Klinikpersonal
Pflegekräfte: Oft keine Lust mehr auf ungeimpfte COVID-Patienten
Aus Krankenhäusern gibt es Stimmen, die über ungeimpfte Corona-Patienten einfach nur noch wütend sind. Zu Recht – oder geht Berufsethos vor?
Veröffentlicht:Berlin. In einer privaten Facebook-Gruppe kocht die Wut über ungeimpfte COVID-19-Patienten manchmal richtig hoch. „Ganz ehrlich? Ich hätte ihm am liebsten eine reingehauen“, schreibt eine Krankenschwester aus Bayern über einen Mann, den sie auf einer Intensivstation mit gesund pflegte.
Als der Patient sich erholte, habe er ihr gesagt, dass ja alles nicht so schlimm gewesen sei. Und dass er sich in einer „Diktatur von Coronajüngern“ auch weiterhin an keine Schutzmaßnahmen halten werde. „Könnt ihr verstehen, dass ich echt keinen Bock mehr habe?“, fragt die Intensivschwester und postet ein Foto von sich im Corona-Schutzanzug. „Ich brauch mal ein bisschen Zuspruch.“
Es ist eine Stimme, die anonym bleiben möchte. Auch aus Sorge, dass es sonst Ärger mit ihrer Klinik geben könnte. Wie groß ist diese Gruppe der gefrusteten Helfenden? Und was macht es mit Ärztinnen, Ärzten und dem Pflegepersonal, wenn sie in der Pandemie Menschen behandeln, die mit vollständiger Corona-Impfung wahrscheinlich nicht vor ihnen im Bett liegen würden? Ist das anders, als wenn ein Kettenraucher oder ein schwerer Alkoholiker in die Notfallambulanz kommt?
Auch negative Emotionen normal
Die Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) setzt Professionalität dagegen. In der Medizin würden „regelhaft“ Patienten behandelt, die mehr oder weniger Einfluss darauf hätten, ob und wie krank sie werden, heißt es. Im Rahmen einer fachlich qualifizierten ärztlichen und pflegerischen Tätigkeit sei es also Alltag, damit umzugehen.
Es gelte, „dieses Wissen über eine mögliche Mitverursachung des Patienten nicht negativ auf die Behandlung oder die Beziehung wirken zu lassen“. Die DIVI antwortet aber auch: „Natürlich sind Emotionen gegenüber dem Erkrankten ganz normal, auch negative.“ Sie gehörten jedoch in einen anderen Rahmen. „Sie müssen selbstverständlich ernst genommen werden und auch ihren Raum haben.“
20.000 Intensivfälle verhindert
Das Risiko, mit einer Corona-Infektion ins Krankenhaus zu müssen, ist nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) bei Geimpften zur Zeit rund zehnmal geringer als bei Ungeimpften. Nach RKI-Schätzungen sind durch Impfungen allein zwischen Januar und Juli rund 77.000 Krankenhausaufenthalte und rund 20.000 Fälle auf Intensivstationen verhindert worden. Der Helios-Konzern, der in Deutschland 89 Kliniken betreibt, schaut ganz genau hin. Von den 214 COVID-19-Fällen, die in der 37. Kalenderwoche bei Helios behandelt wurden, seien 73 Prozent ungeimpft gewesen, heißt es. Knapp zwölf Prozent der COVID-19-Patienten hätten auf der Intensivstation gelegen, auch überwiegend Ungeimpfte.
„Das Gefühl hier ist allgemein und speziell von der Pflege, dass man immer weniger Verständnis für Ungeimpfte hat“, berichtet Charité-Psychologin Heuser. Sie selbst nimmt kein Blatt vor den Mund. „Ich ärgere mich da enorm drüber. Da nehmen Ungeimpfte anderen Kranken die Betten weg – obwohl sie diese Betten mit Impfung gar nicht brauchen würden. Das ist doch eine unglaublich unsolidarische Einstellung.“
Diese Einstellung scheint auch bequem und vor allem unbedenklich. „Also ob ich mich bewusst nicht impfen lasse oder ob mich die Botschaft nicht erreicht hat. Ganz egal. Ich brauche ein Intensivbett“, sagte der Charité-Virologe Christian Drosten jüngst im Podcast des NDR. „Es wird ja im Krankenhaus niemand sagen: Moment mal, Sie sind aber nicht geimpft. Sie hätten sich doch impfen lassen können. Jetzt fährt der Krankenwagen mal wieder zurück nach Hause.“
Stress nicht nur wegen COVID
Auf rund 1500 COVID-19-Patienten ist die Zahl auf den Intensivstationen bundesweit in den vergangenen Wochen wieder gewachsen. Die Gewerkschaft verdi möchte die Belastung in den Kliniken aber nicht allein auf COVID-19 eingrenzen. Im Moment sei beim Pflegepersonal eher Stress durch Nachhol-Effekte zu spüren, berichtet Grit Genster, Bereichsleiterin für Gesundheitswesen. Die Mehrbelastung aufgrund der vielen zuvor aufgeschobenen Operationen sei schon groß. „Und dann kommt die Sorge dazu, dass das jetzt wieder alles von vorne losgeht.“
Die Empörung mache sich aber nicht am Patienten fest, betont Genster. „Da geht es um die Politik und die Klinikträger, die keine Vorsorge für Entlastung getroffen haben. Die Untergrenze für die Personalbemessung ist nicht die rote Linie, sondern die Obergrenze.“ Beim Pflegepersonal sei so das Gefühl entstanden, dass Politik und Arbeitgeber aus drei Pandemie-Wellen nichts gelernt hätten. „Wir wünschen uns eine andere Kultur mit Blick auf Arbeitsschutz und Pausen“, ergänzt Genster.
In Berlin hat dieser Frust Folgen: Das Pflegepersonal an den landeseigenen Kliniken von Vivantes und Charité trat in den Streik. Ihr Berufsethos halte viele Pflegende davon ab, lautstark auf ungeimpfte Corona-Patienten zu schimpfen, sagt sie. „Wir werben weiter für die Impfung.“ Die Zahl der Impfgegner mache nur einen kleinen Anteil aus. Die meisten Menschen seien eher verunsichert.
Trotz Gratis-Bratwurst – Rate stagniert
Die Impfquoten in Deutschland zeigen ein ernüchterndes Bild. Trotz zahlreicher Appelle, ungewöhnlicher Impfstellen vom Zoo bis zur S-Bahn und kleinen Belohnungen wie Bratwurst oder Döner – die Rate stagniert fast. Zu Wochenbeginn waren 64 Prozent aller Bundesbürger vollständig geimpft. Wünschenswert wären weit über 80 Prozent.
Psychologin Heuser fragt in ihrer Freizeit inzwischen aktiv nach, wenn sie Einkaufslustige vor dem Berliner KaDeWe einen Corona-Test machen sieht. „Warum lassen Sie sich nicht impfen?“ Als Antwort habe sie bekommen: Da glaube ich nicht dran. „Da kann es einem doch schlecht werden“, sagt Heuser.
Sie hat auch eine Ehrenprofessur in Hanoi und kann sich dann richtig in Rage reden. „Ärzte in Vietnam würden sich die Finger danach lecken, wenn sie Impfungen so verteilen könnten wie wir. Wir haben in Deutschland ein absolutes Luxusproblem.“ Heuser, die am Anfang der Pandemie die Hilfsbereitschaft hierzulande optimistisch stimmte, ist inzwischen enttäuscht. „Ich habe die Solidarität in Deutschland wirklich überschätzt. Was ich jetzt sehe, finde ich beschämend.“ (dpa)