Flüchtlingsversorgung

Streitpunkt Gesundheitskarte

An der elektronischen Gesundheitskarte für Flüchtlinge scheiden sich die Geister: Während in Schleswig-Holstein eine syrische Familie die ersten E-Cards erhält, blockieren Kommunen andernorts völlig. Sie stören sich an der hohen Verwaltungsgebühr.

Dirk SchnackVon Dirk Schnack und Jana Kötter Veröffentlicht:
Amer Ahmed, seine Frau Antiya und Sohn Mohamed erhielten in Kiel aus den Händen von Landesgesundheitsministerin Kristin Alheit (SPD, rechts) und AOK-Chef Tom Ackermann (links) elektronische Gesundheitskarten überreicht.

Amer Ahmed, seine Frau Antiya und Sohn Mohamed erhielten in Kiel aus den Händen von Landesgesundheitsministerin Kristin Alheit (SPD, rechts) und AOK-Chef Tom Ackermann (links) elektronische Gesundheitskarten überreicht.

© Schnack

KIEL. In Schleswig-Holstein haben am Montag die ersten Flüchtlinge ihre elektronischen Gesundheitskarten erhalten.

Damit bekommen sie ohne den bislang vorgeschriebenen Umweg über Behandlungsscheine - ausgestellt durch kommunale Verwaltungsangestellte - direkten Zugang in die Arztpraxen.

Schleswig-Holsteins Gesundheitsministerin Kristin Alheit (SPD) lobte die Chipkarte als wichtigen Schritt zur Gleichberechtigung und zur Entlastung aller Beteiligten.

In der Kieler AOK-Zentrale überreichte sie gemeinsam mit AOK-Landeschef Tom Ackermann die Karten an eine dreiköpfige syrische Flüchtlingsfamilie aus Büdelsdorf.

Tatsächlich gehört die Familie von Amer Ahmed damit zu einem kleinen Kreis von Flüchtlingen.

16 Städte in Nordrhein-Westfalen

Denn bei einem Blick in andere Bundesländer zeigt sich: Sechs Länder sind von dem Entwurf einer Rahmenvereinbarung zwischen Kassen und Regierung noch weit entfernt, Bayern hat sich vom Konzept bereits völlig distanziert, und auch in Ländern, in denen die Rahmenvereinbarung bereits steht, lehnen viele Kommunen die Gesundheitskarte ab.

In Nordrhein-Westfalen etwa haben bisher lediglich 16 Städte die Gesundheitskarte eingeführt. Viele Kommunen - etwa Dortmund und Essen - haben sich offen gegen die Einführung ausgesprochen.

Ihre Begründung: Die bisherige Organisation der Versorgung sei kostengünstiger als die Verwaltungsgebühr, die die Landesrahmenvereinbarung für die Kassen vorsieht.

Demnach müssen die Gemeinden acht Prozent der Gesundheitsausgaben, mindestens jedoch zehn Euro pro angefangenem Behandlungsmonat und Leistungsberechtigtem zahlen.

Die Kosten für die Behandlung übernimmt nach wie vor die Kommune; Kassen springen lediglich als Dienstleister ein.

Verhandlungen über Rahmenempfehlung

Krankenkasse als Dienstleister

Die Kosten für die Behandlung trägt auch nach Einführung der Gesundheitskarte die Kommune; Kassen springen lediglich als Dienstleister ein.

Die Gebühr, die die Kommunen dafür an die Kassen zu entrichten haben, wird aktuell auf Landesebene festgesetzt. In Bremen beträgt sie zehn Euro – für den Aufwand durchaus „angemessen“, wie Jörn Hons, Sprecher der AOK Bremen/Bremerhaven, betont.

Neben den Kosten kritisieren die Kommunen, dass die Stadt, die eine Karte ausgestellt hat, die Leistungen für zwei Jahre bezahlt, auch wenn der Karten-Inhaber in eine andere Kommune zieht.

Die Verhandlungen für eine bundesweite Rahmenempfehlung laufen noch. Man hoffe, bereits zum Monatsende einen Entwurf vorlegen zu können, der dann mit den Verbänden abgestimmt werden müsste, stellt Uwe Lübking aus dem Dezernat Gesundheitspolitik des Deutschen Städte- und Gemeindetags in Aussicht.

"Dass in Nordrhein-Westfalen bisher nur wenige Kommunen beigetreten sind, spricht nicht für die Rahmenvereinbarung", kritisiert er im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".

Einen konkreten Wert für die bundesweit angestrebte Empfehlung für die Verwaltungsgebühr könne er jedoch noch nicht nennen. "Letztlich müssen wir schauen, welche Dienstleistung erbracht wird, die diese Gebühr rechtfertigt."

Mit den Kosten, die aktuell durch das Ausstellen der Behandlungsscheine anfielen, müsse dann "gegengerechnet" werden.

Büdelsdorfs Bürgermeister Jürgen Hein erwartet, dass seine Verwaltung durch die Chipkarte spürbar entlastet wird. "Das gibt uns Luft. Frei werdende Ressourcen können wir für andere Aufgaben zur Integration der Flüchtlinge aufwenden", sagte Hein.

Trotz der Kosten - die im Norden ebenso hoch angesetzt sind wie in Nordrhein-Westfalen - erwartet Hein unter dem Strich Einsparungen. Wie hoch die Kosten tatsächlich ausfallen, wird nach zwei Quartalen evaluiert.

"Das können wir uns nicht leisten"

Dabei ist Nordrhein-Westfalen nicht das einzige Land, aus dem Kritik laut wird: Auch die saarländischen Landkreise, die für die gesundheitliche Versorgung der Flüchtlinge zuständig sind, haben Abstand genommen. "Das können wir uns nicht leisten", so der Geschäftsführer des Landkreistages, Martin Luckas.

Durch die Gesundheitskarte verringern sich die Kosten für die Kommunen "nicht zwingend", weiß auch Helmut Dedy, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages.

Aber: Mit den steigenden Flüchtlingszahlen seien die Gesundheitskosten der Kommunen zum Teil "deutlich gewachsen", eine Entlastung bleibe wichtig.

In Schleswig-Holstein wurde die bürokratische Entlastung verordnet: Die Rahmenvereinbarung im Norden ist als Erlass herausgegeben worden - die Kommunen konnten sich also nicht gegen die Vereinbarung stellen.

Versuche der Kommunen, an den Konditionen der Einzelleistungsvergütung bei der ärztlichen Abrechnung zu rütteln, waren nicht erfolgreich. Die aus Steuermitteln finanzierten Leistungen für Flüchtlinge bleiben also vorerst unbudgetiert.

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