Warnstreik in Frankfurt
Ärzte protestieren für bessere Arbeitsbedingungen in der Klinik
Tausende Ärzte versammeln sich zum Warnstreik in Frankfurt. Sie fordern bessere Arbeitsbedingungen und mehr Wertschätzung. Der karitative Wille der Ärzte dürfe nicht weiter ausgenutzt werden.
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Ärzte aus ganz Deutschland machen sich am Donnerstag für bessere Arbeitsbedingungen und eine bessere Bezahlung stark.
© Michaela Illian
Frankfurt/Main. „All I’m askin', is for a little respect“ schallt es über den Frankfurter Römerberg. Ärztinnen und Ärzte aus ganz Deutschland halten Schilder hoch, blasen in Trillerpfeifen und rufen durch ihre orangenen FFP2-Masken nach besseren Arbeitsbedingungen.
Die Tarifverhandlungen für die rund 55.000 Ärzte an kommunalen Kliniken sind im Februar erneut ergebnislos vertagt worden. Nachdem es zwischen der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände (VKA) und dem Marburger Bund (MB) zu keiner Einigung kam, rief der MB zum Warnstreik an diesem Donnerstag auf. Zur zentralen Kundgebung reisten nach Angaben des MB 4000 Ärzte nach Frankfurt. Die Polizei zählte knapp 2000 Demonstranten. Außerdem gab es an zahlreichen anderen Krankenhäusern Aktionen. Den Streikenden geht es – neben konkreten Regeln für Wochenend- und Bereitschaftsdienste sowie einer besseren Bezahlung – in erster Linie um mehr Wertschätzung.
„Wir geben unsere eigenen Bedürfnisse an der Kliniktür ab“, kritisiert eine junge Ärztin aus dem Uniklinikum Mannheim, die ihren Namen nicht nennen möchte. Oftmals bleibe kaum Zeit für einfachste Anliegen wie den Gang zur Toilette. Sie zeigt auf das Schild einer Kollegin mit der Aufschrift: „Ärzte haben auch Gefühle, Hunger, Durst, Müde, Pipi.“ Die Corona-Pandemie habe das Problem weiter verstärkt. Und: Während Pflegekräfte einen Anspruch auf den Corona-Bonus hätten, gingen die Ärzte bisher leer aus, sagt die Mannheimerin und versucht die Lautstärke eines Trommlers in Arztkittel zu übertönen.
Botzlar: Vereinbarungen wurden nicht eingehalten
Auf der Bühne erinnert Dr. Andreas Botzlar, 2. MB-Vorsitzender und MB-Chef in Bayern, an den letzten Streik auf dem Römerberg im April 2019. Damals konnten die Ärzte Erfolge verzeichnen, doch dann kam Corona. „Es kann nicht sein, dass Dinge, die wir vereinbart haben, von jedem Einzelnen immer wieder erkämpft werden müssen.“
„Noch mehr Bereitschaftsdienste? Kein Inflationsausgleich?“, fragt Dr. Susanne Johna, Vorsitzende des MB die Frauen und Männer auf dem Kopfsteinpflaster. „Nicht mit uns!“ rufen diese ihr im Chor entgegen.
Diese Forderungen stellt der Marburger Bund:
- 5,5 Prozent mehr Gehalt mit einer Laufzeit von einem Jahr,
- gesicherten Anspruch zur Begrenzung der Arbeit auf maximal zwei Wochenenden im Monat (anderfalls 20 Prozent mehr Gehalt für jeden zusätzlichen Dienst),
- klare Vorgaben für die vor drei Jahren vereinbarte Beschränkung auf vier Bereitschaftsdienste im Monat,
- 25 Prozent Zuschlag für Bereitschafts- und Rufdienste, wenn die einmonatige Frist zur Dienstplanaufstellung nicht eingehalten wird,
- höchstens zwölf Rufbereitschaften pro Monat.
Bildergalerie zur zentralen Kundgebung in Frankfurt
Tausende Ärzte fordern beim Wahnstreik in Frankfurt bessere Arbeitsbedingungen und mehr Wertschätzung.
