Nachwuchspreisträgerin Dr. Dormann im Gespräch
Proteinverklumpung in Neuronen im Visier
Dr. Dorothee Dormann wurde für ihre grundlegenden Arbeiten zur Entstehung der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) und der Frontotemporalen Demenz (FTD) mit dem Paul Ehrlich- und Ludwig-Darmstaedter-Nachwuchspreis 2019 geehrt.
Veröffentlicht:Ärzte Zeitung: Frau Dr. Dormann, Thema Ihrer Doktorarbeit 2007 war die Autophagie in der viralen Immunabwehr. Was hat Sie danach in das Labor des Alzheimerforschers Professor Christian Haass geführt?
Dr. Dorothee Dormann: Damals wurde erkannt, dass Autophagie ein wichtiger Weg ist, Proteinaggregate abzubauen. Da begann ich, mich für Proteinaggregaterkrankungen zu interessieren. Im Labor von Professor Haass wollte ich den Abbau der Aggregate durch Autophagie studieren.
Zu der Zeit waren die Proteinaggregate bei ALS- und FTD-Patienten gerade identifiziert worden. Man wusste schon lange, dass es im Zellplasma solche Ablagerungen gibt. Man wusste aber nicht, aus welchen Proteinen sie bestehen.
2006 und 2009 wurde gefunden, dass es die Proteine TDP-43 und FUS sind. Ich fand die Frage sehr spannend, wie es zur Umverteilung bestimmter Proteine aus dem Zellkern in das Zytoplasma kommt.
Welche Verbindung besteht zwischen Ihrer aktuellen Forschung und jener der beiden diesjährigen Paul-Ehrlich- und Ludwig-Darmstaedter-Preisträger?
Dormann: Die wichtigste Gemeinsamkeit ist, dass Chaperone die Proteinfaltung kontrollieren, und dass es zur Proteinaggregation kommt, wenn die Chaperone nicht mehr richtig funktionieren. Genau solche Aggregationen laufen bei FTD und ALS ab.
Wir haben unter anderem gezeigt, dass ein bestimmtes Transportermolekül in der Zelle eine chaperonartige Wirkung hat und die TDP-43- und FUS-Aggregation unterdrücken kann. Das ist aber kein klassisches Chaperon, also kein Hitzeschockprotein.
Die beiden Proteine TDP-43 und FUS sind für die Neurodegeneration von besonderer Bedeutung. Wodurch kommt es bei mutierten Molekülen zum Zelluntergang?
Dormann: Wir glauben, dass die Zellen absterben, weil einerseits die Proteine im Zellkern ihre normale Funktion nicht mehr ausüben können. Sie haben ja dort eine wichtige Funktion beim Ablesen der Erbinformation.
So kommt es zu Störungen auf Ebene der RNA-Prozessierung. Der zweite Grund: Die Proteinansammlung im Zytoplasma oder auch Vorstufen der Aggregate sequestrieren wahrscheinlich wichtige zelluläre Proteine, binden sie also und machen sie funktionsunfähig, oder stören zelluläre Transportprozesse.
Stress-Granula können sich auflösen, sind aber auch Ausgangspunkt für die Proteinaggregate in Nervenzellen. Wie könnten solche Kristallisationskeime und damit die Neurodegeneration verhindert werden?
Dormann: Man könnte sich vorstellen, dass man die Chaperonmenge in der Zelle erhöht, etwa durch Stimulierung der Expression. Die Proteine können bei Bedarf induziert werden. Vielleicht könnte man den Produktionsmechanismus ankurbeln. Eventuell könnte man auch durch chemische Wirkstoffe, also kleine Moleküle, die Aggregation von Proteinen verhindern.
Bei welchen anderen neurodegenerativen Erkrankungen außer ALS und FTD sind Stress-Granula ebenfalls von Bedeutung?
Dormann: Sie sind unter anderem auch bei der Alzheimer-Krankheit beschrieben worden. Dort verklumpt das Protein Tau in sogenannten Neurofibrillen. Tau ist ebenfalls eng mit Stress-Granula verknüpft.
Das Tau-Protein kann auch eine Phasentrennung durchlaufen, also den gleichen Mechanismus, den wir für TDP-43 und FUS gefunden haben. Es gibt außerdem erste Hinweise, dass sich Stress-Granula in Läsionen bei Multipler Sklerose nachweisen lassen. Der Befund muss jedoch noch erhärtet werden.
Was erforschen Sie in dem jetzt begonnenen DFG-Schwerpunktprogramm zur Phasentrennung?
Dormann: Wir glauben, dass die Aggregation von TDP-43 und FUS über den Prozess der Phasentrennung abläuft – also so wie sich Öl und Wasser voneinander absetzen und zwei getrennte Phasen bilden. Das passiert durch eine Wechselwirkung der Proteine mit sich selbst, wodurch sie sich wie Öltropfen im Zytoplasma von anderen Molekülen absondern.
Dadurch kommt es punktuell zu einer hohen Konzentration der Proteine. In dem Programm untersuchen wir, wie diese Phasentrennung und die damit wahrscheinlich verbundene Aggregation bei TDP-43 genau abläuft.
Wir versuchen zu verstehen, welche Aminosäuren die Phasentrennung antreiben, und schauen uns dabei Veränderungen an, die bei ALS- und FTD-Patienten gefunden wurden. Wir wissen zum Beispiel, dass das TDP-43-Protein abnormal phosphoryliert wird, und wollen schauen, ob diese Phosphorylierung die Phasentrennung und Aggregation von TDP-43 beschleunigt oder verändert.
Das FUS-Protein haben wir bereits untersucht. TDP-43 ist bei ALS und FTD wesentlich häufiger als FUS aggregiert.
Dr. Dorothee Dormann
- Aktuelle Position: Leiterin einer Emmy Noether-Nachwuchsgruppe am Biomedizinischen Centrum der LudwigMaximilians-Universität München (LMU) (seit 2014)
- Ausbildung: 1996–2002 Studium der Biochemie an der Universität Tübingen (Diplom) 2007 Promotion an der Rockefeller Universität in New York (Ph.D.) 2007–2013 Postdoc-Stipendiatin am Adolf Butenandt-Institut der LMU
- Forschung: Erforschung der molekularen Mechanismen bei neurodegenerativen Erkrankungen, vor allem bei FTD und ALS
- Auszeichnungen (Auswahl): 1996 Karl von Frisch-Preis 2012 PRO SCIENTIA-Förderpreis der Eckhart-Buddecke-Stiftung 2014 Heinz Maier-Leibnitz- Preis der DFG 2019 Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreis
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