Neun Monate später

Was ist dran am Babyboom nach der Fußball-WM?

Gut neun Monate ist Deutschlands Triumph bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien her. Neun Monate dauert auch eine Schwangerschaft. Ob es da jetzt Auffälligkeiten gibt?

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Babyboom nach der WM? Was ist an dem Mythos dran?

Babyboom nach der WM? Was ist an dem Mythos dran?

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BIELEFELD. Neun Monate nach dem Finale der Fußball-WM und dem vierten Titelgewinn der Nationalmannschaft werden in Deutschland keine ungewöhnlich hohen Geburtenzahlen registriert. Das ergab eine stichprobenartige Umfrage der Deutschen Presse-Agentur bei Standesämtern und Kliniken.

"Fußball-Babys, gezeugt im Hochgefühl der WM-Wochen, sind zwar eine schöne Vorstellung, dazu hätten aber die meisten Mütter bewusst die Pille absetzen müssen", sagt Professor Ralf Ulrich, der an der Universität Bielefeld das Institut für Bevölkerungs- und Gesundheitsforschung leitet.

Für den Demografie-Experten gehören Spekulationen über einen Baby-Boom nach der Weltmeisterschaft ins Reich der Fabeln.

Die Entbindungszahlen im März und April 2015 waren meist ähnlich hoch wie in den Vorjahresmonaten, wie die dpa-Umfrage ergab. Von einem Babyboom wollte keiner der Befragten sprechen.

Weniger Kinder als üblich

In der Klinik für Geburtsmedizin der Charité in Berlin wurden rund 40 Wochen nach dem WM-Finale vom 13. Juli 2014 nicht mehr, sondern sogar weniger Kinder geboren als üblich. Vom 4. bis 6. April kamen insgesamt 14 Babys zur Welt, wie Klinikdirektor Wolfgang Henrich berichtete.

Durchschnittlich gebe es dort neun bis zehn Geburten am Tag. Die Berliner seien am Endspieltag wohl abgelenkt gewesen, sagte Henrich. "Wahrscheinlich waren sie zu sehr in Feierlaune oder haben zu viel Alkohol getrunken, um Kinder zu zeugen."

Ähnlich sieht man es im Standesamt Mannheim: "Die Männer sind wohl zu sehr mit dem Fußballschauen beschäftigt gewesen", hieß es dort. Das Standesamt registrierte seit Anfang April 187 Geburten - im gesamten Vorjahresmonat waren es 304. Obwohl der April noch nicht vorbei ist, wird nicht erwartet, dass die Marke von 300 in diesem Jahr noch erreicht wird.

In Einzelfällen lag die Zahl der Geburten leicht über dem üblichen Schnitt. So verzeichnete das Klinikum Frankfurt Höchst in den vergangenen Jahren insgesamt steigende Geburtenzahlen.

2013 betrug der Anstieg zwölf Prozent, 2014 zehn Prozent, was 2154 Neugeborenen entsprach. Der Trend habe sich auch in diesem Jahr fortgesetzt. Ein Zusammenhang mit der WM sei möglich, könne aber hieraus nicht abgeleitet werden, erklärte eine Sprecherin.

Auch im westfälischen Münster hält man sich bei der Bewertung steigender Geburtenzahlen zurück.

Manche Geburtskliniken mussten schließen

"Münster wächst seit Jahren. Und dass wir mehr Kinder zur Welt bringen, hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass im Münsterland eine andere Klinik ihre Geburtshilfe geschlossen hat", sagt Professor Walter Klockenbusch, Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Uniklinik Münster.

Am Klinikum im niedersächsischen Oldenburg sind seit Anfang des Jahres bis jetzt etwa drei Dutzend Babys mehr als im Vorjahreszeitraum zur Welt gekommen. "Das kann aber auch Zufall sein", sagte Pressesprecherin Barbara Delvalle.

Ähnlich am Städtischen Klinikum in Braunschweig: Dort kamen im April bisher zwar 119 Kinder zur Welt, im Vorjahresmonat waren es nur 103 Babys.

"Das ist schon eine sehr deutliche Steigerung", sagte eine Sprecherin. Einen Zusammenhang mit der Freude über den Erfolg der deutschen Nationalmannschaft bestätigt die Klinik jedoch nicht.

Das Universitätsklinikum Leipzig kann einen WM-Trend ebenso nicht bestätigen. "Wir merken nichts davon", so eine Sprecherin. Das Uni-Klinikum ist nach eigenen Angaben die geburtenstärkste Klinik in Sachsen. 2014 wurden hier 2549 Kinder geboren.

Im Kreis Konstanz am Bodensee sind die Geburten im März 2015 deutlich gestiegen: Gegenüber dem Vorjahresmonat kamen 101 Kinder mehr auf die Welt.

Ob der Anstieg wirklich auf die WM zurückzuführen ist, lässt sich allerdings schwer sagen: In den drei Geburtskliniken des Verbundes in Singen, Konstanz und Radolfzell würden bereits seit rund drei Jahren mehr Kinder geboren, sagte eine Sprecherin.

Vor allem bei Stromausfällen wird immer wieder spekuliert, inwiefern steigende Geburtenzahlen damit zusammenhängen könnten. Der berühmteste Fall ist New York im Jahr 1965.

"Der Geburtenanstieg neun Monate später im Jahr 1966 wurde lange mit diesem Stromausfall verknüpft. Der amerikanische Demograf Richard Udry konnte diesen Zusammenhang allerdings ins Reich der Mythen verweisen", erklärt Demografie-Forscher Ulrich.

Anders sei es nach monatelangen Stromausfällen in Sansibar 2008 und in Kolumbien Anfang der 1990er Jahre gewesen. Demografische Untersuchungen hätten hier Zusammenhänge gut belegt.

"Dies waren aber Gesellschaften mit einer deutlich geringeren Verbreitung von Empfängnisverhütung", sagt der Ökonom der Uni Bielefeld. (dpa)

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