Die Null als Ziel
„Zero Covid“-Strategie: „Fast aussichtslos“
Die Initiative „Zero Covid“ macht sich dafür stark, mit deutlichen Beschränkungen die Infektionszahlen auf null zu drücken. Manche Wissenschaftler halten das für kaum realistisch.
Veröffentlicht:Neu-Isenburg. Seit Monaten befindet sich Deutschland im Lockdown. Erst in einem „Lockdown light“, der dann mit jeder Verlängerung der Maßnahmen weiter verschärft wurde und wohl auch noch weiter verschärft wird. Mittlerweile scheinen die Einschränkungen zwar zu wirken und die täglichen Neuinfektionszahlen abzunehmen – allerdings nur langsam.
„Zu langsam“, betont der Epidemiologe Professor Markus Scholz von der Universität Leipzig gegenüber der dpa. Seinen Berechnungen zufolge könnte es im besonders stark betroffenen Sachsen – bei positiver Schätzung! – bis Ende Februar dauern, bis die Sieben-Tages-Inzidenz bei unter 50 pro 100.000 Einwohnern liegt. Solange müssten die Maßnahmen aufrecht erhalten werden.
Bei eher pessimistischer Prognose sei dieses Ziel bis Ostern nicht zu schaffen, so Scholz. „Wobei da eine Verstärkung der Maßnahmen noch nicht eingepreist ist, aber auch nicht die neue Mutation.“ Wie also lassen sich die Infektionszahlen deutlich schneller und effektiver senken?
„Ziel muss die Null sein“
Für die Initiatoren von „Zero Covid“, zu denen neben Ärzten und Pflegekräften auch Journalisten, Autoren, Künstler, Lehrer und Klimaaktivisten zählen, geht das nur mit einem radikalen Strategiewechsel, eben mit „Zero Covid“: „Das Ziel darf nicht in 200, 50 oder 25 Neuinfektionen bestehen – es muss Null sein“, heißt es auf der Webseite der Initiative. Gelingen könne dies nur mit einem „solidarischen europäischen Shutdown“ – mit einer Einschränkung der direkten Kontakte auf ein absolutes Minimum. Es geht den Initiatoren nicht darum, die Pandemie zu kontrollieren, sondern darum, sie zu beenden.
Fabriken, Büros, Betriebe, Baustellen, Schulen müssten geschlossen und die Arbeitspflicht ausgesetzt werden, lautet die Forderung. Außerdem müsse es ein umfassendes Rettungspaket für alle geben und der Gesundheits- und Pflegebereich sofort ausgebaut werden. Mit einer Petition haben sich die Initiatoren an die deutsche, schweizerische und österreichische Bundesregierung gerichtet. Mittlerweile haben fast 70.000 Menschen unterschrieben.
Kurzer, starker Lockdown
„Zero Covid“ orientiert sich dabei am internationalen Aufruf für die konsequente Eindämmung der COVID-19-Pandemie in Europa, den unter anderem Professor Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut in Göttingen im Dezember formuliert hat. Auch darin sprechen sich die Autoren für einen kurzen, starken Lockdown aus.
Im Dezember formulierten sie einen Richtwert von maximal zehn Neuinfektionen pro eine Million Einwohner und Tag – und zwar für ganz Europa. Allerdings waren zu diesem Zeitpunkt die Virusvarianten aus Großbritannien und Südafrika noch nicht aufgetreten.
Das Wichtigste zu „Zero Covid“
- Welche Idee steckt dahinter? Mit strengen, für ganz Europa geltenden Maßnahmen sollen die Infektionszahlen auf Null reduziert werden. Dazu müssen Kontakte auf ein Minimum reduziert, Fabriken, Büros, Betriebe, Baustellen und Schulen geschlossen werden.
- Wer sind die Initiatoren? „Zero Covid“ ist eine internationale Bewegung, auch in Großbritannien sind Unterstützer aktiv. In Deutschland haben die Petition, die sich an Regierungen hierzulande, in der Schweiz und Österreich richtet, fast 70000 Menschen unterschrieben, darunter Ärzte, Pflegepersonal, Autoren, Journalisten oder Schauspieler (Stand 19. Januar).
Für den Epidemiologen Scholz ist es „fast aussichtslos“, in den Wintermonaten das Infektionsgeschehen auf null zu drücken. Seine Hoffnung ist, dass Deutschland mit dem semiharten Lockdown durchkomme. „Das Virus in 14 Tagen auszurotten, hat noch nirgendwo geklappt, auch nicht in China.“
Neue Virusvarianten
Hinzukämen die neuen Virusvarianten. Hier sei allerdings noch vieles unklar, so wisse man nicht, wie stark sich die Variante B.1.1.7 aus Großbritannien unter Lockdown-Bedingungen verbreite. „Die Zahlen in Großbritannien sind in einem Teil-Lockdown entstanden, sodass man eventuell davon ausgehen kann, dass es unter Lockdown-Bedingungen nicht ganz so schlimm ist.“
Maßnahmen, die noch ergriffen werden könnten, sieht Scholz in den noch offenen Bereichen, „also die Realwirtschaft und den öffentlichen Personennahverkehr“. Der Epidemiologe empfiehlt, das Homeoffice so weit wie möglich umzusetzen. Auch Schulen seien ein wesentlicher Pandemietreiber, es zeige sich in allen Ländern, dass Lockdown ohne Schulschließung nicht funktioniere. (mit Material von dpa)