Flüchtlinge

Ärzte ohne Grenzen wehren sich gegen Kritik von Politikern

Von einem "Massengrab Mittelmeer" spricht Ärzte ohne Grenzen. Die Hilfsorganisation fühlt sich von der EU im Stich gelassen und will dennoch ihre Rettungsaktionen für in Seenot geratene Flüchtlinge konsequent fortsetzen.

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BERLIN. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen fühlt sich wegen ihrer Seenotrettung im Mittelmeer zunehmend unter Druck. Der Geschäftsführer der deutschen Sektion, Florian Westphal, beklagte bei der Vorstellung des Jahresberichts am Mittwoch in Berlin eine "zunehmende Kriminalisierung und Diffamierung lebensrettender Hilfe".

Die wachsende Zahl von Flüchtenden könne sich gut ein Jahr nach dem EU-Abkommen mit der Türkei nicht mehr auf die Solidarität der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten verlassen.

Der Unions-Innenexperte Stephan Mayer (CSU) hatte die Seenotrettung zwischen Nordafrika und Europa zuletzt als "Shuttle-Service" nach Italien bezeichnet. Es sei beleidigend, mit diesem "weitgehend kriminellen System" der Schlepper in Verbindung gebracht zu werden, sagte Westphal. Die Staaten der Europäischen Union müssten sich fragen, wie lange sie noch zusehen wollten, "wie sich das Massengrab Mittelmeer jeden Tag ein bisschen mehr füllt".

Brief an Angela Merkel

Unterdessen fordern die Nichtregierungsorganisationen (NGO) SOS Méditerranée, Sea-Watch und Ärzte ohne Grenzen in einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel, mit Blick auf die dramatischen Fluchtbedingungen die Zustände auf der Mittelmeerroute öffentlich als humanitäre Krise anzuerkennen.

Die Arbeit der NGOs in der Seenotrettung werde zunehmend gefährlicher und die Zustände seien unhaltbar, beklagen die Organisationen. In dem Brief berichten sie von lebensbedrohlichen Manövern der libyschen Küstenwache und Anschuldigungen von Seiten italienischer Staatsanwälte und des österreichischen Außenministers, die NGOs arbeiteten vorsätzlich mit Schleppern zusammen.

Ärzte ohne Grenzen hatte 2016 aus Protest gegen die "Abschottungspolitik Europas" beschlossen, kein Geld von der EU und ihren Mitgliedern mehr anzunehmen. Dank der Spender in Deutschland könne dieser Betrag aber ausgeglichen werden, hieß es. Das Spendenaufkommen stieg den Angaben zufolge im vergangenen Jahr um 14 Prozent auf knapp 133 Millionen Euro.

Zu den wichtigsten Einsatzgebieten zählten 2016 der Kongo, der Jemen und der Südsudan. Im Südsudan seien durch den Bürgerkrieg und die Dürre zwei Drittel der Bevölkerung auf humanitäre Hilfe angewiesen. Für die Vertriebenen aus dem Jemen oder dem Südsudan sei es utopisch über Libyen nach Europa zu gelangen. "Die Menschen sind zu arm", sagte Westphal.

Die Teams des internationalen Netzwerkes von Ärzte ohne Grenzen arbeiten in rund 70 Ländern. 2016 besetzten insgesamt 301 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in Deutschland leben oder über das deutsche Büro ausgereist sind, 406 Projektstellendes internationalen Netzwerkes.

"2016 war ein Jahr, in dem es eine Anhäufung von humanitären Krisen mit unvorstellbarem Ausmaß gab, und leider müssen wir davon ausgehen, dass es im Jahr 2017 noch kritischer wird", so die Prognose von Dr. Volker Westerbarkey, Vorstandsvorsitzender der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen.

Kernproblem Mangelernährung

Auswirkungen von jahrelangen Kriegen, von Gewalt und Vertreibung seien derzeit in Ostafrika vor allem in Somalia und im Südsudan besonders stark wahrzunehmen. Die Zahl der mangelernährten und kranken Kinder sei erschreckend gestiegen.

"Wir werden mit weiteren Hilfsprojekten darauf reagieren, auch weil weiterhin viele Menschen gezwungen sind, aus ihrer Heimat zu fliehen", ließ Westerbarkey keinen Zweifel über künftige Herausforderungen.. (dpa/mmr/eb)

Weltweites Netzwerk

» Ärzte ohne Grenzen ist ein weltweites Netzwerk aus 24 nationalen und regionalen Mitgliedsverbänden.

» Das Netzwerk ist durch eine gemeinsame Charta miteinander verbunden.

» Die deutsche Sektion beteiligt sich an den Hilfseinsätzen des Netzwerkes auf vielfältige Weise: Sie rekrutiert qualifiziertes Personal, wirbt Spenden ein und macht Öffentlichkeitsarbeit.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Nothelfer in Not

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