Die VKA bezeichnete die Forderungen am Mittwoch indes als unrealistisch und fordert ein Entgegenkommen des MB. „Wir appellieren an den Tarifpartner, zu den strittigen Punkten eine Übereinkunft am Verhandlungstisch zu suchen“, äußerte sich Wolfgang Heyl, Verhandlungsführer der VKA und Vorsitzender des Gruppenausschusses der VKA für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen in einer Mitteilung. Gerade in kleineren Einrichtungen könne die Versorgung durch die Pläne des MB nicht mehr sicher gestellt werden.
„Wir meinen unsere Forderungen ernst“, bekräftigt Johna als Reaktion auf die Meldung des VKA in Frankfurt. „Angestellte Ärzte leisten pro Jahr 65 Millionen Überstunden.“ Das sei eine enorme körperliche und psychische Belastung. Ärzte sollten bis zur Rente in dem Beruf arbeiten können und nicht nach zehn Jahren körperlich am Ende sein. Und: Arztgesundheit sei auch im Sinne der Patientensicherheit. Begeistert streckt eine Frau im Kittel ihr Plakat in die Höhe: „Wir brennen für unsere Patienten – aber ihr verheizt uns!“ steht darauf.
20 Prozent der Ärzte wollen die Klinik verlassen
Wozu diese Belastung führen kann, zeigen Ergebnisse einer Ad-hoc-Umfrage des MB von vergangenem Februar. Ein Fünftel der Ärztinnen und Ärzte (20 Prozent) an kommunalen Kliniken plane „definitiv“ seine berufliche Zukunft außerhalb des Krankenhauses. 56,5 Prozent sind laut MB noch unentschieden; nur 23,5 Prozent planen keinen konkreten Tätigkeitswechsel. Auch fühle sich die große Mehrheit der Klinikärzte (91 Prozent) regelmäßig erschöpft.
Ein Arzt aus dem Klinikum Karlsruhe stimmt dem zu. Seit Jahren hätten sich die Arbeitsbedingungen nicht verbessert – das Einzige, was viele Ärzte noch hält, sei ihr karitativer Wille. Er selbst wird deshalb seine Klinik in drei Monaten verlassen, 22 Jahre hatte er dort gearbeitet.
Auch die Generation der Assistenzärzte kann den Druck auf ihren Schultern bereits spüren. „Uns bleibt keine Zeit für Schönschrift“, scherzt eine Gruppe junger Ärzte und deutet auf die unleserliche Forderung auf ihrem Plakat. Eine von ihnen berichtet, sie habe vor Kurzem die Klinik-Station wechseln müssen, auf der alten Station hätte sie ihre Arbeitszeiten nicht zählen dürfen – ein Unding!
Blau-gelbe Flagge am Rednerpult
Auch der Krieg in der Ukraine ist Gegenstand beim Streik des Marburger Bundes. Eine blau-gelbe Flagge prangt am Rednerpult, Johna macht auf eine Spendenaktion des MB aufmerksam, wünscht medizinischen Versorgern vor Ort alles Gute. Und sie erinnert: „Der Ukraine-Krieg zeigt, wie wichtig Demokratie ist. Daher bin ich dankbar für unser Streikrecht.“ Auch Botzlar zeigt Anteilnahme. Trotzdem dürfe der Krieg in der Ukraine nicht vom VKA instrumentalisiert und gegen die Forderungen der Ärzte verwendet werden.
Der Streik fand am Donnerstag in Frankfurt statt, da für die kommunalen Kliniken in Berlin ein eigener Tarifvertrag gilt. Diese sind deshalb vom Warnstreik ausgenommen. In den kommunalen Kliniken Hamburgs gelten ebenfalls Sonderregeln, weswegen Aktionen dort gegebenenfalls später stattfinden werden. Für alle vom Streik betroffenen Kliniken wird ein Notdienst sichergestellt, versichert der MB.