mehrere Faktoren mit einbezieht. (Symbolbild)

© ABBfoto/picture alliance

Übergewicht neu gedacht

Adipositas-Diagnose: BMI bald Geschichte?