Dopingjäger Nummer 1 enthüllt
So abgebrüht ist der Sport
Falsche Penisse und manipulierte Urinproben: "Wer beim Doping nicht gerade bescheuert ist, der wird auch nicht erkannt", befindet Dopingjäger Professor Werner Franke. Lohnt es sich da überhaupt noch, dagegen zu kämpfen?
Veröffentlicht:NÜRNBEG. Der Dopingjäger der Nation nimmt kein Blatt vor den Mund: Wenn der Heidelberger Zellbiologe Professor Werner Franke über seinen jahrzehntelangen Kampf gegen Betrug im Sport referiert, dann knistert die Spannung im Saal.
Von Kugelstoßerinnen, denen "Anabolika aus den Ohren herauskam", berichtete er jetzt bei einem Symposium in Nürnberg, von Athleten mit künstlichen Penissen, die abgebrüht Urinproben manipulieren, von gewonnen Prozessen, uneinsichtigen Verbandsfunktionären, von Ärzten, ja, sogar Politikern, die voll im Dopingsystem verstrickt (gewesen) seien.
Mehr Pillenschlucker als Nichtschlucker
Frankes Ehefrau Brigitte Berendonk hatte der Anti-Doping-Bewegung im Dezember 1969 in einem viel beachteten Artikel in der "Zeit" mit der Überschrift "Züchten wir Monstren?" einen gewaltigen Schub versetzt. "Dianaboliker aller Länder, vereinigt euch", forderte Berendonk, zweifache Olympiateilnehmerin und 1971 deutsche Meisterin im Diskuswerfen, damals mit bissiger Ironie.
"Nach meiner Schätzung treffen sich bei großen Wettkämpfen bald mehr Pillenschlucker als Nichtschlucker". Mehr als 45 Jahre später wagte ihr Ehemann Franke jetzt beim hochkarätig besetzten Experten-Symposium in Nürnberg eine These, die die Vermutung nahelegen könnte, dass der Kampf gegen Doping bereits verloren ist.
"Wir müssen heute feststellen, dass das wissenschaftliche Doping im Spitzensport nicht mehr erkannt werden kann", sagte Franke. Was konkret bedeutet: "Wer nicht gerade bescheuert ist, der wird auch nicht erkannt." Eine frustrierende Analyse.
Die Botschaft, die Dr. Hellmut Mahler, Sachverständiger beim Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen, den Experten danach auf den Weg gab, war kaum weniger ernüchternd.
Dass es im Kampf gegen Doping tolle Testgeräte und neue Testmethoden gebe und dass sich Nachweisgrenzen verändert hätten, sei die eine Seite der Medaille. Doch manipuliert werde mit immer neuen Substanzen.
Er beschrieb ein erstmals in diesem Jahr bei einem italienischen Radprofi nachgewiesenes Molekül namens FG 4592, mit dessen Einnahme in Tablettenform mehr körpereigenes Epo produziert wird. An das Molekül lassen sich durch chemische Bindungen beliebig weitere Atome anhängen. Das Ausgangsprodukt kann so millionenfache Gestalt annehmen - und die Dopingkontrolleure stehen auf verlorenem Posten.
Eine gut vernetzte Szene
"Die international gut vernetzte Dopingszene ist der Kriminaltechnik überlegen", bedauerte Mahler und erläuterte, was das konkret bedeutet: "Sie gehen ins Netz und lassen sich von irgendjemandem ihr privates Molekül zusammenbauen. Niemand wird es nachweisen können. Sie brauchen gar nichts - außer einer Kreditkarte." Eine "Non-Target-Suche" sei nicht möglich, erläuterte Mahler. Wissenschaftler könnten nur erfolgreich sein, wenn sie das Ziel kennen.
Also aufgeben und resignieren? Der Sportphilosoph Professor Elk Franke begründet seine Auffassung, im Kampf gegen Doping nicht lockerzulassen, in einem Interview mit der "Welt" so: "Der Wettkampfsport lebt einzig und allein von seiner Faszination als ergebnisoffenes Ereignis - die Spannung kommt aus dem ewig jungen Reiz der Frage: Wie geht's aus?"
