Jury-Workshop zum Thema Staat und Ehrenamt
Charity-Award: „Nächstenliebe ist unser grundlegender Wert“
Ohne Ehrenamt würden sich in der Versorgung enorme Lücken auftun. Ausruhen darf sich der Staat auf diesem Engagement aber nicht. Ein Aufruf aus der Jury des Springer Medizin Charity Awards für mehr Miteinander.
Veröffentlicht:Millionen Menschen engagieren sich in Deutschland ehrenamtlich – sie besuchen Patienten im Krankenhaus, sie helfen Pflegebedürftigen im Haushalt, sie behandeln unentgeltlich Obdachlose, sie beraten Teenager am Telefon zu familiären Konflikten. Ohne ehrenamtliches Engagement würden sich in der Gesundheitsversorgung deutliche Lücken auftun.
Ist das gut so? Oder ist es geradezu eine Einladung an den Staat, sich aus einzelnen Bereichen zurückzuziehen? Über diese Fragen diskutierten Jury-Mitglieder und Sponsoren des Springer Medizin Charity Awards vor Beginn der Gala bei einem Workshop in Berlin gemeinsam mit Hauke Gerlof, dem stellvertretenden Chefredakteur der Ärzte Zeitung.
Das Gesundheitswesen schreibt wieder mal rote Zahlen. Der GKV-Schätzerkreis bezifferte jüngst die Finanzierungslücke auf 46,7 Milliarden Euro und geht davon aus, dass der Zusatzbeitrag für die Versicherten um 0,8 Punkte auf 2,5 Prozent steigen wird. Angesichts solcher Nachrichten, so Gerlof, stelle sich die Frage, wer in der Gesundheitsversorgung Leistungen übernehmen könnte, wenn diese nicht mehr zu finanzieren sind.
„Der Staat darf sich nicht zurückziehen“
„Nein, der Staat hat Aufgaben im Gesundheitswesen. Keinesfalls darf er sich zurückziehen“, mahnte Professorin Monika Kellerer. Die Ärztliche Direktorin des Stuttgarter Marienhospitals hat als Jury-Vorsitzende schon unzählige Bewerbungen um den Charity Award begutachtet. „Das Ehrenamt ist etwas Freiwilliges, ein Geschenk, etwas zutiefst Menschliches“, sagte sie. Der Staat dürfe dies nicht als festen Posten einkalkulieren.
Gudrun Schaich-Walch, von 2001 bis 2002 politische Staatssekretärin unter Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt, schätzt, dass der „Umfang der Leistungen“ im Gesundheitswesen eher zu groß als zu klein sei. Die Steigerung der GKV-Beiträge werde sicherlich mitgetragen, gleichwohl dürfe nicht weiter an der Geldschraube gedreht werden.
Frank-Ulrich Fricke, Professor an der TH Nürnberg, mahnte mit dem Blick des Gesundheitsökonomen davor, das Ehrenamt für überflüssig zu erklären: „Der Staat kann das Ehrenamt nicht ersetzen. Eine regulatorische Ordnung wäre gar nicht effizient.“
Prägende Erfahrungen im Zivildienst
Ehrenamt ist jedoch nicht gleich Ehrenamt. Professor Martin Grond beobachtet, dass es „das kleine Ehrenamt, das Einzelne aus einer fixen Idee entwickeln“, heute seltener gibt. Einige Initiativen hätten mitunter zahlungskräftige Sponsoren und seien nicht auf eine zusätzliche Förderung angewiesen.
Auch der Charity Award hat seine Unterstützer. Kai Tobien, CEO bei Medperion, einem Kommunikations- und Vertriebsdienstleister für die Pharmabranche, ist dabei – ebenso wie Professor Alexander Ehlers und Julian Bartholomä, Partner einer Rechtsanwaltsgesellschaft mit Sitzen in München, Berlin und Düsseldorf. Alle drei eint, dass sie das Ehrenamt nicht nur Sponsoren des Charity Awards fördern wollen.
Tobien schlägt vor, Beschäftigte mit einem Bonus zu belohnen, wenn sie sich freiwillig engagieren. Und: Die Jahre im Zivildienst seien für ihn wertvolle Erfahrungen gewesen. Bartholomä will als Arbeitgeber ein Vorbild sein. Der Kontakt mit anderen Lebenswelten verändere die eigene Perspektive, bei ihm sei es zum Beispiel die Sorge um seine hochaltrige Großmutter gewesen.
Ehlers, Jurist und Allgemeinmediziner, ist zugleich Vorsitzender der Paul-Nikolai-Ehlers-Stiftung, die Gesundheits- und Bildungsprojekte für Kinder und Jugendliche in Deutschland und Russland fördert. „Wer in diesem Land lebt, sollte mehr tun, als nur Steuern zahlen“, sagt Ehlers. Deutschland sei ein Sozialstaat, der dann hilft, wenn der Einzelne in seiner Not überfordert ist.
„Ohne Ehrenamt wäre pflegerische Versorgung eine Katastrophe“
Sophie Rosentreter, ehemals Model und Fernsehmoderatorin, hat selbst erlebt, wie ihre Großmutter dement wurde. Heute klärt sie als „Demenz-Aktivistin“ in Filmen und Vorträgen über die Erkrankung auf. Nach wie vor trauten sich betroffene Angehörige nicht, so Rosentreter, ihren Bedarf an Hilfen einzufordern: „Gerade im Bereich Demenz gibt es sehr viele Hilfen, die mehr anbieten als klassische Pflegestützpunkte.“
Aus ihrer Sicht sind Staat und Ehrenamt kein Gegensatz, sondern haben einen gemeinsamen Kern: „Nächstenliebe ist unser grundlegender Wert. Anders ausgedrückt heißt es Gemeinwohl oder Brüderlichkeit.“
Die Jury des Charity Award hat sie als eine Art „Innovationsausschuss“ erlebt. „Die Regelversorgung im Gesundheitswesen braucht interessante Impulse von außen. Sonst kommt der Tanker nicht vom Fleck“, so Klakow-Franck, die bis 2023 stellvertretende Leiterin des Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen war.