Fastnacht
Närrische Mediziner-Garde marschiert durch Mainz
Die Mainzer Aesculap-Garde ist laut Eigendiagnose Deutschlands erste und einzige Medizinergarde. Ärzte und Heilberufler feiern hier Fastnacht unter dem Motto „Sanitas et gaudium“ und schwören ihren Eid nicht auf Hippokrates, sondern auf Gott Jokus, den Beschützer der Narren.
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Zahnärztin Julia Peter, Unfallchirurg Jens Heinermann, Hebamme Christine Melchior und Gefäßchirurg Jochen Peter (v.l.), vier der Gardegründer, vor dem Landtag in Mainz.
© Mainzer Aesculap-Garde
Wo anders als an der Sektbar einer Fastnachtssitzung könnte die Gründungsgeschichte einer närrischen Garde in Mainz idealerweise seinen Anfang nehmen? Genauso geschehen anno 2019, als fünf Feierfreudige, unter anderem ein Gefäßchirurg, eine Zahnärztin, ein Unfallchirurg und eine Hebamme, beschlossen, eine neue Garde in der an Garden nicht gerade armen Fassenachtshochburg Mainz zu gründen.
Und um ein Alleinstellungsmerkmal zu haben, sollte es die nach eigenem Befund erste und einzige Medizinergarde Deutschlands sein – die Aesculap-Garde.
Benannt nach dem griechischen Gott der Heilkunst, ist das menschliche Vorbild der Gardisten Dominique-Jean Larrey, Leitender Chirurg der französischen Armee unter Napoleon Bonaparte und Leibarzt des Kaisers. Er gilt als der Erfinder „Fliegender Lazarette“ zur Versorgung verwundeter Soldaten noch auf dem Schlachtfeld wie auch der Triage.
Aufmarsch gegen Mucker und Philister
Für die Fastnachtsfernen direkt zu Beginn der aufklärende Hinweis: Garden und Generäle in der Meenzer Fassenacht haben nichts mit Glorifizierung von Krieg und Armee zu tun, sondern sind im Gegenteil eine Verballhornung des napoleonischen und preußischen Militarismus aus dem frühen 19. Jahrhundert.
All die Husaren und Füsiliere, Dragoner und Kürassiere – alles Narretei, allein aufmarschiert zum niemals endenden Kampf gegen Mucker und Philister, sprich Humorlose und Griesgrämige.
Der eingangs genannte Gefäßchirurg ist Dr. Jochen Peter, Inhaber und Ärztlicher Leiter des Venenzentrums „Phlebicum“ mit Standorten in Mainz, Rüsselsheim und Wiesbaden, die Zahnärztin ist seine Gattin Dr. Julia Peter mit eigener Praxis in Rüsselsheim. Der Unfallchirurg ist Dr. Jens Heinermann, bei der Hebamme handelt es sich um Christine Melchior vom Marienkrankenhaus Mainz.
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Die Aesculap-Garde mit dem befreundeten „Prähistorischen Spielmannszug“, der die Mediziner beim Umzug musikalisch unterstützt.
© Mainzer Aesculap-Garde
Das Ehepaar Peter und Melchior gehören bis heute dem sogenannten Kommando an, dem höchsten Gremium der Garde. Jochen Peter ist Präsident, Julia Peter Generalfeldchirurg („Das ist ein Titel, der wird nicht gegendert!“) und Christine Melchior, Kanzlerin, eine Art 2. Vorsitzende.
Beim Treffen mit den Dreien im „Feldlazarett“ der Garde, der stadtbekannten Weinstube „Roter Kopp“, zeigt sich schnell wie Mensch und Titel zusammenpassen: der eher besonnene Präsident Jochen Peter, der die Vereinsarbeit organisiert und die Fäden zusammenhält, die Stimmungskanone Julia Peter, die fürs Netzwerken und Party zuständig ist, und die Kanzlerin Christine Melchior, die über ihre Rolle sagt: „Ich hole die Leute ab, die Redebedarf haben“ – sie wirkt nach innen. Wozu auch gehört, bei Bedarf Generalfeldchirurg Julia mal die Lesebrille auszuborgen. Und sie führt die Kasse.
Generalfeldchirurg im Feldlazarett
Da es sich bei den „Aesculappen“ um eine Medizinergarde handelt, sind auch die Begrifflichkeiten angepasst: Was bei den anderen Garden das Feldlager ist, ist hier das Feldlazarett. Wo andernorts der Generalfeldmarschall das Sagen hat in der heißen Zeit der Straßenfastnacht, ist es hier der Generalfeldchirurg, der ausdrücklich keine Generalfeldchirurgin sein will.
Das Sommerfest trägt den bedeutungsvollen Namen Sommerakademie, wo neben peroral verabreichten Heiltränken auch die Rekrutenvereidigung auf der Tagesordnung steht. Dabei werden die Neugardisten mit einer närrischen Variante des hippokratischen Eids bei Gott Jokus und Bacchus auf die Gardebräuche eingeschworen.
Die Vereinszeitung titelt unter „Mainzer Journal für klinisches Gardewesen“. „Gerüchten zufolge soll man sich wegen des hohen wissenschaftlichen Standards des Mainzer Journals für klinisches Gardewesen in den Redaktionen von Lancet und New England Journal of Medicine bereits neidisch geäußert haben“, behauptet der Präsident im Editorial – dann muss es ja stimmen ...