Grundlage dafür sei die Vorstellung, dass diese Wettbewerbe natürliche Fähigkeiten bei prinzipieller Chancengleichheit der Akteure belohnen. "Der organisierte Sport schafft es nun nicht mehr, dies zu garantieren", beklagt Franke.
Die kommerziellen Chancen im Profisport verlockten dazu, die Regeln durch Betrug, Doping oder Bestechung zu unterlaufen. Wenn dadurch die Glaubwürdigkeit eines Sports geschädigt ist, habe das gravierende Folgen.
Aufgeben ist auch für den Sportmediziner Professor Perikles Simon von der Uni Mainz keine Option. Seine Botschaft: Antidopingsysteme werden nicht kritisch hinterfragt.
Er fordert die Entwicklung neuer Nachweismethoden: "Man verfeinert die Kontrollen und drangsaliert die Athleten mit Tests, verbessert aber nicht entscheidend die Analysemethoden. Das ist eine Unverschämtheit", kritisierte der Sportmediziner .
Der Erfolg der Kontrolleure sei ohnehin mehr als bescheiden: Die Nationale Dopingagentur NADA hat im vergangenen Jahr bei etwa 14 000 Stichproben nur 0,6 Prozent der Sportler Verstöße gegen Dopingbestimmungen nachweisen können.
Uni Freiburg im Fokus
Mit Spannung werden jetzt die Ergebnisse der Untersuchungskommission für die Aufarbeitung der Doping-Vorwürfen gegen Sportmediziner der Uni Freiburg erwartet, Die Kriminologin Professor Letizia Paoli kündigte am Rande des Symposiums an, dass die Resultate voraussichtlich in der ersten Hälfte 2016 veröffentlicht werden. Paoli ist Vorsitzende der Evaluierungskommission.
Im März hatte das damalige Kommissionsmitglied Andreas Singler mit einer eigenmächtigen Veröffentlichung von Zwischenergebnissen für Aufsehen gesorgt. Danach sollen die Fußball-Bundesligisten VfB Stuttgart und SC Freiburg den späten Siebziger- und frühen Achzigerjahren zeitweise Anabolika-Doping betrieben haben.
Doping und Fußball - eine weitere Dauerbaustelle, bei der Doping-Experten nicht wirklich weiterkommen.
Immer noch herrsche in weiten Kreisen die Meinung, dass "Doping beim Fußball nichts bringt", beklagte Perikles Simon in einem Gespräch mit dem "Tagesspiegel". Die Bewegungen im Fußball seien von der physischen Voraussetzung her dermaßen hochgesteckt, dass kein Spieler von sich behaupten könne: Ich liefere das gleiche Niveau in der 75. Minute wie in der fünften.
Die Laufausdauer bei einem Menschen müsse hoch sein, wenn er im Spiel 100 Sprints absolviere. Das habe mit reiner Schnelligkeit nichts mehr zu tun, sagte Simon: "Es ist doch jedem klar, wenn ein Spieler sich in drei solcher Spiele pro Woche keinen Fehler erlauben kann, dass er von einer entsprechend höheren Ausdauer und Durchsetzungsfähigkeit profitieren würde."
Doping freigeben - keine Option
Und so suchen die Streiter gegen Doping auf vielen Baustellen gemeinsam nach Lösungen - und verwerfen Handlungsoptionen. Doping freigeben, wie es vor Jahren schon der frühere Weltklasse-Sprinter Manfred Ommer gefordert hat?
Da waren sich in Nürnberg die Diskutanten einig: Das kann‘s nicht sein. Höhere Strafandrohungen, immer striktere Kontrollsysteme, Beschneidung von Bürgerrechten, weil die Kontrolleure kommen und gehen, wie es ihnen passt? Erfolgreich ist dieses Konzept in der Vergangenheit nicht wirklich gewesen.
"Jeder Kriminologe weiß, dass Straferhöhungen nicht viel bringen, es muss mehr aufgedeckt werden", forderte der Rechtswissenschaftler Professor Dieter Rössner aus Tübingen.
Am Ende war die Bilanz des Symposiums düster: Es wird weiter gedopt. Und wirklich befriedigende Lösungen sind nicht in Sicht.
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