Studie zu Kuckuckskindern
So treu sind Frauen wirklich
Kuckuckskinder sind selten: Ein bis zwei Prozent aller Nachkommen sind bei einem mütterlichen Seitensprung entstanden, zeigen Genanalysen.
Veröffentlicht:NEU-ISENBURG. Verhaltensbiologen kennen das weibliche Dilemma: Ist eine feste Paarbeziehung nötig, um den Nachwuchs großzuziehen, muss der Partner für diese Aufgabe möglichst gut geeignet sein. Aber nicht immer liefert der Nestwächter und Versorger auch das beste Genmaterial, hierfür wäre ein anderer Partner vielleicht die bessere Wahl.
In Vogelpopulationen stammen nach Untersuchungen bis zu zehn Prozent der Küken von mütterlichen Seitensprüngen. Aktuelle genetische Studien in der menschlichen Bevölkerung beziffern den Anteil der Kuckuckskinder jedoch auf lediglich rund ein bis zwei Prozent - und das in sehr unterschiedlichen Kulturkreisen.
So mancher Verhaltensforscher sieht darin allerdings weniger ein Zeichen für eine ungewöhnliche Treue der Frauen als vielmehr den Einfluss moderner Verhütungsmittel - mit ihnen lassen sich Kuckuckskinder als Folge von Seitensprüngen effektiv vermeiden.
Vor der Einführung und dem Gebrauch moderner Kontrazeptiva müsste dies folglich anders gewesen sein. Der US-Evolutionsbiologe Professor Mark Pagel geht von einem Kuckuckskinderanteil zwischen 10 und 30 Prozent in der Vergangenheit aus (Pagel, M. 2012, Wired for Culture - Origins oft the Human Social Mind, W.W. Norton 4. Anderson, K.G.).
Doch eine derart ausgeprägte Untreue lässt sich in genealogischen und populationsgenetischen Untersuchungen nicht bestätigen: Frauen sind und waren wohl tatsächlich monogamer, als es Anthropologen und Evolutionsforscher wahrhaben wollen.
Stammbäume über 500 Jahre zurückverfolgt
Forensische Biomediziner um Dr. Maarten Larmuseau von der Universität in Leuven haben jetzt dazu eine Übersichtsarbeit vorgelegt (Ecology & Evolution 2016, online 6. April). Darin weisen sie auf eine Reihe aktueller Untersuchungen hin, die Rückschlüsse auf die vergangenen 500 Jahre zulassen.
Solche Rückberechnungen sind mit sehr unterschiedlichen Methoden möglich. Besonders präzise Angaben ergeben sich über Stammbäume: So müssen sämtliche derzeit lebende männliche Nachkommen des Gründervaters dessen Y-Chromosom tragen. Ist dies nicht der Fall, liegt eine Fremdvaterschaft vor.
Anhand des Stammbaums kann zudem festgestellt werden, wann genau, und in welcher Familie der Seitensprung stattfand. In einer belgischen Studie ließ sich mit Stammbäumen, die bis in die Mitte des vergangenen Jahrtausends zurückreichen, eine Fremdvaterschaft nur bei 0,9 Prozent der Kinder pro Generation nachweisen.
Eine Untersuchung beim Stamm der Dogon in Mali kam zu einer Rate von nur 1,8 Prozent, obwohl die Stammbäume hier nicht schriftlich festgehalten werden und sich die Forscher auf mündliche Überlieferungen verlassen mussten. Zwei weitere Studien mit 300 und 400 Jahre zurückreichenden Stammbäumen kamen mit 0,9 und 1,2 Prozent Kuckuckskindern auf vergleichbar niedrige Anteile in Südafrika und Italien.
Eine weitere Methode arbeitet mit den Nachnamen. Wird der Familienname ausschließlich vom Vater weitergegeben, müssen sämtliche heute lebenden Männer mit diesem Namen auch dessen Y-Chromosom tragen.
Anhand der Abweichungen lässt sich berechnen, wie häufig die Mütter einen anderen Genpool angezapft haben. Diese Methode funktioniert allerdings nur, wenn der Name einen einzigen Ursprung hat, sich also alle untersuchten Namensträger auf einen Mann zurückführen lassen, der vielleicht vor Jahrhunderten diesen Namen erworben hat oder in die Region eingewandert ist.
Kaum "shopping for genes"
Migration ist auch der Schlüssel für eine weitere Methode: Wandert eine Gruppe von Menschen in ein anderes Land mit anderen Nachnamen ein - etwa die Hugenotten, die vor mehr als 300 Jahren nach Deutschland kamen - dann sind deren Nachkommen an den Namen zu erkennen.
Der Genotyp der Y-Chromosomen müsste dann eher dem des ursprünglichen Heimatlandes entsprechen, je seltener das der Fall ist, umso öfter kam es zu Fremdvaterschaften.
Mit diesen beiden Methoden berechneten Forscher in unterschiedlichen Kulturen ebenfalls nur einen Kuckuckskinderanteil von rund ein Prozent.
Dieser niedrige Wert bereitet Verhaltensforschern einiges Kopfzerbrechen: Hat man die Wirksamkeit historischer Kontrazeptiva bislang unterschätzt? Hatten Frauen früher ein besseres Gefühl für ihre fruchtbaren Tage? Oder liegt es doch an den gesellschaftlichen Zwängen, dem Risiko von Ächtung und Ausschluss?
Solche Gefahren könnten körperliche Liebschaften außerhalb der Ehe für Frauen wenig attraktiv machen. In diesem Fall wäre das "shopping for genes" wohl eher ein Hirngespinst als ein bei Menschen relevanter evolutionsbiologischer Faktor.