1. Preis Charity Award 2023
Gesundheitskollektiv Berlin bietet Menschen im sozialen Abseits eine Gesundheitsversorgung unter einem Dach
Der gemeinnützige Verein Gesundheitskollektiv Berlin hat das Stadtteil-Gesundheits-Zentrum Neukölln gegründet, um Menschen, die in sozial schwierigen Verhältnissen leben, einen innovativen Zugang zur Gesundheitsversorgung zu bieten. Für dieses Engagement wurde der Verein nun mit dem 1. Preis beim Springer Medizin Charity Award ausgezeichnet.
Veröffentlicht:Das Geschrei im Haus ist unerträglich, die Wohnung viel zu klein, die Schulden wachsen über den Kopf, es gibt Sprachbarrieren und Diskriminierungserfahrungen. Hinzu kommen mangelnde Kenntnisse des Gesundheitssystems: Wo gehe ich hin, wenn ich ärztliche Behandlung benötige und wenn die Wartezeit für einen Termin viel zu lange ist?
Der gemeinnützige Verein Gesundheitskollektiv Berlin e. V. weiß um Probleme von Menschen aus prekären sozialen Milieus – auch mit Blick auf ihre Zugangsoptionen ins Versorgungssystem. Mit dem Stadtteil-Gesundheits-Zentrum Neukölln, kurz Geko, genannt, hat das Gesundheitskollektiv eine Einrichtung mit klar formulierten Zielen gegründet: Es geht darum, den Zugang zur Gesundheitsversorgung für Menschen an sozialen Brennpunkten zu verbessern.
Es gebe oft hohe Hürden für Menschen mit Migrationshintergrund, ärztliche Versorgung in Anspruch zu nehmen, sagte Koordinatorin Patricia Hänel vom Geko bei der Preisverleihung. „Manche können das nicht, weil sie anders groß geworden sind und sozialisiert wurden.“ Ein Problem sei zudem, dass die Sprachmittlung in Praxen nicht finanziert werde. Den zeitlichen Aufwand, den es für die Behandlung fremdsprachiger Patienten brauche, könnten viele Praxen nicht leisten.
Eine umfassende Versorgung unter einem Dach
Das Geko leistet Hilfe bei körperlichen, psychischen und sozialen Belastungen. Der Verein hat darüber hinaus ehrgeizige Ziele: „Wir wollen auch vor krankmachenden Lebensbedingungen nicht unsere Augen verschließen, denn wir wissen: Auch die beste Gesundheitsversorgung bleibt ineffektiv, wenn sich die Lebensbedingungen, die krank machen, nicht ändern.“
Springer Medizin Gala 2023
Die Preisverleihung des Galenus-von-Pergamon-Preises und des Springer Medizin Charity Awards in Bildern: Impressionen der Springer Medizin Gala 2023.
Mit dem Geko wurde ein Ort geschaffen, an dem medizinisch- pflegerische, psychische und soziale Aspekte einer umfassenden Versorgung unter einem Dach angeboten werden. „Das Geko ist so erste Anlaufstelle für Menschen mit schlechtem sozioökonomischem Status, mit Zugangsbarrieren oder in prekären Lebenssituationen. Die Einrichtung ermöglicht ihnen einen einfachen Zugang zum Gesundheitssystem.
Von der Kinderarztpraxis bis zur Familienberatung
Deshalb wird in einem Neubau auf dem Gelände der ehemaligen Kindl-Brauerei in Berlin alles unter einem Dach angeboten: Auf 500 Quadratmetern gibt es eine Hausarzt- und eine Kinderarztpraxis, es gibt Beratungsstellen für Familie, Gesundheit, Pflege und Soziales, und es gibt Angebote zur psychologischen Betreuung. Auch aufsuchende Gesundheitsarbeit im Stadtteil Neukölln gehört zum Programm.
Das interdisziplinäre Team sei „alles“, so Hänel. Die Ärzte stünden „am Ende der Kette“ und hätten nicht das alleinige Sagen. Denn die Kontakte zu den Menschen würden im Geko vor allem von den anderen Mitarbeitern geknüpft.
Im eigenen Café zum Beispiel. Das hilft dabei, Nachbarn und Patienten aus der Umgebung in Kontakt zu bringen. Und das Kollektiv positioniert sich: „Das Thema Wohnen ist einer unserer Schwerpunkte in der Stadtteilarbeit.
Der Schimmel in der Wohnung und Angst vor steigenden Mieten beeinträchtigen die Gesundheit und nehmen Menschen Ressourcen, sich um den Erhalt ihrer Gesundheit zu kümmern“, heißt es in einer Geko-Infoschrift: „Dies ist unserer Überzeugung nach mindestens genauso wichtig für die Gesundheit wie medizinische und psychologische Therapie.“
Mit ungewöhnlichen Wegen zum Ziel
Mittlerweile verdienen über 20 Menschen im Geko ihren Lebensunterhalt. „Wir verteilen unsere Umsätze durch die Versorgung und die Fördermittel, die wir vom Land und von Stiftungen, erhalten, so gerecht wie möglich unter den Angestellten“, so das Gesundheitskollektiv.
Das Gesundheitssystem in Deutschland biete kein Modell für eine ambulante, multiprofessionelle Primärversorgung in Kombination mit Verhaltens- und Verhältnisprävention. „Wir sind ungewöhnliche Wege gegangen , um unsere Vision trotzdem umzusetzen“, sagt ein Vertreter des Kollektivs – und das nicht ohne Stolz.
In den Berliner Bezirken Marzahn-Hellersdorf, Spandau und Lichtenberg seien nun ähnliche Projekte geplant, berichtet Patricia Hänel. Über die Verwendung des Preisgeldes wird das Kollektiv natürlich gemeinsam entscheiden. Hänel könnte sich vorstellen, damit das Essen im Geko-Café billiger zu machen, die Sprachmittlung in den Praxen zu finanzieren oder noch mehr Sozialberatung anzubieten.