Ein dreifach donnerndes Skal-Pell
Der Kampagnen-Orden zeigt Äskulapnatter, Zahnzange und Skalpell. Letzteres kommt auch beim Fastnachtsruf der Garde zum Einsatz: Statt dem dreifach donnernden Helau beschwören die Aesculappen ein dreifach donnerndes Skal-Pell!
Seit den Anfängen mit nicht mal zweistelliger Kopfzahl ist die Aesculap-Garde mittlerweile mehr als 100 Mitglieder stark geworden. Ärzte, Zahnärzte, Hebammen, Krankenschwestern, Sanitäter, Physiotherapeuten und Apotheker sammeln sich unter dem Garde-Motto „Sanitas et gaudium“.
„Wir wollen keine elitäre Garde sein, die nur aus Ärzten besteht“, stellt Julia Peter klar, „sie soll für alle Heilberufe offen sein“. Im dergestalt erweiterten Maß sind beispielsweise auch ein Notfallseelsorger des Malteser Hilfsdiensts und ein Bestatter vertreten.
„Von der Geburt bis zum Grab ist alles dabei“, diagnostiziert Präsident Jochen Peter mit einem Schmunzeln. „Und wenn‘s passt, dürfen auch Nicht-Heilberufler mitmachen.“ Allerdings, so lautet ein Kommandobeschluss, 60 Prozent der Mitglieder müssen im Medizinbereich tätig sein.
Garde-Motto „Sanitas et gaudium“
„Wir wollten keine Konkurrenz zu den anderen Garden in der Stadt sein“, erzählt Julia Peter, „die Idee war, wir gründen eine eigene Garde und begleiten die Fastnacht als Mediziner“. Diese Bescheidenheit wurde goutiert und es dauerte nicht lange, da nahm sich mit den „Schwarzen Husaren Mainz“ eine größere Garde des noch kleinen Häufleins an und wirkte fortan als „Patengarde“ mit allerlei Tipps und Hilfestellungen.
Unterstützung konnte das Gründungstrüppchen anfangs tatsächlich gut gebrauchen. Beginnend mit der Vereinsgründung: Nach Vereinsrecht bedurfte es dazu sieben Mitglieder, also wurden noch Jochen Peters Eltern als Gardisten „zwangsrekrutiert“ (Vater Martin war niedergelassener Allgemeinarzt), dazu noch Julia Peters Vater.
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„Aesculappen“ mit ihrer Standarte – darauf das Garde-Motto „Sanitas et gaudium“.
© Mainzer Aesculap-Garde
Eine Satzung musste her, Mitgliedsanträge aufgesetzt werden, um diejenigen Interessenten aufzunehmen, die zunächst aus dem Freundes- und Bekanntenkreis angeworben wurden. Gönner signalisierten bald Spendebereitschaft, also musste ein Corps der Ehrenoffiziere geschaffen werden, wie die Fördermitglieder bei den Garden heißen.
In der Aesculap-Garde gibt es auch hierfür die passenden Titel: Je nach Spendenbetrag sind das die Geheimen Medizinalräte, die Geheimen Obermedizinalräte und die Wirklich geheimen Obermedizinalräte.
Und dann natürlich die Uniformen! Julia Peter recherchierte und kreierte schließlich den aktuellen blau-schwarzen Uniformrock – „frei nach Militärchirurg Larrey“. Zum traditionellen Kampagnenstart am 11.11. im Gründungsjahr 2019 am (wo sonst?) Mainzer Fastnachtsbrunnen konnte die seinerzeitige Minigarde lediglich zwei Mitglieder in Uniform entsenden – „die dritte war noch nicht fertig“.
2023 erste Teilnahme am Rosenmontagszug
Überhaupt, der Engpass Uniformen: Die Wartezeit auf eine solche betrage mangels Uniformschneidern zwei Jahre, berichtet Julia Peter. Trotzdem konnte die Garde die Zahl ihrer Uniformträger seit der ersten Teilnahme am Rosenmontagszug kontinuierlich von etwa 25 im Jahr 2023, über 35 im vergangenen Jahr auf nun 40 steigern.
In den Jahren 2021 und 2022 fiel der Umzug wegen der Corona-Pandemie aus. Kanzlerin Christine Melchior schildert die Zeit als Atempause, „2019 wurden wir überrannt, das gab Zeit zum Luftholen“. Aber auch in dieser Zeit kamen die ärztlichen Gardisten zum Einsatz: Im Dezember 2021 hatte die Mainzer Fastnacht eG, die Dachorganisation der dortigen Fastnachtsvereine und -garden, zur COVID-Impfaktion „Mainz wie’s impft und lacht“ geladen, und die Garde impfte mit.
Beim kommenden Rosenmontagszug marschiert die Aesculap-Garde also wieder die gut sieben Kilometer lange Wegstrecke in Mainz. Dazu kommen am Samstag davor und am Dienstag danach noch zwei Stadtteilumzüge, zudem ein Rathaussturm. Und wem dann möglicherweise die Füße wehtun, für den dürften die Feldapotheker der Garde wieder „suffiziente Mengen Rheinhessen-Laudanum (alkoholische Opiumlösung ohne Alkohol)“ vorhalten.
In diesem Sinne ein dreifach donnerndes Skal-Pell, Skal-Pell, Skal-Pell!