Sachverständigenrat will Reform
25 prozentige Arbeitsunfähigkeit soll möglich sein!
Der Sachverständigenrat will eine Reform der Krankschreibung: Möglich soll werden, dass Arbeitnehmer zu 25 Prozent oder 50 Prozent krank geschrieben werden, schlagen die Experten vor. Doch das sind nicht ihre einzigen Empfehlungen.
Veröffentlicht:BERLIN. In Deutschland gilt bei Krankschreibungen eine Alles-oder-nichts Regel. Entweder ist man zu 100 Prozent krank oder zu 100 Prozent arbeitsfähig. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen schlägt nun vor, diese eherne Regel aufzubrechen.
In Deutschland solle es möglich werden, die im Rahmen einer Krankschreibung festgestellte Arbeitsunfähigkeit prozentual zu differenzieren, heißt es im Sondergutachten des Rats "Krankengeld - Entwicklung, Ursachen und Steuerungsmöglichkeiten".
Das Gutachten haben die Gesundheitsweisen vor wenigen Minuten an Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) übergeben.
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Die wichtigsten Empfehlungen der Gesundheitsweisen für eine Reform des Krankengelds:
Einführung einer Teilarbeitsunfähigkeit und Teilkrankengeld: Nicht jede Verletzung oder Krankheit führe gleich zum Totalausfall eines Arbeitnehmers, sagte der Vorsitzende des Sachverständigenrats, Professor Ferdinand Gerlach, im Vorfeld der Veröffentlichung der "Ärzte Zeitung".
Im Konsens zwischen Arzt und Patient solle die Arbeitsunfähigkeit graduell festgelegt werden können. Dies solle in Schritten zwischen 25 und 100 Prozent möglich sein, sagte Gerlach.
Das trotz Krankheit möglicherweise vorhandene Restleistungsvermögen zu nutzen, erleichtere die sozialen und finanziell negativen Folgen einer unnötig verzögerten Wiedereingliederung ins Erwerbsleben, heißt es dazu in der entsprechenden Empfehlung der Gesundheitsweisen an den Gesetzgeber.
Die Zahlung eines Teilkrankengelds solle bereits während der ersten sechs Wochen der Krankheit, also während der Phase der Entgeltfortzahlung, möglich sein.
Ab der siebten Woche sollten Arbeitnehmer bei einer graduellen Teilarbeitsunfähigkeit von zum Beispiel 50 Prozent zusätzlich zu dem ihnen zustehenden anteilig berechneten Arbeitsentgelt auch die Hälfte des Krankengelds erhalten.
Präzisierung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen: Der Rat schlägt vor, nur noch die Angabe einer einzigen arbeitsunfähigkeitsbegründenden Hauptdiagnose zu ermöglichen. Bisher können Ärzte mehrere Diagnosen ohne Gewichtung auf dem Formular angeben.
Realistische Bedarfsplanung für die Versorgung psychischer Erkrankungen: Das Gutachten setzt bei den Ursachen an. Am zweithäufigsten schreiben Ärzte aufgrund seelischer Leiden krank. Zudem dauert die Genesung von psychischen Störungen oft länger als die Heilung von Rückenschmerzen. Das geht aus den Versorgungsreports der Krankenkassen hervor.
Der Sachverständigenrat empfiehlt eine kritische Prüfung der tatsächlich vorhandenen psychotherapeutischen Kapazitäten. Wartezeiten auf Therapien verlängerten möglicherweise die Krankheitsdauern und somit die Krankengeldzahlungen.
Beispielsweise könne geprüft werden, ob die Bedarfsplanung die tatsächlich erbrachten Psychotherapiestunden der gegenwärtigen Kassensitze abbilde, um verdeckter Unterversorgung auf die Spur zu kommen.
Selektivverträge mit garantierten Zugangsgarantien zu Behandlungen könnten ein geeignetes Mittel sein, Wartezeiten auf psychotherapeutische Behandlungen zu reduzieren.
Einrichtung eines gemeinsamen medizinischen Dienstes der Renten- und Krankenversicherung: Komplexe Fälle landen oft auf "Verschiebebahnhöfen", sagt Gerlach. Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung versuchten dann jeweils Zuständigkeiten von sich wegzuschieben.
Abhilfe könne ein Runder Tisch für Fallkonferenzen und ein gemeinsamer Medizinischer Dienst von Renten- und Krankenversicherung bieten. So könne eine Verkürzung der Wartefrist zwischen Antragstellung und Bewilligung von Rehaleistungen erreicht werden. Zudem ließe sich Doppelarbeit vermeiden.
Abgeschaut hat sich der Sachverständigenrat dieses Modell in Skandinavien.
Die überproportional steigenden Ausgaben für das Krankengeld hatten den Ausschlag dafür gegeben, den Sachverständigenrat mit der Erstellung eines Sondergutachtens zu Ursachen und Steuerungsmöglichkeiten zu beauftragen.
Diese Entwicklung sieht Gerlach nicht kritisch. Etwa die Hälfte des Anstiegs sei auf politisch erwünschte Faktoren zurückzuführen wie höhere Beschäftigung, längere Lebensarbeitszeiten und steigende Erwerbseinkommen sowie eine steigende Grundlohnsumme.
Die Entwicklung der Ausgaben für Krankengeld verläuft nicht einheitlich. 1995 gaben die Kostenträger umgerechnet 9,4 Milliarden Euro dafür aus. Der Anteil an den Leistungsausgaben der GKV lag bei 8,1 Prozent.
Erst 2014 wurde dieser Wert mit 10,6 Milliarden Euro wieder übertroffen. Relativ lag er mit einem Anteil von 5,5 Prozent niedriger als 1995.
Allerdings übertraf der durchschnittliche Anstieg der Ausgaben für das Krankengeld in den Jahren von 2006 bis 2014 von rund 8,1 Prozent den der Gesamtausgaben, die lediglich um 4,3 Prozent im Schnitt anstiegen.
Diese Entwicklung hatte die große Koalition zum Anlass genommen, den Sachverständigenrat zu beauftragen ein Sondergutachten zu erstellen.
Lesen Sie dazu auch den Kommentar: 30 Jahre Gesundheitsweise