20. Europäischer Gesundheitskongress München
Versorgung und Forschung: Reformbaustelle Datenschutz
Interoperabilität, Patientendatennutzung nur mit DSGVO-Erlaubnisvorbehalt und fehlende Register – die Mängelliste beim digitalisierten Gesundheitswesen ist lang. Gibt es die Chance auf schnelle Abhilfe?
Veröffentlicht:München. Kam die Corona-Pandemie mit Blick auf die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens zu früh oder zu spät? Das ist Ansichtssache, wie die Paneldiskussion zur Eröffnung des zweiten Tages des 20. Europäischen Gesundheitskongresses in München am Freitag unter dem Motto „Daten schützen Leben!“ zeigte. Für Professor Jörg Debatin, Leiter des Health Innovation Hub (hih) des Bundesministeriums für Gesundheit, kam die Pandemie demnach „ein paar Jahre zu früh für uns“. Zum Glück habe der 121. Deutsche Ärztetag in Erfurt bereits das Fernbehandlungsverbot gekippt gehabt, „sonst wären die hunderttausenden Videosprechstunden in den Arztpraxen nicht möglich gewesen“, postulierte Debatin, der betonte, mit Hilfe des hih und unter Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sei in drei Jahren immerhin einiges im Eiltempo aufgeholt worden, was die vergangenen 20 Jahre in puncto Digitalisierung des Gesundheitswesens verabsäumt worden sei.
Für Professor Ulrike Protzer, Institutsdirektorin des Instituts für Virologie am Helmholtz Zentrum München und Leiterin des Instituts für Virologie der Technischen Universität München, kam Corona hingegen nach eigenem Bekunden zu spät nach Deutschland. Sonst wäre das deutsche Gesundheitswesen heute schon wesentlich weiter durchdigitalisiert gewesen, lautet ihre Hypothese.
Kein Anschluss unter dieser Nummer ... Fax adé im ÖGD?
Protzer verwies darauf, dass vor allem im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) teils immer noch nicht die Infrastruktur zum elektronischen Datenaustausch vorhanden, das Fax weiterhin Goldstandard der Datenübermittlung sei. Auch die bereits für Ende Februar avisierte Ausstattung aller Gesundheitsämter mit der Kontaktnachverfolgungssoftware SORMAS, die bisher noch immer nicht erreicht sei, spreche Bände. Das Argument lässt Debatin nicht gelten: „Wenn Gesundheitsämter noch immer nicht SORMAS haben, dann haben deren Leiter ihren Laden nicht im Griff oder stellen eigene Interessen über die des Allgemeinwohls.“
Ein echter Stolperstein für die digitalisierte medizinische und pflegerische Versorgung sei der fehlende Interoperabilitätsstandard bei den einzelnen Anwendungen. Immerhin habe es man jetzt nach 15 langen Jahren geschafft, mit der Telematikinfrastruktur in puncto Interoperabilität Flagge zu zeigen. Mit dem Dienst KIM (Kommunikation in der Medizin) liefe „sogar“ schon die erste Anwendung, ergänzte er.
Daten aus UK zur Orientierung in der Pandemie
Konsens herrschte zwischen Debatin, Protzer und Professor Steffen Weber-Carstens von der Charité – Universitätsmedizin Berlin in puncto Hemmschuh Datenschutz. Da die EU-Datenschutzgrundverordnung hohe Hürden an die Nutzung von Patientendaten stelle – und diese zudem noch unter einem umfangreichen Erlaubnisvorbehalt stehe –, habe das bisher den Aufbau vieler nationaler Register verhindert, die am Anfang der Pandemie zur Einschätzung der Entwicklung hilfreich gewesen wären. So habe man auf Registerdaten aus dem Vereinigten Königreich zurückgreifen müssen.
Debatin warf in diesem Zusammenhang die Frage in den Raum, ob es – Föderalismus hin oder her – wirklich der 16 Landesdatenschutzbeauftragten und in Bayern noch zusätzlich des Landesamtes für Datenschutzaufsicht bedürfe. „Lieber nur einer, der dafür aber bundesweit und klar die Richtung vorgibt, wie es beim Datenschutz konkret zu laufen hat“, so Debatins Plädoyer.